Deutsche Malteser-Helfer zwischen den Fronten
MÜNCHEN/GRÖBENZELL Es war ein gnadenloser Krieg. „Hart und brutal“, erinnert sich Walter Ruhland. „Menschen mit abgerissenen Gliedmaßen kamen zu uns, Kinder mit offenen Bäuchen.“ Es ist über 40 Jahre her, dass Ruhland, der heute einen Meister-Betrieb für Allradfahrzeuge in Gröbenzell betreibt, mit dem Malteser Hilfsdienst in Vietnam war, aber an vieles kann er sich noch erinnern, als wäre es gestern passiert.
Vietnam – das war für die Studentenbewegung der späten 1960er und der 1970er Jahre das Synonym für US-Imperialismus, für Gräueltaten in einem blutigen Stellvertreter-Krieg: Kaltblütige Exekutionen von Zivilisten, das Massaker von My Lai, Bombardierungen mit Napalm und Agent Orange. Für Menschen wie Walter Ruhland war Vietnam einfach ein Ort, an dem sie helfen wollten – und von dem manche nicht mehr zurückkehrten. Der Münchner History Channel hat dem Einsatz der Freiwilligen nachgespürt und erzählt ihre Geschichte in der Doku „Die Legion - Deutscher Krieg in Vietnam“ am kommenden Sonntag,
„Wir sahen zum ersten Mal nach dem zweiten Weltkrieg Krieg schreiende Not“, erinnert sich Christa von Richthofen, die 1966 mit ihrem Mann an die Deutsche Botschaft in Saigon ging. Die Diplomaten-Gattin (Hermann von Richthofen war Referent für humanitäre Hilfe in Saigon) fühlte sich als Botschafterin eines anderen, besseren Deutschlands. Andere trieb Abenteuerlust, manchen auch Naivität.
„Heute würde ich das nicht mehr machen“, sagt Bernhard Diehl. „Es war ein Bürgerkrieg. Wir hatten dort nichts verloren.“ Heute kennt der Psychotherapeut kluge Worte für das, was mit ihm in Vietnam passierte: „Habituation“, die wachsende Resistenz gegen das Gefühl der Bedrohung. Mit banalen Worten: Wer ständig in Gefahr lebt, nimmt sie irgendwann nicht mehr wahr. Aber die Gefahr blieb der ständige Begleiter der jungen Leute – besonders, wenn sie in umkämpften Gebieten eingesetzt wurden.
Es war die Zeit des Kalten Krieges. Die USA befürchteten, auch in Südostasien werde sich der Kommunismus ausbreiten. Deutschland wollte gut 20 Jahre nach dem Ende des Dritten Reichs seine Verbundenheit mit den Amerikanern unter Beweis stellen, aber auf keinen Fall in Kriegshandlungen eingreifen. Also unterstützte die Bundesrepublik nur humanitäre Einsätze.
Das Sanitätsschiff „Helgoland“ legte im Hafen von Saigon an. Jeder Vietnamese konnte sich dort behandeln lassen, natürlich umsonst. Im Land schlugen Helfer des Roten Kreuzes und der Malteser im wahrsten Sinn des Wortes ihre Zelte auf, versorgten Wunden, halfen Frauen, wenn sie niederkamen, päppelten unterernährte Kinder auf.
Die DDR instrumentalisierte währenddessen den Vietnamkrieg für einen Propagandafeldzug gegen Westdeutschland: Die Bundesrepublik als Vasall der Amerikaner, die freiwilligen Helfer im Arztkittel als verkappte Militärhelfer für die Südvietnamesen. In den Staatsmedien wurde von einem geheimen Kontingent westdeutscher Soldaten fabuliert – der „Legion Vietnam“. Die „Helgoland“ wurde im „Neuen Deutschland“, dem Zentralorgan der SED, in einer Karikatur als Kriegsschiff dargestellt – mit einem Soldaten als Galionsfigur. Albert Norden, berüchtigter Propaganda-Verantwortlicher im Politbüro der SED, ließ erfundene Zeugen aufmarschieren, die vom Kampf westdeutscher Einsatzkräfte gegen die Kommunisten in Vietnam berichteten. Die Lügen wirkten, in der DDR und in Vietnam. Für die Vietcong waren Menschen wie Bernhard Diehl oder Walter Ruhland Handlager des Westens.
Und die Kommunisten waren nicht zimperlich. Auf das Konto des vietnamesischen Führers Ho Chí Minh gehen direkt und indirekt je nach Schätzung zwischen eine und vier Millionen Tote. „Die Studenten in Deutschland nannten ihn einen Revolutionär“, sagt Thanh Nguyen-Brem, der in Manching lebt und lange Zeit für die vietnamesischen Katholiken im Erzbistum München und Freising arbeitete. „Für mich ist er ein Massenmörder.“
Besonders unter der Zivilbevölkerung richteten Guerillas und Kommunisten Gemetzel an. Wer im Verdacht stand, mit den USA zu kollaborieren, wurde ohne großes Federlesen abgeschlachtet. US-Offizier Warren Bud Williams erinnert sich an eine Familie, die die Vietcong im Busch aufknüpften – nachdem sie ihnen ihre abgeschnittenen Gliedmaßen in den Mund gesteckt hatten.
„Hier ist ja richtig Krieg“, dachte sich Bernhard Diehl erstaunt, als er 21-jährig in Vietnam ankam. Im Wehrdienst hatte er sich zum Sanitäter ausbilden lassen, hier war er der Leiter des Malteser-Teams in An Hoa. Tagsüber galt das Gebiet als sicher. Nachts war es „contested area“, ein Bereich, in dem Guerilla-Truppen der Vietcong, die den Einflussbereich der nordvietnamesischen Kommunisten ausweiten wollten, unterwegs waren. Diehl und sein Team kümmerten sich um verletzte Kämpfer beider Seiten und um die Zivilbevölkerung.
