Die DDR – was war das?

Acht Schulstunden für einen Teil von Deutschlands wichtigster Geschichte. 20 Jahre nach dem Mauerfall kämpft Pädagoge Dieter Gündisch gegen Vorurteile und für Anschauungsunterricht
von  Abendzeitung
Ehemalige DDR-Grenzanlagen
Ehemalige DDR-Grenzanlagen © dpa

Acht Schulstunden für einen Teil von Deutschlands wichtigster Geschichte. 20 Jahre nach dem Mauerfall kämpft Pädagoge Dieter Gündisch gegen Vorurteile und für Anschauungsunterricht

Wenn ich Ossi höre, dann denke ich an etwas Negatives.“ Emre sagt ganz offen, was er über die Menschen in den neuen Bundesländern denkt. Als er vor 18 Jahren geboren wurde, stand die Mauer nicht mehr. Alles, was Emre und seine Mitschüler über das Leben der Menschen in der ehemaligen DDR erfahren haben, alles was sie über Mauerbau, Ausreiseverbot und Stasi wissen, kennen sie aus Büchern, Filmen oder Dokumentationen. Wie begegnen Münchner Schüler dem Thema „Mauer“ zwanzig Jahre nach Ende der deutschen Teilung?

Adolf-Weber-Gymnasium in Neuhausen, 11. Klasse. Im vergangenen Jahr hat Geschichtslehrer Dieter Gündisch (59) das Thema mit seinen Schülern behandelt. Emre ist einer von ihnen. Acht Stunden sind für den Stoff im Lehrplan vorgesehen. „Man könnte immer mehr machen“, sagt Gündisch, „aber insgesamt ist das Thema angemessen vertreten“.

Acht Stunden – nach denen die Schüler einen Überblick über die deutsche Teilung haben sollen. Es gibt sicher leichtere Aufgaben. Und wie Emres Aussage zeigt, immer noch eine Menge Vorurteile, die abgebaut werden müssen.

Ossi bedeutet etwas Negatives. Gerade wegen solcher Ansichten findet es der Pädagoge wichtig, dass die Schüler die neuen Bundesländer bereisen.

Viele waren zum ersten Mal dort, als sie im vergangenen Jahr auf Klassenreise in Dresden waren. „Wenn man sich etwas direkt anschaut, kann man Vorurteile abbauen. Dann sehen die Schüler selbst, wie es dort heute ist. Denn viele sagen immer noch, dass der Westen für den Osten zahlen muss.“

Die Reise hat bei den Schülern unterschiedliche Eindrücke hinterlassen. „Wir zahlen doch für die Ossis“, meint Emre, „und sie nehmen uns unsere Renten weg.“ Ein schwerer Vorwurf, ein haltloses Vorurteil, das sein Mitschüler Joschua nicht auf sich sitzen lassen will. „Das Problem mit der Rentenkasse hängt doch nicht damit zusammen“, sagt der 16-Jährige. Sein Großvater lebte in der DDR. Ansonsten hat niemand Verwandte in den neuen Bundesländern.

Wie sonst eine Verbindung herstellen zu einer Zeit, die die Jugendlichen nie erlebt haben? Mit Bildern. Auf jeder Bank liegt ein Foto und zeigt eine DDR-Momentaufnahme. Bilder vom Mauerbau, Grenzposten, Wachtürmen. Menschenmassen, die sich am 9. November 1989 auf der Mauer vor dem Brandenburger Tor umarmen, die Deutschland-Fahne schwenken und feiern. Oder den erschossenen Flüchtling Peter Fechter, den Grenzposten 1962 einfach verbluten haben lassen. Ein Bild, das weltweit Empörung auslöste.

Joschua hat sich das Foto ausgesucht, auf dem die Menschen auf der Mauer stehen. Ein Symbolbild für den Moment des Wandels. „Ich finde das wahnsinnig beeindruckend. Die Menschen wollten einfach nur Freiheit. Die Stasi-Bespitzelung, das war Freiheitsberaubung.“ Wie muss es für Menschen sein, wenn man ihnen die Freiheit nimmt? „Schlimm“, sagt Joschua, „ich kann es mir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man seine Meinung nicht sagen kann.“

Emre erinnert sich noch gut an das Video, das er vorletztes Jahr gesehen hat. „Es zeigte, wie die Leute stundenlang gewartet haben. Es zeigte die angespannte Situation vor der Grenze. Dass die unbedingt in den Westen wollten, das konnte ich nicht nachvollziehen. Die hatten doch drüben auch ein Leben.“ Heute denkt der 18-Jährige anders. „Ich habe einfach zu wenig darüber gewusst“, sagt er.

Die Distanz ist groß. „Das ist für viele weit weg“, sagt Lehrer Gündisch. Als er letztes Jahr den Vietnamkrieg im Unterricht behandelte, da sei es auch so gewesen. „Für die Schüler ist das einfach Geschichte. Und vorbei.“

So war bei den meisten in der Klasse die innerdeutsche Teilung zuhause nie Thema. Um eine Annäherung an die DDR und alles, was damit zusammenhing, zu erreichen, hat Dieter Gündisch mit seinen Schülern auf der Klassenreise nach Dresden auch einen Stopp in Mödlareuth gemacht.

Das Dorf mit etwa 50 Einwohnern liegt an der Grenze zwischen Bayern und Thüringen. 41 Jahre lang war es von der innerdeutschen Grenze durchschnitten. Bis heute steht ein Teil der Mauer im Ort. „Als wir in Mödlareuth waren, konnte man sich viel besser vorstellen, wie die Leute dort gelebt haben“, sagt Nehir.

Welche Bilder sind im Kopf geblieben? „Niemand ist verhungert, aber viele Häuser waren heruntergekommen“, sagt Sarah. Die Schülerin glaubt nicht, dass es noch einmal eine Mauer geben wird. „Die Menschen würden sich heute mehr wehren.“

Auch, wenn die Schüler nicht viel mit der Zeit der deutsche Teilung verbindet. An einem lassen sie keinen Zweifel: Es darf nie wieder eine Mauer geben. Oder wie Inanc (17) sagt: „Wir müssen doch zusammenhalten.“

Verena Duregger

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