"Die EZB verstößt gegen das Demokratiegebot"

München - Vor 20 Jahren trat der heute 64-jährige CSU-Politiker wegen der sogenannten Kanzlei-Affäre – es ging um die Verpachtung seiner Mandanten während seiner Zeit als KVR-Chef und Minister – als bayerischer Umweltminister zurück. Ein halbes Jahr zuvor unterlag er knapp Christian Ude bei der Münchner OB-Wahl - die Affäre spielte eine große Rolle im Kommunalwahlkampf.
Heute vertritt er München-Süd im Bundestag. Und ausgerechnet beim Politischen Aschermittwoch der CSU in Passau redet er als Partei-Vize. Dieses Amt hat er erst seit November 2013 inne - der Vollblut-Politiker über sein Comeback, seine Partei, Krieg und Frieden.
AZ: Erinnern Sie sich noch an den 16. Februar 1994?
PETER GAUWEILER: Ich wusste, dass Sie mich das fragen werden. Es war mein letzter politischer Aschermittwoch.
Im Münchner Pschorrkeller vor 1500 jubelnden Fans.
Das waren viel mehr.
Es war Ihr Rücktritt als bayerischer Umweltminister wegen Ihrer Kanzleiaffäre.
Dank meiner Freunde bei der Abendzeitung. Es war eure Affäre.
Sie haben damals gesagt: „Ich fühle mich kräftiger, als es manchem lieb ist."
Vor ein paar Tagen musste ich daran denken.
Was haben Sie gedacht?
Das sind doch einschneidende Erinnerungen.
Kommen die jetzt hoch?
Ja. Ich bin seitdem immer am Aschermittwoch beim Skifahren am Arlberg gewesen.
An was erinnern Sie sich?
An die ganzen Debatten von damals, an meinen Rücktritt und wie’s dann weiterging. Eigentlich ist es doch gar nicht so schlecht gelaufen.
Sie haben ja Ernest Hemingway verinnerlicht.
Der war auch am Arlberg, in Schrunz, im Hotel Taube.
Er schrieb: „Die Welt zerbricht jeden, und nachher sind viele an den gebrochenen Stellen stark. Aber die, die nicht zerbrechen wollen, die tötet sie. Sie tötet die sehr Guten und die sehr Feinen und die sehr Mutigen. Ohne Unterschied.“ Wie ist das bei Ihnen?
Sie reden mit einem Unwürdigen. Das ist ein wunderbarer Text.
Sind bei Ihnen die gebrochenen Stellen stark?
Ich habe kürzlich meinem Freund Ude geschrieben: 20Jahre – einmal Odyssee und zurück.
Sie sind zurück. Sie reden an der Seite von Horst Seehofer auf dem politischen Aschermittwoch in Passau. Ist das Genugtuung?
Ich war ja nicht aus der Politik.
Sie waren Hinterbänkler?
Das bin ich heute irgendwo noch.
Ihre Parteifreunde haben Sie verlacht.
Die haben sich über mich aufgeregt: Der ist ganz unwichtig. Das aber haben sie mit roten Flecken im Gesicht gesagt. So gleichgültig war ich ihnen dann doch nicht.
Sie waren ein Querulant.
Querulant klingt so negativ.
Was hören Sie lieber?
Einzelgänger. Bei Querulant denkt man selber, man ist nur Michael Kohlhaas. Der war aber nur bis zur Hälfte des Stücks sympathisch.
Kohlhaas landete auf dem Schafott. Ihr Idol Hemingway wurde alkoholabhängig und hat sich mit dem Jagdgewehr erschossen.
Moment mal. Gauweiler steht auf, sucht auf seinem Schreibtisch nach einem Buch. Rolf Hochhuth.
Sie fahren gleich einen deutschen Dramatiker auf?
Wegen alkoholabhängig. Hochhuth hat auch das Stück verfasst: Tod eines Jägers. Über Hemingway schreibt er: „Tod, das Nichts, der Krieg, Altersängste, das ist ja alles da auf jeder seiner tausend Seiten. Aber es ist nur da, wie das Wasserzeichen in schwerem Papier. Es drängt sich nicht auf, sondern es legitimiert nur die Heiterkeit, das Feriengefühl, den Blick auf Meere und in tiefe Wälder, die uns dieser Mann in seinen Büchern schenkte.“ Tragik ist das eine, aber Heiterkeit und Feriengefühl gab es auch bei ihm. Ich kann's Ihnen gerne kopieren.
Bei Ihnen herrscht also Heiterkeit?
Heiterkeit war bei mir immer. Ich habe mich immer bemüht, auch wenn man kein Amt mehr hat, kann man trotzdem ein politischer Mensch sein. Deshalb war der Rücktritt in meinem Leben nicht so eine große Zäsur. Er war nur eine Zäsur zur damaligen Amts-CSU.
Haben Sie Ihre Aschermittwochs-Rede schon fertig?
Nein. Es fällt einem kurz davor noch was ein. Das wirft dann wieder alles um.
Haben Sie Lampenfieber?
Der politische Aschermittwoch ist ja eine ganz wichtige Rede. Ich will’s jetzt nicht relativieren. Aber ich bin ja ein altes Zirkuspferd.