Und sie erkundeten die Gegend. Immer wieder wagte Diehl Ausflüge in die wilde, unberührte Landschaft. Auch am 27. April 1969 machte er sich zusammen mit vier anderen Maltesern auf. „Einziger Proviant waren zwei Zitronen, denn nachmittags um vier wollten wir wieder zurück sein“, erinnerte sich später die Kinderkrankenschwester Monika Schwinn. Ihre Unbekümmertheit sollte den jungen Leuten zum Verhängnis werden. Sie gerieten in einen Hinterhalt der Vietcong.
„Sie riefen ’cat dau’, „Kopf ab“, erzählte Schwinn. Es folgte ein Martyrium. Zu Fuß wurden die jungen Leute kreuz und durch den Dschungel getrieben, schliefen in primitivsten Unterkünften, bekamen praktisch nichts zu essen und tranken von Ungeziefer verunreinigtes Wasser aus Tümpeln und Bächen. Binnen zweier Tage waren drei Malteserhelfer schwer krank, litten an hohem Fieber. Alle hatten Hungerödeme. Zuerst starb die 19-jährige Malteserhelferin Marie-Luise Kerber, dann zwei weitere Freiwillige.
„Hindrika Kortmann war voller Wasser gewesen, da schläft man so ein“, berichtete Schwinn später in einem Interview. Sie selbst war sieben Wochen ohne Bewusstsein. Während der Regenzeit konnten die Gefangenen der Vietkong im vietnamesischen Dschungel oft ihr eigenes Wort kaum verstehen, so lärmend fiel das Wasser auf ihre Unterkünfte. Der Eiweiß- und Vitaminmangel führte dazu, dass die Haare ausfielen, der Körper voller Wasser war.
Die Deutschen ließen gezwungenermaßen Politunterricht über sich ergehen – und ließen sich nicht auf Diskussionen mit ihren Wärtern ein. „Mir war die ganze Zeit über klar“, berichtet Bernhard Diel, „dass ich diesen Menschen intellektuell und moralisch weit überlegen war“. Ein Hochmut, der ihm beim Überleben half.
Am schlimmsten, sagt Diehl heute, war für ihn die Einzelhaft in einem Lager, als ihm die Vietcong drohten, für jeden gefallenen Offizier ihrer Seite würden sie einen westlichen Helfer erschießen. „Ich saß drei Tage vor einer Schlinge, die ich mir geknüpft hatte, um mich aufzuhängen. Am dritten Tag nahm ich sie ab und fasste drei Entscheidungen: 1. Ich komme hier raus. 2. Ich studiere Medizin. 3. Ich erwerbe einen Doktortitel.“ Er verwirklichte seine Pläne – aber erst drei Jahre später. 1973, als sich die USA im Pariser Abkommen zum Abzug ihrer Truppen verpflichteten und Nordvietnam zusagte, alle Kriegsgefangenen freizulassen, kamen Diehl und Schwinn frei. Das Abkommen kam zu spät für die drei Mitgefangenen Diehls, zu spät für fünf weitere Helfer, die zuvor Aktionen der Vietkong zum Opfer gefallen waren.
Für die Menschen im Land ging der Krieg weiter. Schon vor dem Abkommen waren Hunderttausende Nordvietnamesen vor den Kommunisten in den Süden geflohen. Hektisch evakuierten im April 1975 die verbliebenen US-Militärs und die CIA tausende Menschen pro Tag aus dem umkämpften Saigon. Der Krieg endete erst im Mai 1975 mit der Einnahme Saigons. Susanne Stephan
Die Legion. Deutscher Krieg in Vietnam. History Channel (über Kabel oder Sky per Satellit), 27. Oktober, 22 Uhr
Der Vietnam-Krieg: 60 000 tote US-Soldaten, Millionen tote Zivilisten
Ein Stellvertreter-Konflikt verwüstete Vietnam seit Mitte der 1940er Jahre: Auf den Widerstand der Kommunisten gegen die französische Kolonialmacht folgte die Teilung des Landes im Jahr 1954. Im Süden gingen die Kämpfe weiter. Dort versuchten die Kommunisten, ihren Einflussbereich auszuweiten. In den USA wurde dies mit Sorge verfolgt: Wenn Vietnam fällt, fällt ganz Asien, fürchtete Washington. Amerika unterstützte Südvietnam zunächst mit militärischen Beratern. Am 8. März 1965 landeten die ersten US-Kampftruppen im Land. Es gelang ihnen sogar, Gebiete, die die Kommunisten bei der Tet-Offensive erobert hatten, zurückzugewinnen. Am Ende waren die Amerikaner aber der Guerilla-Taktik der Nordvietnamesen unterlegen. Die USA versuchten, Nachschubwege der Kommunisten auch in den Nachbarländern zu unterbinden, marschierten in Kambodscha und Laos ein – was die Länder weiter destabilisierte. Währenddessen wuchs der Widerstand in den Vereinigten Staaten und ihren wichtigsten Verbündeten gegen den Krieg. Der Zustand der US-Truppen war bedenklich, fast jeder zweite Soldat nahm Heroin. Erst spät rückte der damalige US-Sicherheitsberater Henry Kissinger von seiner Überzeugung ab, eine „viertklassige Macht“ wie Vietnam werde schon noch aufgeben. Die US-Führung hatte ihre Möglichkeiten heillos überschätzt, musste ihre Truppen 1975 abziehen. Die Bilanz des Konfliktes: 60000 tote US-Soldaten, Millionen tote Vietnamesen.