Deutschland wählt
62,2 Millionen Wähler sind zur Stimmabgabe aufgerufen, in einigen Bundesländern lief die Wahl schleppend an, in Berlin und Thüringen kam es zu ersten Wahlpannen, so mancher Politiker und ein Rattenfänger haben ihre Stimmen bereits abgegeben.
Deutschland wählt einen neuen Bundestag. Zum Abschluss des Superwahljahrs 2009 hat am Sonntagmorgen in den bundesweit rund 80.000 Wahllokalen die Stimmabgabe für das neue Bundesparlament begonnen.
Insgesamt sind rund 62,2 Millionen Bürger wahlberechtigt. In zwei Bundesländern finden zugleich Landtagswahlen statt. Dazu sind in Schleswig-Holstein 2,22 Millionen und in Brandenburg 2,13 Millionen Stimmberechtigte aufgerufen. Der Ausgang der Bundestagswahl wird mit großer Spannung erwartet. Nach den Umfragen wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen CDU/CSU und FDP auf der einen sowie SPD, Grünen und Linkspartei auf der anderen Seite erwartet. Ob es zu der von Union und Liberalen angestrebten Bildung einer schwarz-gelben Koalition im Bund kommt, gilt daher als offen.
Wenn es dazu nicht reichen sollte, dürfte die Fortsetzung der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD die wahrscheinlichste Lösung sein. Ein Bündnis mit der Linkspartei lehnen SPD und Grüne im Bund strikt ab. Die FDP hat einer Ampelkoalition mit SPD und Grünen eine Absage erteilt, die Grünen haben die Bildung einer Jamaika-Koalition mit Union und FDP ausgeschlossen.
Wahl läuft schleppend an
In Niedersachsen gaben bis 10 Uhr 9,8 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme ab. Bei der Wahl 2005 waren es zum gleichen Zeitpunkt 11,1 Prozent. Auch in Bayern lag nach einer Umfrage der Deutschen Presse-Agentur dpa in sechs Städten die Beteiligung meist etwas unter den Werten von 2005. Allerdings wurde eine hohe Zahl von Briefwählern gemeldet. In Hessen lag die Beteiligung am Morgen etwa genauso hoch wie vor vier Jahren. In Hamburg betrug sie laut Landeswahlamt um 11 Uhr 31,8 Prozent. Darin sei eine Briefwahlbeteiligung von geschätzt 20,7 Prozent enthalten.
In einem Berliner Wahllokal im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf sind am Sonntagmorgen falsche Wahlzettel für die Bundestagswahl verteilt worden. Wie eine Sprecherin des Landeswahlleiters mitteilte, tauchten dort Stimmzettel eines anderen Wahlkreises mit anderen Kandidaten auf. Das Problem sei bereits behoben worden, fügte sie hinzu. Kreuze, die bereits auf den falschen Wahlzetteln abgegeben worden seien, müssten aber nun als ungültig gezählt werden. Wie viele Stimmabgaben zur Bundestagswahl davon betroffen sind, konnte sie nicht sagen. Im Briefkasten einer Thüringer Gemeinde fanden Wahlvorstände Wahlbriefe aus Wiesbaden und Köln. «Wie die da rein gekommen sind, ist schon verwunderlich», meinte die zuständige Kreiswahlleiterin, Regina Spieß. Leider könnten diese Stimmen bei der Auszählung zur Bundestagswahl an diesem Sonntag nicht berücksichtigt werden. Eine Schrecksekunde gab es in einem Wahllokal in Erfurt. Dort war eine Wahlurne kurzzeitig verschwunden. Diese fand sich jedoch rechtzeitig vor Öffnung der Lokale in einem benachbarten Raum wieder.
Rattenfänger und Politiker unter ersten Wählern
Der Nebel lag noch auf den Feldern, als Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit Ehemann Heiko in Beinhorn (Region Hannover) am Sonntag zum Wahllokal ging. Rund 150 Meter musste sie von ihrem Wohnhaus zu dem Hof zurücklegen, auf dem die Beinhorner wählen. Nach Gesprächen mit Wahlhelfern und Bürgern warf die Ministerin ihren Stimmzettel in die Wahlurne, die auf einem Baumstamm unter dem Vordach einer Scheune stand. SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier hat am Sonntagmorgen in Berlin-Zehlendorf seine Stimme abgeben. Gegen 10 Uhr war der SPD-Politiker und Bundesaußenminister gemeinsam mit seiner Frau Elke Büdenbender im Wahllokal in der katholischen Schule St. Ursula erschienen. Zahlreiche Medienvertreter sowie der Wahlleiter Thomas Heinrichs begleiteten den Urnengang. Bundeskanzlerin Angela Merkel wollte gegen 13 Uhr in Berlin-Mitte ihre Stimme abgeben. Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte seine Stimme per Briefwahl abgegeben. Für Aufsehen sorgte Christian Garbe, der als Rattenfänger von Hameln in buntem Kostüm zur Wahl schritt und Zeit für einen Schnack hatte.
