„Deutschland ist ein Teil des Problems“

Die Bundesregierung hat sich im Nahost-Konflikt auf die Seite Israels geschlagen. Das kritisiert nicht nur der Münchner Palästinenser Fuad Hamdan, sondern auch die Münchner Jüdin Judith Bernstein.
von  Abendzeitung
Fuad Hamdan und Judith Bernstein sind befreundet - ihre Völker befinden sich im Krieg.
Fuad Hamdan und Judith Bernstein sind befreundet - ihre Völker befinden sich im Krieg. © Gregor Feindt

MÜNCHEN - Die Bundesregierung hat sich im Nahost-Konflikt auf die Seite Israels geschlagen. Das kritisiert nicht nur der Münchner Palästinenser Fuad Hamdan, sondern auch die Münchner Jüdin Judith Bernstein.

Fuad Hamdan ist Palästinenser. Judith Bernstein wurde in Israel geboren. In ihrer Heimat herrscht Krieg. Und das schon seit Ende Dezember. Fuad Hamdan und Judith Bernstein treffen sich regelmäßig zu Gesprächen, in der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München“. Sie kennen die Position der anderen Seite. Und sie finden beide: Dieser Krieg muss sofort enden. Im AZ-Gespräch nehmen sie Stellung.

AZ: Frau Bernstein, ist die israelische Offensive im Gazastreifen richtig?

JUDITH BERNSTEIN: Nein, sie ist falsch. Natürlich muss ein Staat seine Bürger schützen. Ich verurteile die Kassam-Raketen. Allerdings: Wenn man der Hamas den Vorwurf macht, dass sie mit ihren Angriffen die Zivilbevölkerung trifft, dann muss man diesen Vorwurf auch der israelischen Regierung machen. Man darf nicht in Kauf nehmen, dass Zivilisten umkommen.

Herr Hamdan, wie sehen Sie das?

FUAD HAMDAN: Genauso. Man könnte sich auf beiden Seiten viel Leid sparen, wenn die israelische Seite von Anfang an bereit gewesen wäre, echten Frieden zu schließen. Die Hamas wurde vor drei Jahren demokratisch gewählt. Der Westen predigt uns Palästinensern immer Demokratie. Und wenn wir Demokratie ausüben, dann ist sie auf einmal nicht mehr okay, wenn wir die Falschen wählen. Die Hamas ist eine Widerstandsbewegung, sie macht viel falsch, ich finde auch die Kassam-Raketen nicht gut. Aber verglichen mit den Waffen Israels sind das Spielzeuge.

Ganz unschuldig sind die Palästinenser an ihrer Situation nicht. Hamas und Fatah sind völlig zerstritten. Können sie sich zusammenraufen?

HAMDAN: Die Fatah ist ein korrupter Haufen. Sie wollten ihre Pfründe nach der verlorenen Wahl vor drei Jahren nicht verlieren. Und die Unterstützungsgelder der Europäer fließen weiter an die Fatah im Westjordanland, während meine Familie im Gazastreifen in einem Flüchtlingslager verhungert. Die Weltgemeinschaft muss beiden Parteien sagen, dass sie sich an einen Tisch setzen sollen, sonst gibt es kein Geld mehr. Ich bin kein Hamas-Anhänger und ich will auch keinen islamischen Staat. Ich will weiter mein Bier und meinen Wein trinken. Aber die Hamas hat nicht alleine die Schuld an der Situation im Gazastreifen.

Wie sehen Sie die Hamas, Frau Bernstein?

BERNSTEIN: Hamas ist nicht Hamas. Es gibt auch unter Hamas-Leuten gemäßigtere Kräfte. Man muss versuchen, mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Herr Hamdan, warum erkennt die Hamas Israel nicht endlich an?

HAMDAN: Auch Israel erkennt den palästinensischen Staat nicht an. Um zu verhandeln, muss man sich nicht gegenseitig anerkennen. Man muss erst mal verhandeln, bis man zu einem Ergebnis kommt.

Wie bewerten Sie die Haltung der Bundesregierung?

BERNSTEIN: Darin sind wir uns einig: Mit der Unterstützung der israelischen Politik treibt die Bundesregierung Israel in die Selbstisolation.

HAMDAN: Frau Merkel macht sich zur Komplizin des israelischen Staatsterrors an den Palästinensern. Wenn ich unsere Kanzlerin sehe, wird mir schlecht, wie einseitig sie ist.

