Deutschlands Chef-Spion hat sich verspitzelt
Dass es eng wird für den Ober-Spion der Republik, konnte man spüren. Doch BND-Präsident Ernst Uhrlau bleibt ein Rücktritt erspart – weil er mächtige politische Freunde hat.
Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) des Bundestages tagt stets hinter verschlossenen Türen. Was besprochen wird, ist Geheimsache. Doch gestern war bereits vor der Sitzung klar, worum es geht: Darum, ob Ernst Uhrlau, Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach dem neuen Skandal um bespitzelte deutsche Journalisten seinen Job behalten darf oder nicht.
Hans-Christian Ströbele, Grünen-Mitglied im PKG war sich seltenerweise völlig einig mit seinem CSU-Kollegen Hans-Peter Uhl. Ströbele: „In diesem Fall kommen wir ohne personelle Konsequenzen nicht aus.“ Und auch Uhl wollte einen Rücktritt Uhrlaus nicht mehr ausschließen.
Eigentlich wollte das PKG erst in zwei Wochen wieder zusammentreten – doch kurzerhand wurde das Treffen auf gestern vorgezogen – ein weiteres Indiz dafür, dass die Lage äußerst angespannt ist.
Der Chef kommt davon: Personelle Konsequenzen gibt es weiter unten
Über zwei Stunden lang stellten die neun PKG-Mitglieder Ernst Uhrlau gestern unbequeme Fragen. Ihm war die Sache sichtlich peinlich, sagen Teilnehmer der Runde später. Dann das Ergebnis: Uhrlau bleibt. Personelle Konsequenzen und Umsetzungen wird es nur auf der Ebene von Abteilungsleitern und in Stabsstellen geben.
Der Chef kommt also davon – aber er ist schwer beschädigt. Ihn rettete die schützende Hand der SPD: Weil Uhrlau auf SPD-Vorschlag Präsident des BND wurde, wäre ein Rücktritt eine Niederlage für SPD-Chef Beck. Das wollten die Sozialdemokraten eineinhalb Jahre vor den Bundestagswahlen nicht hinnehmen. Sollte es weitere Skandale geben, ist Uhrlau nicht mehr zu halten, heißt es in Berlin. Zu schwer wiegen die Skandale des BND während seiner Amtszeit.
Mitgelesen und abgehört
Wie war es zur Diskussion um einen Uhrlau-Rücktritt gekommen? Wieder haben BND-Spione Journalisten ins Visier genommen. Erst kam heraus, dass die Geheimen im 2006 mehrere Monate lang den Email-Verkehr zwischen der „Spiegel“-Journalistin Susanne Koelbl und einem afghanischen Politiker mitgelesen hatten. Dann meldete sich der frühere ZDF-Korrespondent Ulrich Tilgner, der ebenfalls aus Afghanistan berichtet hatte. Ein hoher deutscher Diplomat habe ihm in Kabul erklärt: „Sie müssen verstehen, dass Sie abgehört werden.“
Erst vor zwei Jahren hatte ein Bericht Bespitzelungs-Attacken der BND-Spione gegen Journalisten offengelegt (siehe Kasten). Uhrlau gab damals den reuigen Sünder, entschuldigte sich „für Rechtsverletzungen, die durch Maßnahmen des BND erfolgt“ seien und beteuerte: Sein Dienst werde Vorschläge für Reformen vorlegen, damit sich „ein solcher Vorgang“ nicht mehr wiederholt.
Trotzdem ist es nun wieder passiert. Die Vorwürfe: Entweder hat der BND-Chef seine Aufsichtspflicht verletzt, weil er von den Spitzeleien nichts mitbekam. Oder er hat davon gewusst – und geschwiegen.
Durch die Sitzung des PKG gestern scheint der Fall jetzt klarer: Nicht die Journalisten, sondern afghanische Politiker sollten überwacht werden. „Spiegel“-Journalistin Susanne Koelbl sei eher aus Versehen beschattet worden.
Versagt im Amt? der Spiegel prüft traf- und verfassungsrechtliche Konsequenzen
Uhrlau erfuhr von dem Fall im Dezember des vergangenen Jahres. Laut Vorschrift hätte er bereits vor der Schnüffel-Aktion Bescheid wissen müssen. Und auch nachdem der BND-Chef informiert wurde, ging alles schief: Laut Vorschrift muss Uhrlau zunächst das Kanzleramt unterrichten, das dann wiederum das Kontrollgremium des Bundestages informiert. Doch im Kanzleramt kam nichts an, obwohl Uhrlau eine derartige Anweisung gegeben haben will. Ein klassischer Fall von Amts-Versagen.
Die Chefredaktion des „Spiegel“ will die Sache jetzt straf- und verfassungsrechtlich überprüfen lassen, weil die Affäre ein gravierender Einschnitt in die Pressefreiheit sei. Das PKG stellt in einer Erklärung „eine erhebliche Grundrechtsverletzung der deutschen Journalisten“ fest. Mehr noch: Das Vertrauen zwischen dem PKG und der Leitung des BND sei „gestört“.
Eine wichtige Frage gibt es immer noch: Vor einer Woche erst entschuldigte sich Uhrlau bei der „Spiegel“-Journalistin Susanne Koelbl. Warum erst dann? Antwort: Geheimsache.
Volker ter Haseborg