FDP-Chef Guido Westerwelle schreitet in Bonn zur Wahl. Bereits am Morgen (10 Uhr) wird er in seiner Heimatstadt wählen gehen, um dann schnell nach Berlin zur FDP-Wahlparty zu fliegen. Der SPD-Vorsitzende Franz Müntefering hat am Sonntag «wahl-frei» - er entschied sich für Briefwahl. Per Brief gewählt hat laut Linkspartei auch ihr Vorsitzender Oskar Lafontaine, der im Saarland gemeldet ist.
Wahlkampf bis zum Schluss
Einen Tag vor der Wahl hatten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Herausforderer Frank-Walter Steinmeier noch ein letztes Mal auf Parteikundgebungen an ihre Anhänger gewandt. Merkel sprach auf der CDU-Abschlusskundgebung in Berlin, Steinmeier auf der letzten großen Wahlkampfveranstaltung der SPD in Dresden. Der Bundestag wird für vier Jahre gewählt, die beiden Landtage bleiben fünf Jahre im Amt. Entscheidend für die Sitzverteilung ist die Zweitstimme für die Landesliste der Parteien. Es wird aber erwartet, dass es im Bundestag eine größere Zahl an Überhangmandaten in den Wahlkreisen gibt.
3556 Kandidaten wollen Bundestagsmandate
Um die Stimmen für den 17. Deutschen Bundestag bewerben sich 27 Parteien mit Landeslisten. Um einen Abgeordnetensitz bewerben sich 3.556 Kandidaten. Neben den sechs im Bundestag vertretenen Parteien CDU, CSU, SPD, FDP, Linke und Grüne stehen am Sonntag auch Außenseiter wie die Piratenpartei, die Violetten oder die Tierschutzpartei zur Wahl.
Die Wahllokale schließen bundesweit um 18 Uhr, dann werden auch die ersten Prognosen veröffentlicht. Kurz darauf gibt es die ersten Hochrechnungen. Das vorläufige amtliche Endergebnis der Bundestagswahl wird nach Mitternacht erwartet, das der beiden Landtagswahlen liegt möglicherweise erst am frühen Montagmorgen vor. Bei der letzten Bundestagswahl am 18. September 2005 waren die CDU/CSU auf 35,2 und die SPD auf 34,2 Prozent gekommen. Es folgten die FDP mit 9,8, die Linkspartei mit 8,7 und die Grünen mit 8,1 Prozent.
Brandenburg und Schleswig-Holstein
Von den beiden Landtagswahlen findet die in Brandenburg regulär zum Ablauf der fünfjährigen Wahlperiode statt. Dagegen handelt es sich in Schleswig-Holstein um eine vorgezogene Neuwahl nach dem Ende der großen Koalition in Kiel. Dort zeichnete sich am Sonntagvormittag eine hohe Beteiligung ab. Bis 11 Uhr hatten bei sonnigem Frühherbstwetter 25,9 Prozent der 2,2 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimmen abgegeben. Bei der letzten Landtagswahl 2005 waren es um diese Zeit erst 17,2 Prozent gewesen. Bei der Wahl vor vier Jahren im nördlichsten Bundesland war die CDU unter dem jetzigen Ministerpräsidenten Peter Harry Carstensen mit 40,2 Prozent stärkste Kraft geworden. Es folgten die SPD mit 38,7, die FDP mit 6,6 und die Grünen mit 6,2 Prozent. Auch der als Partei der dänischen Minderheit von der Fünf-Prozent-Hürde befreite Südschleswigsche Wählerverband SSW zog mit 3,6 Prozent in den Kieler Landtag ein. In Brandenburg waren die Sozialdemokraten unter Ministerpräsident Matthias Platzeck vor fünf Jahren mit 31,9 Prozent stärkste Kraft geworden. Es folgten die Linkspartei/PDS mit 28,0, die CDU mit 19,4 und die rechtsextremistische DVU mit 6,1 Prozent. (AP/dpa/nz)