Deutsche Wirtschaft schrumpft erstmals wieder – Kein Absturz
Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal erstmals seit knapp vier Jahren wieder geschrumpft – doch ein Absturz steht nicht bevor. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos hält von einem Konjunkturprogramm "überhaupt nichts."
Wiesbaden Die deutsche Wirtschaft ist im zweiten Quartal erstmals seit knapp vier Jahren wieder geschrumpft – doch ein Absturz steht nicht bevor. Zwar bremsen die Finanzmarktkrise, der starke Euro und der hohe Ölpreis das Wachstum.
Das Minus war aber geringer aus als erwartet und erklärt sich zum Teil als Gegenbewegung zum ersten Quartal, das vor allem wegen des milden Winters und Steuereffekten gut ausgefallen war. Die Wirtschaft wird 2008 laut Prognosen robust um knapp zwei Prozent zulegen. Im zweiten Quartal ging das Bruttoinlandsprodukt laut Statistischem Bundesamt real um 0,5 Prozent gegenüber Vorquartal zurück.
Kein Anlass zum Pessimismus
Auch wenn sich die Zeichen für einen Abschwung mehren, warnen Unternehmer, Bundesregierung und die EU-Kommission davor, die Lage schlecht zu reden. Die Wirtschaft im Euro-Raum schwächelte im zweiten Quartal mit minus 0,2 Prozent zum Vorquartal. Die Zahlen seien nicht überraschend, sagte die Sprecherin von EU-Wirtschaftskommissar Joaquín Almunia. „Man sollte sich nicht übertrieben pessimistischen Gefühlen hingeben.“
Rechnet man für Deutschland die Zahlen seit Jahresbeginn zusammen, so ergibt sich im ersten Halbjahr ein deutlicher Zuwachs von 1,2 Prozent gegenüber dem vorangegangenen Halbjahr. Die Deutsche Bundesbank sieht daher trotz der eingetrübten Aussichten keinen Anlass zum Konjunkturpessimismus und erklärte: „Die deutsche Wirtschaft muss in den kommenden Monaten eine konjunkturelle Durststrecke überwinden.“ Die Bundesregierung rechnet für das Gesamtjahr mit 1,7 Prozent – das wäre das dritte Jahr in Folge mit einem starken Wachstum nach 2,9 Prozent in 2006 und 2,5 Prozent in 2007.
Kein Konjunkturprogramm
„Die Wachstumsabschwächung im zweiten Quartal hatten wir erwartet“, erklärte Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU). Reformen und die Sanierung vieler Firmen hätten die Wettbewerbsfähigkeit und Widerstandskraft der deutschen Wirtschaft verbessert. Glos lehnt ein Konjunkturprogramm ab. Davon halte er „überhaupt nichts“, sagte der Minister dem „Handelsblatt“ . Die Wirkungslosigkeit solcher Programme habe sich bereits in den 70er Jahren erwiesen.
Für 2009 rechnen viele Experten nur noch mit einem Zuwachs von einem Prozent. Die Nachfrage aus Europa nach Waren „Made in Germany“ geht wegen der Schwäche der europäischen Nachbarn zurück. Im zweiten Quartal war in Deutschland der Export trotz des starken Euro aber der wichtigste Wachstumsmotor. „Den deutschen Unternehmen gehen die Kunden nicht aus“, sagte der Präsident des Groß- und Außenhandelsverbandes BGA, Anton Börner. Die Nachfrage aus Russland, China und den Golfstaaten sei nach wie vor hoch.
Hohe Inflation
Die Binnenkonjunktur sprang dagegen nicht an. Als Reaktion auf den guten Jahresauftakt schwächelte der Bau wie erwartet und die Firmen investierten weniger in Maschinen und Anlagen. Im ersten Quartal hatten das gute Wetter und auslaufende Steuervorteile den Bau und die Investitionen angekurbelt. Nur deshalb wuchs die Wirtschaft mit 1,3 Prozent – die erste Berechnung hatte auf 1,5 Prozent gelautet – so stark wie seit mehr als acht Jahren nicht mehr. Dieser Schub fehlte im Frühjahr. Einen Rückgang hatten die Statistiker zuletzt im dritten Quartal 2004 mit minus 0,2 Prozent verzeichnet.
Für das Minus im zweiten Quartal war auch die Kaufzurückhaltung der privaten Haushalte verantwortlich. Die Konsumausgaben gingen weiter zurück – wohl auch wegen der hohen Inflation, die wegen Preissprüngen bei Öl und Lebensmitteln mit 3,3 Prozent immer noch auf dem höchsten Stand seit 15 Jahren verharrt.
Die europäische Wirtschaft schwächelt
Für 2008 sind die Aussichten für den Konsum aus Sicht des Marktforschungsunternehmens GfK nicht rosig. „Es ist davon auszugehen, dass die Rahmenbedingungen für die Haushalte bis zum Jahresende infolge der absehbaren Bremsspuren für die Konjunktur nicht wesentlich besser werden und die Inflation auf erhöhtem Niveau verharrt“, sagte GfK-Chef Klaus Wübbenhorst der Finanz-Nachrichtenagentur dpa-AFX.
Auch die europäische Wirtschaft schwächelt. Nach Angaben des Europäischen Statistikamtes Eurostat schrumpfte die Wirtschaft in den 15 Euro-Ländern im zweiten Quartal um 0,2 Prozent. In den 27 EU-Staaten ergab sich ein Minus von 0,1 Prozent. Hohe Preise für Sprit, Heizöl und Lebensmittel hielten die Teuerung im Euroland mit 4,0 Prozent auf Rekordniveau. Einer Befragung der Europäischen Zentralbank (EZB) zufolge erwarten Experten für 2008 eine deutlich höhere Inflationsrate von 3,6 Prozent statt wie bislang 3,0 Prozent.
Alarmsignal?
Im zweiten Quartal stieg das BIP in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um 3,1 Prozent, kalenderbereinigt um 1,7 Prozent. Am Arbeitsmarkt, der der Konjunktur hinterherläuft, verbesserte sich die Lage weiter. Die Zahl der Erwerbstätigen stieg um 566 000 auf 40,2 Millionen. Das BIP misst den Wert aller produzierten Güter und Dienstleistungen.
Die Zahlen zum Wirtschaftswachstum lösten unterschiedliche Reaktionen aus. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) nannte die Daten „ein Alarmsignal für die Wirtschaftspolitik“ und forderte eine „konsequente Strategie, um das Wachstumspotenzial der deutschen Wirtschaft nachhaltig zu steigern“.
Mehr Netto vom Brutto
Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), Otto Kentzler, forderte eine Steuer- und Abgabenentlastung der Privathaushalte, um den Konsum zu fördern. „Die Menschen brauchen dringend mehr Netto vom Brutto.“ Auch die Bundestagsfraktion die Linke verlangte von der Bundesregierung, Beschäftigung und Investitionen zu stützen.
(dpa/AZ)