„Die CDU ist eine 20-Prozent-Partei“ geworden

Edmund Stoiber spricht im AZ-Interview über die Wahlpleiten der Schwesterpartei, Seehofers Taktiererei, mögliche Koalitionen sowie über den Brexit und Fluchtursachen
Interview: Gerald Schneider, Bernhard Stuhlfelner und Markus Peherstorfer |
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„Die CSU ist vom Anspruch her eine Mehrheitspartei. Das gehört zu unserem Selbstverständnis“, sagt Edmund Stoiber.
dpa „Die CSU ist vom Anspruch her eine Mehrheitspartei. Das gehört zu unserem Selbstverständnis“, sagt Edmund Stoiber.

Der 75-jährige frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber ist seit 2007 Ehrenvorsitzender der CSU. Die AZ hat ihn zum Interview getroffen.

AZ: Herr Stoiber, immer mehr CSU-Politiker sprechen sich für CDU-Chefin Bundeskanzlerin Angela Merkel als gemeinsame Kanzlerkandidatin aus. CSU-Chef Horst Seehofer will dagegen erst die sachlichen Differenzen klären. Wie sehen Sie das?

Edmund Stoiber: Ich halte das, was Horst Seehofer sagt, für konsequent und völlig richtig. Die CSU hatte im Laufe der letzten zwölf Monate eine Reihe von schwierigen Dingen mit der CDU zu klären, vor allem, wie wir die Flüchtlingsfrage in Deutschland und in Europa bewältigen. Diese Frage wird uns noch Jahrzehnte beschäftigen. Die EU-Kommission geht davon aus, dass im nächsten Jahrzehnt 18 Millionen junge Afrikaner nach Europa wollen. Wir als CSU wollen eine Obergrenze festlegen, weil wir sonst die Integration nicht schaffen. Darüber gab und gibt es unterschiedliche Auffassungen. Das, was der Parteivorsitzende sagt – erst die Inhalte, dann die Personalfragen –, daran halte ich mich natürlich genauso. 
Wir haben eine harte Auseinandersetzung mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und der CDU geführt. Noch sind die Gespräche nicht abgeschlossen. Und wir wissen, dass wir mit unserer Politik in Bayern im Großen und Ganzen den Aufstieg der AfD erheblich gebremst haben gegenüber den Bundesländern, wo gewählt worden ist.

Das muss sich noch erweisen.

Wir liegen mit 45 bis 47 Prozent in Umfragen deutlich vor allen Landesverbänden der CDU, die eine 20-Prozent-Partei geworden ist. 330 000 Wähler sind in fünf Landtagswahlen von der CDU zur AfD abgewandert. Die Wahlbeteiligung ist um bis zu zehn Prozentpunkte gestiegen. Davon hat die CDU nicht profitiert.
Beides hängt mit der umstrittenen Flüchtlingspolitik zusammen. CDU und CSU haben sich in vielen Punkten angenähert, aber nicht bei der Obergrenze. Wenn es keine Einigung gibt, will Horst Seehofer mit unterschiedlichen Positionen in den Bundestagswahlkampf gehen. Das ist im Übrigen nicht ungewöhnlich, das gab es auch bei der letzten Bundestagswahl schon. Jetzt vorschnell, um der Einigung willen, bei der Obergrenze nachzugeben, würden viele CSU-Wähler nicht verstehen und es würde Vertrauen kosten. Ich kann den Menschen, die bisher unserer CSU-Flüchtlingspolitik zugestimmt haben, eine abrupte Kehrtwende nicht verständlich machen.

Wann wird sich die CSU dann offiziell hinter Merkel stellen?

Erst die Inhalte und dann das Personal – das muss ein Gesamtpaket bilden, als überzeugendes Angebot an die Wähler. Wer das umdreht, riskiert einen Vertrauensverlust. Horst Seehofer hat davon gesprochen, dass dann, spätestens im Frühjahr, eine Empfehlung abgegeben wird.

