Die Diva, der Croy und ich

Zurück zu den Wurzeln: Wie ein Sachse der Versuchung München widerstehen konnte.
Kennen Sie Jürgen Croy, den Sepp Maier von Zwickau? Der DDR-Nationaltorwart war Fußballer des Jahres, Olympiasieger, Europapokal-Halbfinalist und bei der WM 1974 Garant für den legendären 1:0-Erfolg gegen die BRD. Der Weltklasse-Keeper hielt trotz verlockender Angebote seinem Heimatverein Sachsenring Zwickau die Treue. Er kam viel herum – und immer zurück. In dieser Hinsicht halte ich es wie Croy. Der begehrenswerten Versuchung München habe ich widerstanden. Meine sächsischen Wurzeln waren stärker.
Durchs Journalistikstudium in Leipzig kam ich zur AZ – mein erstes Rendezvous mit der eitlen (die Schickimickis!), vorlauten (die Stoiber-CSU!) und beschwingten (die Wiesn!) Diva München. Eine flammende Liebe entbrannte nicht. In der Stadt hielten mich weder spannende Reporteraufgaben, etwa als „Wiesn-Sachse“, noch ein guter Verdienst. München war mir...
>zu fern: Die Nähe zur Familie wog schwerer als Geld.
zu teuer: Manch Kammer im Hasenbergl kostet fast so viel wie meine Wohnung mit Blick auf Dresdens Frauenkirche und die Berge der Sächsischen Schweiz.
zu ignorant:Mir san mir und Ostdeutsche „die da drüben“. Die Ost-Kenntnisse sind dürftig. Dass Audi zuerst in Zwickau entwickelt wurde, weiß kaum jemand. Manch Münchner war seit dem Mauerfall häufiger in der Toskana als in Elbflorenz, obwohl es 45 Flüge pro Woche von MUC nach Dresden gibt (und zurück!).
zu bizarr:Verzeihung, aber München hat einen an der „Klatsche“. Wo andernorts um jeden Job gekämpft wird, gedeiht an der Isar eine Klatsch-Industrie, die sich um Luxus-Probleme wie Kahns Kerth-Wenden und Beckers Liebeswirren kümmert.
Geburtenknick und Abwanderung – das scheint die proppere Diva nicht zu kennen. Meine Geburtsstadt Zwickau verlor seit der Wende gut ein Viertel ihrer 120000 Einwohner. Wider diesen Trend zog es mich zurück in die Heimat, um als winziges Rädchen im Getriebe den sächsischen Motor mit am Laufen zu halten. Mit Beharrlichkeit und Glück fand ich am Dresdner Flughafen meinen Traumjob. Die Familie kann ich nun jederzeit besuchen. Auch wenn sich Dresden zunehmend in der Rolle des Münchens-Ost gefällt, lässt es sich da (noch) preiswert leben.
München war ein Lebensabschnitt, von dem mir neue Freunde, berufliche Erfahrungen und Erinnerungen an meine erste Wiesn geblieben sind. Mit der Diva verbindet mich eine gute Freundschaft. Ich besuche sie gerne und schwelge mit ihr in alten Zeiten. Übrigens: Auch Zwickau feiert ein Oktoberfest. Cheforganisator ist Jürgen Croy.
Christian Adler