Naja. Bei ihrer ersten Bewerbungsrede für den CSU-Vize haben Sie die Delegierten eher gelangweilt mit Ihren Ausführungen über Gertrude Stein. Glauben Sie, dass alle CSUler schon mal ein Buch von ihr gelesen haben?
Ich wollte halt mal Gertrude Stein einführen. Das war doch interessant. Sie jedenfalls haben es gemerkt. Die Wahl hab’ ich ja dann gegen Ramsauer verloren.
Jetzt sollen Sie in Passau die Hardcore-Fans in Stimmung bringen, weil Seehofer das selber nicht so liegt.
Sie meinen mit „Hardcore-Fans“ die Stammkundschaft. Stammkundschaft geht vor Laufkundschaft. Ganz klar. Diese Kundgebung ist eine Versammlungsstätte unserer Stammkunden. Wir müssen da ganz klar vortragen, was wir für richtig halten. Die Leute beurteilen es dann. Das ist ein ständiger Kampf.
Wie bereiten Sie sich auf den Kampf vor?
Mit Nachdenken.
Über was denken Sie nach? Am Aschermittwoch will Ihre Stammkundschaft doch vor allem unterhalten werden.Machen Sie ihr zum Auftakt der Europa-Wahl nach der alten Taktik von Franz Josef Strauß Angst: Europa ist die Gefahr, nur die CSU kann euch retten?
Mit dem Angstmachen tun Sie ihm unrecht.
Das hat er in seiner „Wienerwald-Rede“ explizit erklärt, dass die CSU den Wählern Angst machen muss.
Natürlich ging es Strauß auch um Wege aus der Gefahr. Als Redner ging es ihm vor allem darum, die Menschen zu interessieren, unbedingt zu interessieren – inklusive seiner Kritiker: „Ich habe euch etwas zu sagen.“
Was haben Sie zu sagen?
Meine Themen, für die ich mich aktuell engagiere: Deutschland soll in Zukunft auf Einsätze wie in Afghanistan verzichten. Und: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die ich ja mitinitiiert habe, nämlich dass die von keinem Parlament genehmigten, unbegrenzten Anleiheankäufe der Europäischen Zentralbank gegen das Demokratiegebot verstoßen.
Da wird’s die Stammtischgemeinde in Passau sicher nach der ersten Maß von der Bank reißen. Die will deftige Sprüche gegen die Grünen und gegen die Ausländer hören.
Die Frage von Krieg und Frieden ist essentiell. Für die Stammtische genauso wie für die Feuilletons. Unterschätze nicht den Zuhörer.
Der will Unterhaltung.
Natürlich wird auch der Unterhaltungswert einer Rede bewertet und das ganze Bild, das der Redner abgibt. Aber die Leute merken schnell: Ist da eine Botschaft da oder nur eine Wunderkerze?
Ihre Stammkundschaft sieht in Ihnen doch nur den Lordsiegelbewahrer von Franz Josef Strauß und hofft auf die Wiederbelebung der alten Zeiten.
Retro ist hochmodern. Das stimmt. Und natürlich ist der Aschermittwoch moderner als je zuvor.
Warum tun Sie sich das eigentlich alles noch an?
Was heißt antun? Politik ist doch nicht nur ein Amt rumschieben. Ich wundere mich manchmal, dass das schöne Parteiamt, das ich jetzt habe, so überbetont wird. Politik ist Äußerung. Politik ist Teilnahme. Die Fähigkeit zu einem guten Schachspiel. Die Erkenntnis, dass die gegnerischen Züge nicht nur von Charakterlosigkeit und Dummheit bestimmt sind. Das Leben in diesem Spannungsverhältnis ist ein wichtiger Teil meiner Existenz, auch wenn ich beruflich was anderes mache.
Weil Sie als Anwalt Millionen verdienen. Wie beim Kirch-Prozess?
Gauweiler schweigt.
Andere Leute in Ihrer Lage sammeln Kunst oder Oldtimer. Sie ziehen lieber vors Verfassungsgericht und werden noch CSU-Vize.
Guter Vergleich. Das macht mir auch mehr Spaß. Ich zieh' gern vors Bundesverfassungsgericht.
Was macht daran Spaß?
Einfach der Sache einen Sinn zu geben.
Politik als Hobby?
Mich hat das immer interessiert. Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nie erjagen.
Das lässt Johann Wolfgang von Goethe seinen Faust sagen. War Ihnen da als Schöngeist das Amt des Landwirtschaftsministers zu popelig, als Ihnen Horst Seehofer die Nachfolge des zurückgetretenen Hans-Peter Friedrich angeboten hat?
Nein, aber so, wie ich Politik mache, kann ich das als freier Mandatsträger besser.
Sie wollen also lieber die Rolle des Weisen in der CSU spielen. Pflegen Sie es deshalb auch, mit 64 Jahren ein bisschen greisenhaft zu wirken, während andere sich gerne jünger machen?
Wenn ich mir was antue, dann sind es 30 Jahre Interviews mit Angela Böhm.
Einmal politischer Aschermittwoch in Passau und nie wieder?
Ich bin jetzt eingeladen worden zu sprechen. Und ich freu’ mich drauf. Die müssen nicht mit mir. Und ich muss auch nicht. Das ist kein Abonnement.