Die FDP im Umfragetief: „Wir können auch anders“
BERLIN - Nach dem Absturz ins Bodenlose sucht FDP-Chef Westerwelle bei einem Krisengipfel nach Rezepten – und er findet eine überraschende Lösung: Das Reformtempo soll einfach noch schneller werden.
In hundert Tagen vom strahlenden Sieger zum Problemfall: Für Guido Westerwelle und seine FDP ist der Ernstfall da. Gestern Abend versammelte der Parteichef die engere Führung zum Krisengipfel. Anlass für die bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendete Sitzung gab es genug: Der beispiellose Absturz in den Umfragen seit der Bundestagswahl hat die Liberalen ebenso nervös gemacht wie das vernichtende Urteil der Deutschen über das Kabinettspersonal der FDP.
In einer Interviewoffensive übers Wochenende versuchten mehrere FDP-Spitzen, wieder Herr der Lage zu werden. Ob die FDP dabei aber die Zeichen der Zeit erkannt hat, ist fraglich. Denn anders als von der Mehrheit der Deutschen empfohlen, wollen die liberalen das Tempo bei Steuersenkungen sogar noch steigern. Offenbar habe man „Ungeduld und Veränderungswillen“ beim Volk unterschätzt, analysierte FDP-General Christian Lindner. Deswegen soll es bei neuen Vorhaben nun „schneller als geplant“ gehen: Bereits im April soll eine Steuerreform kommen.
In den jüngsten Umfragen hatten sich die Deutschen dagegen auf andere Problemfelder eingeschossen. Die Wähler halten den Liberalen Klientelpolitik vor und sind angesichts leerer Kassen und Finanzkrise eher gegen Steuersenkungen.
Als ob es dessen noch bedurft hätte, brachte am Wochenende eine neue Umfrage der Partei noch einen weiteren Tiefschlag: Laut Emnid halten zwei Drittel der Deutschen den Absturz der Liberalen für verdient. Der ARD-Deutschlandtrend hatte zuvor ermittelt, dass die Liberalen seit Regierungsantritt von 14,6 Prozent bei der Wahl auf jetzt nur noch acht Prozent zusammengeschrumpft sind.
Die Schuld am Sympathieverlust geben FDP-Politiker auch dem internen Zustand der Koalition. Parteichef Westerwelle verlangte, der Umgangston bei Schwarz-Gelb müsse besser werden, vor allem bei der CSU. „Ich habe eine Engelsgeduld, aber ich kann auch anders“, drohte Westerwelle. Andere FDP-Führungskräfte äußerten sich versöhnlicher, Selbstkritik blieb aber die Ausnahme: Immerhin gestand Hessens FDP-Chef Uwe Hahn ein, die Partei sei „nicht sehr gut“ auf die Regierungszeit vorbereitet gewesen.
Die Grünen nehmen Westerwelle inzwischen persönlich aufs Korn: „Westerwelle ist der Aufgabe eines Vizekanzlers nicht gewachsen“, sagte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast. „Er ist getrieben von persönlicher Eitelkeit, er empfindet das alles als Spiel."mue