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Aber die Balkanroute ist geschlossen, das Abkommen mit der Türkei hält, viele Bestimmungen wurden verschärft und die Flüchtlingszahlen sind deutlich gesunken. Ist jetzt nicht alles wieder gut?

Nicht ganz. Wir dürfen ja nicht nur bis zur nächsten Wahl denken. Schauen Sie sich nur einmal den Wahlkampf in Frankreich zwischen Marine Le Pen und Nicolas Sarkozy an: Wenn einer der beiden Präsident wird, wird sich die Flüchtlingspolitik Europas ändern. Die ganzen mittel- und osteuropäischen Länder wollen keine Flüchtlinge aufnehmen. Dänemark und Schweden haben die Grenzen geschlossen. Österreich hat eine Obergrenze eingeführt und greift hart durch. Wir haben also keine klare europäische Richtung. Die brauchen wir aber, denn die Migrationsfrage kann kein Land alleine lösen.

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Wie könnte eine europäische Lösung aussehen?

Die Außengrenzen müssen so gesichert und kontrolliert werden, dass schon dort entschieden werden kann, ob jemand Anspruch hat, nach Europa zu kommen. So weit sind wir noch nicht. Und wir brauchen ein einheitliches europäisches Asylsystem mit gemeinsamen Standards für Asylbewerber. Denn wenn diese Standards so auseinanderklaffen wie derzeit, wird ein Flüchtling nie in Rumänien oder Polen bleiben wollen, sondern in das besser ausgestattete System Deutschlands gehen.

Sehen Sie für gemeinsame EU-Standards eine Chance?

Mittelfristig ja. Gemeinsame Standards allein reichen aber nicht aus. Es ist absolut richtig, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel in Afrika mit Herkunfts- und Transitländern der Migranten spricht, um die Fluchtursachen zu bekämpfen. Aber eigentlich muss hier Europa übernehmen. Es ist doch kein deutsches, sondern ein europäisches Problem! Warum ist die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini nicht in Afrika? Wo ist Ratspräsident Donald Tusk? Wo ist vor allen Dingen Kommissionschef Jean-Claude Juncker?

In einer Sache sind sich die Europäer aber sehr einig: nämlich darin, Afrika in Grund und Boden zu wirtschaften. Wenn wir weiterhin Abfallprodukte aus unserer Landwirtschaft dort zu Spottpreisen auf den Markt werfen und die dortigen Bauern vernichten, brauchen wir uns über 18 Millionen Flüchtlinge nicht zu wundern.

Das ist völlig richtig. Nur: Dieses Gesicht der Globalisierung in Form von Flucht ist doch für uns absolut neu. Die Frage, welche Auswirkungen unsere besondere Wettbewerbsfähigkeit auf Schwächere hat, war bisher nicht das Thema. Das ist aber jetzt keine abstrakte Diskussion mehr. Jetzt kommen Bauern aus Eritrea, aus Ghana, aus Nigeria, die sich beklagen, dass sie keine Chance haben, im Wettbewerb mitzuhalten. Das muss auf die Tagesordnung, wenn man Fluchtursachen bekämpfen will.

Die Briten haben den Austritt aus der EU beschlossen. Welche Konsequenzen sollte die EU ziehen?

Der Brexit ist für Europa ein schwerer Schlag. Es war völlig falsch von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und Kommissionschef Juncker, darauf so emotional zu reagieren und einen sofortigen Austrittsantrag zu fordern.
Wir müssen in unserem eigenen Interesse schauen, dass die Briten keinen harten Brexit machen. Sonst verliert der Binnenmarkt 60 Millionen Menschen und die zweitstärkste Wirtschaftskraft. Um Großbritannien im Binnenmarkt zu halten, sollten wir notfalls auch im eigenen Interesse bei der Personenfreizügigkeit Kompromisse eingehen.

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Nach der Wahl 2017 sitzen vermutlich sieben Parteien im Bundestag. Das heißt: Ein Zweierbündnis jenseits der Großen Koalition wird schwierig. Wie stehen Sie denn Bündnissen der Union mit den Grünen gegenüber, etwa mit der FDP als drittem Partner?

