Die Bombe tickt: Geht die Koalition bald hoch?
Nicht nur bei der Wahl des Bundespräsidenten sind sich CDU und SPD einig, auch beim Beschluss zur Onlinedurchsuchung herrscht Eitel Sonnenschein. Aber es gibt einige Punkte bei denen sich Schwarz-rot nicht grün sind. Die AZ nimmt die schwelenden Konflikte unter die Lupe und bewertet ihre Gefahr für das Bündnis.
BERLIN Der Krach um die Bahnreform scheint beigelegt. Doch es knirscht im schwarz-roten Gefüge. Abgesehen von der Wahl des Bundespräsidenten, wo sich Union und SPD auf eine zweite Amtszeit Horst Köhlers verständigt haben, ticken im Regierungsviertel zahlreiche Bömbchen, die jederzeit hochzugehen drohen – auch wenn der schwarz-rote Kampfmittelräumdienst im Dauereinsatz ist. Viel Stoff wartet also auf die Spitzen von CDU, CSU und SPD, wenn sie sich am 28. April im Kanzleramt treffen. Die AZ nimmt die schwelenden Konflikte unter die Lupe und bewertet ihre Gefahr für das Bündnis.
Gesundheitsreform
Die Regierung muss bis zum 1.November einen einheitlichen Beitragssatz für alle Krankenkassen festlegen, wenn der umstrittene Gesundheitsfonds – wie geplant – 2009 starten soll. Doch die Koalitionspartner sind schwer zerstritten: Während die Union den Beitragssatz niedrig halten will, dringt die SPD auf eine möglichst komfortable Ausstattung der Kassen. Andernfalls müssten klamme Kassen von ihren Mitgliedern Zuschläge verlangen. Besonders starker Gegenwind kommt aus Bayern: Das angeschlagene CSU-Führungstandem Beckstein/Huber stellt die Gesundheitsreform in Frage, um aus dem Umfragetief zu kommen. Die CSU pocht auf eine „Konvergenzklausel“, die verhindern soll, dass die finanziellen Belastungen durch den Fonds für ein Bundesland über 100 Millionen Euro steigen. Experten und Kassen argumentieren, das widerspreche dem bundesweiten Solidarsystem. Prognose: brandgefährlich.
Bundeshaushalt
Diese Watschn ist eine Kampfansage: Finanzminister Peer Steinbrück droht vier Ressortkollegen damit, ihnen die Etathoheit zu entziehen. Begründung: Die Minister torpedierten die Sparbemühungen der Regierung. Die Haushaltsberatungen für 2009 dürften vor dem Hintergrund von Finanzmarktkrise, Wachstumseintrübung und Konjunkturrisiken zu einem Hauen und Stechen ausarten. Noch halten Steinbrück und Merkel am Ziel fest, 2011 einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Je näher aber der Wahlkampf rückt, desto mehr könnten Union und SPD der Verlockung erliegen, die Bürger mit dem Füllhorn zu beglücken: Erst gestern forderten die Familienexperten der Union eine „spürbare Anhebung“ des Kindergeldes. Prognose: brandgefährlich.
Mindestlohn
Das Thema Mindestlohn dürfte neben der Gesundheitsreform der Wahlkampfschlager 2009 werden. Deshalb sind Union und SPD darauf erpicht, die Debatte ständig weiter am Köcheln zu halten. SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz strebt die Einführung von flächendeckenden Mindestlöhnen in möglichst vielen Branchen an. Die Union hält den Mindestlohn dagegen für ein falsches Mittel in der Arbeitsmarktpolitik. CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos warnt davor, dass Mindestlöhne Arbeitsplätze gefährden, den Wettbewerb ausschalten und zu bürokratischen Monstren werden könnten. Abgesehen von permanenten Nadelstichen und kleineren Wortgefechten dürfte das Thema für den Rest der Legislaturperiode jedoch erst einmal zurückgestellt werden – jedes Lager hält sein Pulver trocken, um es dann im Wahlkampf zu verschießen. Prognose: gefährlich
Föderalismusreform
Bei der Föderalismusreform II läuft die Zeit davon. Eigentlich sollen Anfang Mai Eckpunkte zur Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern vorliegen. Das Ziel: schärfere Schuldenregeln und effizientere Verwaltungen. Allerdings hakt es noch an allen Ecken und Enden. Heftig umstritten ist der Abbau der Altschulden: Die Föderalismus-Kommission muss schleunigst klären, ob und wie hochverschuldeten Ländern beim Abbau ihrer Belastungen geholfen werden kann. Krach gibt’s auch rund um die Schuldenbremse: Finanzminister Steinbrück will im Grundgesetz eine Grenze für die Neuverschuldung der Länder festschreiben. Diese befürchten indes, in eine „Zwangsjacke“ gesteckt zu werden. Prognose: schwierig.
Erbschaftssteuer
Ein schwerer, aber lösbarer Brocken. Der Gesetzentwurf, den der Bundestag bereits in erster Lesung beraten hat, stieß in Expertenanhörungen auf schwere Bedenken und Kritik. Auch die Union fordert ultimativ Nachbesserungen. Sie stört, dass Firmenerben einen Betrieb mindestens 15 Jahre lang weiterführen müssen, um von einer Steuerbefreiung zu profitieren. CDU und CSU wollen diese Frist auf zehn Jahre verkürzen. Die Koalition steht unter enormem Zeitdruck: Wenn der Bundestag die Reform in diesem Jahr nicht mehr verabschiedet, würde die Erbschaftssteuer laut einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe komplett entfallen – und der Staat müsste auf Milliardeneinnahmen verzichten. Prognose: schwierig.
Bahnprivatisierung
Nach dem von Parteichef Kurt Beck erzwungenen SPD-internen Kompromiss, maximal 24,9 Prozent des Schienenverkehrs zu verkaufen, gilt ein Börsengang der Bahn noch in dieser Legislaturperiode als wahrscheinlich. Der Konflikt in der Koalition scheint fürs erste entschärft zu sein. Aber Vorsicht: Die Reaktionen aus der Union reichen von vorsichtiger Zustimmung bis zu kategorischer Ablehnung. Angefeuert von der Wirtschaft planen CDU und CSU zudem, schnellstmöglich doch 49.9 Prozent zu veräußern. Die SPD-Linke wiederum wittert ein Einfallstor für Heuschrecken und trauert ihrem Modell stimmrechtsloser Vorzugsaktien (Volksaktien) hinterher, das der Hamburger Parteitag 2007 beschlossen hatte. Prognose: eher harmlos.
jox