Deutschland stimmt Euro-Verträgen zu
Berlin/Karlsruhe - Sofort nach der Verabschiedung der Gesetze jeweils mit Zweidrittel-Mehrheit in beiden Kammern gingen in der Nacht zum Samstag in Karlsruhe erste Klagen ein. Die Linksfraktion und andere Kläger wollen die Verträge stoppen lassen. Bis zu einer Entscheidung liegt die deutsche Ratifizierung auf Eis. Der dauerhafte Rettungsschirm ESM kann daher nicht wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten.
Im Bundestag wie um Bundesrat wurde zuvor die notwendige Zweidrittel-Mehrheit klar erreicht. Im Bundestag votierten nur die gesamte Linksfraktion und einzelne Abgeordnete anderer Fraktionen - auch von Union und FDP - mit Nein. Im Bundesrat stimmten 15 von 16 Bundesländern für die Verträge, nur das von SPD und Linken regierte Brandenburg war nicht dafür. Bei der Abstimmung über den Rettungsschirm ESM im Bundestag verfehlte die schwarz-gelbe Koalition allerdings die Kanzlermehrheit.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Fraktion, Volker Beck, lastete dies Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) an: " Merkel ist europapolitisch nicht mehr ohne Unterstützung der Koalition handlungsfähig. Und das nicht nur, wenn sie eine Zweidrittel-Mehrheit braucht", sagte Beck. "Damit geht sie geschwächt aus der Abstimmung am Freitag." Ähnlich reagierte der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann: "Das ist eine weitere Niederlage für Bundeskanzlerin Angela Merkel." Merkel könne sich weder in Brüssel noch in Berlin durchsetzen. "Die Bundeskanzlerin bekommt diese Krise seit zwei Jahren nicht in den Griff. Hierfür hat sie von den eigenen Leuten die Quittung bekommen."
Merkel sagte vor den Abstimmungen in einer Regierungserklärung, der Bundestag mache der Welt mit seinem Votum deutlich: "Wir stehen zum Euro." Die Kanzlerin hatte SPD und Grüne in der vergangenen Woche mit der Zusage einer Finanztransaktionssteuer und eines Milliardenprogramms für Wachstumsimpulse auf ihre Seite gebracht. Den Bundesländern sicherte sie unter anderem zu, etwaige Strafzahlungen für sie zu übernehmen.
Der Fiskalpakt verpflichtet die Unterzeichner unter anderem, ausgeglichene Haushalte anzustreben. Ferner sollen die Staaten nationale Schuldenbremsen einführen und in ihrem Recht verankern - kontrolliert vom Europäischen Gerichtshof EuGH. Der Rettungsschirm mit einem Stammkapital von 700 Milliarden Euro soll Mitgliedsstaaten der Eurozone unterstützen, die in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind. Deutschland haftet als größter Euro-Staat mit knapp 200 Milliarden Euro.
Unmittelbar nach der Bundesratsabstimmung faxte die Linke nach Angaben eines Fraktionssprechers ihre Klage nach Karlsruhe. Auch der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler ließ gegen Mitternacht seine Verfassungsbeschwerde von einem Boten an der Pforte des Gerichts abgeben. Zudem wurde die Beschwerdeschrift des Vereins "Mehr Demokratie" eingereicht, der sich nach dessen Angaben rund 12 000 Bürger angeschlossen haben. Diese Klage wird von der früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) und dem Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart vertreten. Die Eilverfahren dürften einige Wochen dauern.
In einer Pressemitteilung Gauweilers hieß es, Fiskalpakt wie ESM würden "in schwerwiegender Weise gegen das Demokratieprinzip verstoßen". Däubler-Gmelin erläuterte: "Wir klagen gegen die Verträge, weil sie einen Demokratieabbau im doppelten Sinne bedeuten. Zum einen werden unwiederbringlich Haushaltskompetenzen und Souveränitätsrechte des Bundestages nach Brüssel abgegeben. Dadurch wird das Bundestags-Wahlrecht entwertet." Zum anderen laufe die Ratifizierung völlig hektisch und an der Bevölkerung vorbei. Auch Linke-Fraktionschef Gregor Gysi monierte im Bundestag, dass die Budgethoheit des Parlaments gravierend eingeschränkt werde.
Merkel nannte die deutsche Zustimmung zu den Verträgen dagegen ein "wichtiges Signal der Entschlossenheit und der Geschlossenheit" nach innen wie nach außen. "Mit diesen Verträgen machen wir unumkehrbare Schritte hin zu einer nachhaltigen Stabilitätsunion." CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe erklärte nach der Abstimmung: "Die breite Parlamentsmehrheit für den ESM und den Fiskalpakt ist ein starkes Signal für Europa. Der Kurs von Bundeskanzlerin Angela Merkel hat großen Rückhalt im Bundestag bekommen."
FDP-Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle zeigte sich zuversichtlich zum Ausgang der Verfahren in Karlsruhe: "Ich kann und will der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht vorgreifen, aber ich bin davon überzeugt, dass die heutigen Beschlüsse zum Fiskalpakt und ESM auch aus rechtlicher Sicht Bestand haben werden", sagte er der "Welt am Sonntag".