Die chronische Krise
Der unglücklich operierende Pfälzer nicht die alleinige Ursache allen Übels sein. Auch Gerhard Schröder ist schließlich an seiner Partei gescheitert. Franz Müntefering, sein Nachfolger, besaß nicht einmal die Autorität, einen Parteigeschäftsführer seiner Wahl durchzusetzen. Warum die SPD immer mit sich und ihren Chefs unglücklich sein wird –ein Essay.
VON FRANZ WALTER
Kaum eine Woche vergeht, in der Sozialdemokraten nicht für negative Schlagzeigen sorgen. Alles ein Problem Kurt Beck? Gewiss, er ist kein Mann der großen Rede. Er wird auch nicht als Politiker mit brillanten Ideen und funkelnden Programmsätzen in die Geschichte eingehen. Und sicher hat es in der Partei von Lassalle, Bebel, Schumacher und Brandt weit größere Begabungen gegeben als ihn.
Und doch kann der unglücklich operierende Pfälzer nicht die alleinige Ursache allen Übels sein. Auch Gerhard Schröder ist schließlich an seiner Partei gescheitert. Franz Müntefering, sein Nachfolger, besaß nicht einmal die Autorität, einen Parteigeschäftsführer seiner Wahl durchzusetzen und warf daraufhin den Parteivorsitz mimosenhaft hin. Auch Matthias Platzeck hatte schon nach wenigen Wochen an der Spitze der SPD kaum noch aktiven Rückhalt. Nein, die Führungskrise der SPD ist mittlerweile chronisch, währt im Grunde schon seit Mitte der 1980er Jahre an.
Unzufrieden mit sich selbst
Aber was ist der Herd dieser Krise? Im Unterschied zu den Christdemokraten neigen Sozialdemokraten zu Unzufriedenheit – mit sich selbst. Die SPD produziert seit jeher programmatische Vorstellungen, die edel glänzen. Gegenüber den großen Ideen aber wirkt die alltägliche Praxis blass, nahezu bedeutungslos. Infolgedessen haben Sozialdemokraten immer das Gefühl, das ihre reale Politik von geringem Wert ist, vergleicht man sie mit den Maßstäben, die man gerne an den Feiertagen der mythenumrankten Parteijubiläen proklamiert.
Die Diskrepanz zwischen Ansprüchen und wirklichem Tun war durchweg groß in der SPD-Geschichte. Doch nun ist die Kluft brisant. Auf dem Parteitag 2007 hat man sich noch einmal stolz zum „demokratischen Sozialismus" bekannt. Aber nichts von dem, was Sozialdemokraten in den Regierungen Schröder oder Merkel verantworteten, hat mit „Sozialismus" irgendetwas zu tun. Das verunsichert die Genossen. Die Folge ist: Konfusion, Genörgel – und Flucht.
Flucht zum Beispiel in die heile Welt von Programmkommissionen, mitunter auch in die vermeintliche Erneuerung der Opposition. Der Fluchtpunkt 2008 heißt Gesine Schwan. Natürlich ist ihre Kandidatur verständlich und rundum legitim. Selbstverständlich ist sie eine glänzende Anwärterin für das Bundespräsidialamt, eine Frau mit unverbrauchter Rhetorik, offenem Wesen, neuen Ideen.
Tristesse im Klein-Klein des politischen Alltags
Aber die Sozialdemokraten begeistern sich auch deshalb für sie, weil sie jenseits der Verantwortungsschwere und der Rücksichtnahmen eines Parteivorsitzenden oder einer Regierungschefin große Reden halten darf, ja: muss. Frau Schwan wird sich nachdenklich zu den Schattenseiten der Globalisierung und eines entgrenzten Kapitalismus äußern. Die Sozialdemokraten werden entzückt jubeln, denn das ist dann wieder die Welt der weiten Entwürfe, glänzenden Programmlosungen.
Doch der jeweilige Vorsitzende der SPD wird im unvermeidlichen Klein-Klein des politischen Alltags noch trister aussehen. Und die Partei wird schimpfen und jammern.
Franz Walter ist einer der renommiertesten Parteienforscher Deutschlands und Politikprofessor in Göttingen
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