Sie wirken so einmütig. Gibt es nicht irgendetwas, worüber Sie streiten können?

HAMDAN: Unser Dissens liegt in der Beurteilung der deutschen Öffentlichkeit. Unsere jüdischen Freunde vermuten eine falsche Solidarität und glauben, dass viele Deutsche ihre eigene Vergangenheit aufrechnen wollen.

BERNSTEIN: Israel behauptet ja immer, für die Juden zu sprechen. Aber dagegen wehre ich mich. Man hat manchmal schon den Eindruck, dass die Deutschen jeden Juden als Unterstützer der israelischen Politik begreifen. Vergleiche mit dem Dritten Reich bringen nichts – nach dem Motto, dass die Israelis jetzt das machen, was die Deutschen im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben – und jetzt sind wir quitt. Ich bin nicht für die Israelis oder die Palästinenser. Sondern ich bin für die Menschen, die dort leben und Frieden wollen.

Was erwarten Sie von Deutschland?

BERNSTEIN: Manchmal denke ich, man kann von Deutschland wegen der deutsch-jüdischen Vergangenheit nicht so viel erwarten. Ich glaube aber, dass die Bundesrepublik mehr Möglichkeiten der Einflussnahme hätte.

HAMDAN: Ich bin da skeptisch. Die Regierung ist sehr einseitig – sie ist zu hundert Prozent auf der Seite Israels. Die Bundesregierung ist eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösung des Problems.

Herr Hamdan, welche Art von Hilfe erwarten Sie von der arabischen Welt?

HAMDAN: Von der arabischen Welt erwarte ich nichts: Die Regierungen sind alle korrupt und damit beschäftigt, ihre eigene Macht zu sichern. Die Palästinenser sind immer im Stich gelassen worden. Wenn die arabische Welt einiger wäre, könnte man Druck auf die USA ausüben, dass sie wiederum Druck auf Israel ausüben. Ohne diesen Druck kann der Konflikt nicht gelöst werden.

Was erwarten Sie sich vom neuen US-Präsidenten Barack Obama, Frau Bernstein?

BERNSTEIN: Vielleicht sind gerade die Juden in Amerika die treibende Kraft: Viele Kommentatoren finden, dass sich die USA von Israel vorführen lassen. Viele wollen nicht mehr hinter der israelischen Politik stehen.

HAMDAN: Ich bin nicht so optimistisch. Obama übernimmt von Bush gigantische Probleme. Der neue Stabschef im Weißen Haus ist ein Israeli, Obamas Außenministerin Hillary Clinton ist die größte Israel-Unterstützerin in Washington. Ich habe mich zwar über die Wahl Obamas gefreut, nicht aber über die Wahl seiner Mitarbeiter. Ich fürchte, Obama wird uns enttäuschen.

BERNSTEIN: Die Weltgemeinschaft muss den Konfliktpartnern endlich sagen, dass es so nicht mehr weitergeht. Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder diese beiden Völker leben zusammen – oder sie gehen zusammen unter.

Wie kann eine Lösung aussehen?

HAMDAN: Die Palästinenser wollen eine Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967. Solange die Palästinenser ihren Staat nicht bekommen, wird keine Ruhe einkehren. Dieser Krieg wird dann nicht der letzte gewesen sein.

BERNSTEIN: Ich hätte kein Problem damit, wenn beide Bevölkerungen in einem Staat leben. Aber nach all dem Hass? Im Moment sind die Israelis gegenüber den Palästinensern in jeder Hinsicht im Vorteil: politisch, wirtschaftlich, technologisch. Deshalb brauchen die Palästinenser einen eigenen Staat.

HAMDAN: Israel müsste sagen: Wir entschuldigen uns für das, was wir euch angetan haben. Nicht nur im Gazakrieg, auch 1948 bei der israelischen Staatsgründung. Diese Entschuldigung fehlt. Wenn ein Regierungschef das macht, wären das schon 90 Prozent der Arbeit.

BERNSTEIN: Die Israelis kennen die Palästinenser nicht. Sie dürfen nicht in die Gebiete reisen und sehen nicht, was in ihrem Namen dort passiert. Umgekehrt nehmen viele Palästinenser die Israelis nur als Soldaten wahr. In München leben wir auf neutralem Boden. Das ist unser Vorteil. In der Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe unterscheiden wir nicht nach religiöser oder nationaler Herkunft, sondern für uns sind wir nur Menschen.

Interview: Volker ter Haseborg, Anja Timmermann

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