Die Aktivisten von der "Letzten Generation": Rettung durch Radikalität?

Die "Letzte Generation" protestiert mit krassen Aktionen für das Klima. Seit einem Jahr ist diese Gruppe aktiv – was hat sie bislang erreicht?
von  Verena Schmitt-Roschmann
Vor einem Jahr: Henning Jeschke von der Klima-Aktivistengruppe "Letzte Generation" im Hungerstreik.
Vor einem Jahr: Henning Jeschke von der Klima-Aktivistengruppe "Letzte Generation" im Hungerstreik. © Eibner-Pressefoto/Sascha Walther, J. Carstensen/dpa

Vor einem Jahr saßen Henning Jeschke und Lina Eichler in Berlin in einem Zeltlager am Reichstagsgebäude, im Hungerstreik für eine radikale Klimawende. Bis ins Krankenhaus hungerten sie sich kurz vor der Bundestagswahl, um vor dem Kollaps des Planeten zu warnen. Jetzt sitzen die beiden auf einer grob gezimmerten Holzbank im Stadtgarten am Tempelhofer Feld und ziehen Bilanz. "Der Hungerstreik - und alles was danach kam - hat gezeigt, dass wir es ernst meinen, dass wir wirklich um unser Überleben kämpfen auf diesem Planeten", sagt der 19-jährige Eichler.

Der Hungerstreik, den sieben junge Frauen und Männer am 30. August 2021 begannen, war die erste Aktion der "Letzten Generation". Seither organisierten die Aktivisten Straßenblockaden, drehten Ventile an Ölpipelines zu, klebten sich an Kunstwerke in Museen (siehe Kasten), ketteten sich bei einem Bundesliga-Topspiel ans Tor. Alles, um gegen die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas zu protestieren. Inzwischen sind sie international vernetzt und bekommen finanzielle Hilfe. Doch rollt auch eine Prozesswelle wegen ihrer Gesetzesverstöße. Statt Klimaschutz scheint in der Öffentlichkeit nun die Gaskrise das Topthema zu sein. Was also haben die Aktivisten erreicht? Es sei etwas losgegangen, sagt der 22-jährige Jeschke. Wichtig sei, "dass man nicht stillschweigend dasteht, während das Massensterben sich global schon Bahn bereitet und während unsere Gesellschaft auch hier in die Vernichtung ihrer Grundlagen schlittert".

Jeschke ist Politikstudent, er zitiert oft Klimawissenschaftler und Theoretiker des zivilen Ungehorsams. Vor allem aber beruft er sich auf die Einschätzung des ehemaligen britischen Regierungsberaters Sir David King, das Handeln in den nächsten drei bis vier Jahren werde über das Schicksal der Menschheit entscheiden. Deshalb auch "Letzte Generation": die letzte, die noch etwas tun könne. Jeschke sagt, die Bundesregierung leugne den Klimanotstand, sie tue nichts: "Einige Sachen sind schwarz-weiß. Tod und Leben ist eine Schwarz-Weiß-Frage." Jeschke war es, der das Hungern auf die Spitze trieb - 27 Tage ohne Essen. Am Ende verweigerten er und seine Mitstreiterin Lea Bonasera auch das Trinken, bis der damalige SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz ihre Forderung erfüllte: ein öffentliches Gespräch über die Klimakrise.

Das gab es dann im November, aber es kam wenig dabei heraus. Noch am selben Abend kündigten Jeschke und Bonasera die Autobahnblockaden an. Mit Vorträgen rekrutieren sie Mitmacher, 300 sollen es inzwischen sein.

Die Politik scheint die Proteste inzwischen meist zu ignorieren

Die Aktivisten verstehen sich als gewaltfrei und beteuern, sie würden niemals Menschen in Gefahr bringen. Doch das ändert nichts daran, dass Autofahrer im Stau fluchten, teils auch wütend auf die Blockierer losgingen, die sich festgeklebt hatten. Mehrfach steckten auch Krankenwagen fest. Die Aktivisten landen regelmäßig in Arrestzellen, unter anderem wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Müssen Polizisten die festgeklebten Hände von der Fahrbahn lösen, werden Gebühren fällig, jeweils 241 Euro.

Bis Mitte August hatte allein in Berlin das Amtsgericht Tiergarten in 66 Fällen Strafen ausgesprochen - meist mehrere Hundert Euro. Da in 24 Fällen Einspruch erhoben wurde, kommt es ab dieser Woche zu mündlichen Verhandlungen. Der persönliche Einsatz ist also hoch. Doch wie schon beim Hungerstreik scheinen die Ziele der Aktionen manchmal diffus und in merkwürdigem Missverhältnis zu den Mitteln. "Bei den ersten Autobahnblockaden war der Bezug zu den Zielen nicht ganz ersichtlich", sagt der Berliner Protestforscher Dieter Rucht.

Zunächst verlangten die Blockierer ultimativ ein Essen-Retten-Gesetz gegen Lebensmittelverschwendung. Später schwenkten sie um. Die derzeitigen Forderungen: "1. Nordseeöl? Nö! Wir fordern eine Erklärung von Olaf Scholz, dass es kein neues Nordseeöl geben wird! 2. Öl sparen statt Bohren!" Unklar auch, wie es dem Klima hilft, wenn sich Menschen in der Berliner Gemäldegalerie an den Rahmen des Bilds "Ruhe auf der Flucht nach Ägypten" von Lucas Cranach kleben.

Die Politik scheint die Proteste nun weitgehend zu ignorieren. Erreicht worden sei Aufmerksamkeit, so Rucht. "Inwieweit sich das übersetzt in politische Wirkung, lässt sich schwerlich sagen." Prompte Ergebnisse zu erwarten, wäre vermessen. "Es gibt da diese Schwerfälligkeit der Politik, die Mühlen mahlen langsam, und zwar nicht nur bei Entscheidungen, sondern auch bei der technischen Umsetzung." Der Massenbewegung Fridays for Future ging während der Pandemie und des Ukraine-Kriegs irgendwie die Luft aus. Doch kleine, radikalere Initiativen wie die "Letzte Generation" gibt es inzwischen in etlichen Ländern. Es gab öffentlichkeitswirksame Aktionen bei der Tour de France und der Frauen-Fußball-EM.

Die nächste Welle von Blockaden ist schon in Vorbereitung

Und es gibt Förderer wie den Climate Emergency Fund in Beverly Hills. Dieser tätige "strategische Investitionen in neue Organisationen wie die ,Letzte Generation', die das tägliche Leben stören wollen, um massiven Druck auf Regierungen aufzubauen", erklärt Stiftungschefin Margaret Klein Salamon per E-Mail auf Anfrage. Wie viel Geld die deutsche Gruppe bekam, sagt Klein Salamon nicht. Insgesamt seien vergangenes Jahr fast drei Millionen Dollar an 33 Organisationen geflossen. Geld für die Stiftung spendete auch Aileen Getty, Enkelin des Ölmagnaten J. Paul Getty.

Aufhören zu stören und zu alarmieren wird die "Letzte Generation" also nicht, im Gegenteil. Die nächste Welle von Blockaden sei in Vorbereitung, sagt Lina Eichler. Die anstehenden Gerichtsprozesse wollen sie als Bühne nutzen. Und sie sind überzeugt, dass die Bewegung wächst. "Der Widerstand wirkt", sagt Eichler. In die Vorträge kämen mehr Leute, Umfragen zeigten Unterstützung, meint auch Jeschke. Beide widmen sich bis auf weiteres Vollzeit dem Protest. "Die Zuversicht ist, dass Wunder möglich sind, dass es in der Geschichte schnell gehen kann."

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