2005 gab es ja schon einen Anlauf von Wolfgang Schäuble und Günther Oettinger für Schwarz-Grün. Das ist damals an der CSU gescheitert – an mir im Besonderen. Natürlich kann man mit allen demokratischen Parteien einen gemeinsamen inhaltlichen Kern finden und gemeinsame Politik machen. Nur: Mit den Grünen wird das sehr schwer, weil sie in vielen Fragen völlig andere Vorstellungen haben, zum Beispiel beim Familienbild.
Man muss klar sagen: Aus demokratiepolitischen Gründen ist eine Große Koalition immer ein Notfall. Wir dürfen nicht in dieselbe Situation kommen wie Österreich, wo aufgrund der ständigen Großen Koalitionen die rechte FPÖ in den Umfragen mittlerweile stärkste Partei geworden ist. Durch Große Koalitionen verkümmert die streitige parlamentarische Debatte, weil da die Entscheidungen in den Hinterzimmern fallen.

„Wir müssen die AfD konsequent bekämpfen“

Irgendwann geht es dann auch um Personen. Seehofer hat gesagt, er will nicht als Spitzenkandidat nach Berlin. Aber irgendjemand aus München soll wohl dort aushelfen. Das könnte Markus Söder sein, der aber nicht will. Welche Strategie verfolgt Seehofer?

Horst Seehofer geht davon aus, dass die CSU in Berlin stärker auftreten muss, und ist bereit, dafür den Parteivorsitz abzugeben. Ich habe ihm aus meiner Erfahrung das Pro und Contra zum Thema Doppelspitze geschildert. Persönlich bin ich immer der Meinung gewesen, dass es besser ist, wenn alles in einer Hand ist, weil dann die Abstimmung nicht so schwierig ist. Hätte die CSU die Änderung der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung auch dann durchgesetzt, wenn Horst Seehofer nicht beide Ämter in einer Hand gehabt hätte?

Seehofer hat doch erst vor einem Jahr gesagt, eine Ämtertrennung wäre Unfug. Was hat sich seither geändert?

Von entscheidender Bedeutung ist, dass wir jetzt etwas haben, was wir wie der Teufel das Weihwasser gescheut und bekämpft haben: eine Partei rechts von uns. Dennoch scheint der Wahlkampf der CDU nicht darauf gerichtet zu sein, Protestwähler von der AfD zurückzugewinnen. Man sieht das Reservoir offenbar eher bei den SPD- und Grünen- Wählern. Ich sage: Wir müssen die AfD konsequent bekämpfen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass 75 Prozent der AfD-Wähler in den letzten Landtagswahlen diese Partei nicht wegen ihrer Köpfe oder ihrer Kompetenzen gewählt haben, sondern nur aus Protest. Um diese Wähler muss ich kämpfen.

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Sind wir hier nicht am Kern des Disputs zwischen CDU und CSU? Eine AfD-Fraktion im Bundestag nutzt ja strukturell eher der CDU, weil dann gegen sie keine Mehrheit zustande kommt. In Bayern dagegen kann jeder Prozentpunkt für die AfD die CSU die absolute Mehrheit kosten.

Das ist richtig. Die CSU ist vom Anspruch her eine Mehrheitspartei. Das gehört zu unserem Selbstverständnis. Wir als Volkspartei repräsentieren die Mehrheit der Bevölkerung. Deswegen ist mein strategischer Ansatz: Ich will die Protestwähler auffangen oder sie zurückgewinnen. Das ist auch der Grund, warum sich Horst Seehofer so intensiv mit der CDU auseinandersetzt. Ein reiner Formelkompromiss, der bei den Leuten den Eindruck erweckt, die CSU hätte ihre Position in der Flüchtlingspolitik aufgegeben, wäre schlimm. Dann sind schnell fünf bis zehn Prozent Wähler weg.

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