Der Wiederaufsteher

MÜNCHEN - Die Basis mag ihn,die Funktionäre nicht. Horst Seehofer übernimmt den Chefposten der CSU in einer denkbar ungünstigen Situation.
Aufgegeben hat er nie. Noch auf der Wiesn, in der Woche vor der Wahl, da brach es aus Horst Seehofer heraus: „Die Schlacht ist nicht verloren.“ Er meinte den Kampf um den Posten des CSU-Chefs, den er vor einem Jahr noch nicht bekam. Jetzt fällt ihm das Amt zu, unter anderen Umständen, als er wollte, und später – vielleicht zu spät. Seehofer, einer der schillerndsten und imposantesten Figuren der deutschen Politik, ein Mann, der die Höhen und Tiefen des Lebens kennt, ist wieder mal oben.
Nur den Triumph darüber, den darf der 59-Jährige nicht zeigen. Dafür ist die Lage der Partei, an deren Spitze er stehen soll, zu verheerend. Und dazu ist er, den die Katastrophe nach oben gespült hat, zu kritisch beobachtet von einer CSU-Funktionärsriege in Bayern, die ihm in tiefer Abneigung verbunden ist. Aber sie haben keine Wahl.
Um große Worte ist der große Mann (1,91 Meter) nie verlegen, und so sprach der Verwaltungswirt aus Ingolstadt auch gestern von großen Zielen. „Die CSU in ihrem Mythos, in ihrer Einmaligkeit und in ihrer Erfolgsgeschichte zu stabilisieren“, dafür trete er an. Am 25. Oktober, auf dem Sonderparteitag, will er gewählt werden. Das ist wenig Zeit, um Köpfe und Herzen der Skeptischen zu gewinnen.
Hüne mit großem Selbstbewusstsein
Sie haben ihn schon immer mit Distanz betrachtet, den attraktiven und überaus selbstbewusst auftretenden Hünen. Zu unberechenbar, zu eigensinnig schien er in einer Partei, die „Geschlossenheit“ wie eine Monstranz vor sich her trug. Schon als Gesundheitsminister unter Helmut Kohl (seit 1992) eckte er an. Im undankbaren Feld zwischen Kassen, Ärzten und Pharma-Industrie versuchte Seehofer das Unmögliche, eine Gesundheitsreform, die diesen Namen verdient. Zwar ist Seehofer letztlich gescheitert, so wie alle vor und nach ihm, doch er behielt das Amt bis zum Machtwechsel 1998, und er verließ das Amt als unerreichbar kompetentester Gesundheitspolitiker der Union.
Für seine eigene Gesundheit allerdings übersah er alle Alarmsignale. 2001 war es, als er mit einer lebensgefährlichen Herzmuskelentzündung zusammenklappte. Gegenüber dem Sachbuchautor Jürgen Leinemann („Höhenrausch“) gestand Seehofer, dass er süchtig sei, süchtig nach der Politik und ihrem Betrieb. „Wer sein persönliches Alarmsystem überhört, den hat die Sucht fest im Griff“, schrieb Leinemann. Seehofer nimmt keine Rücksicht auf sich und wenig auf andere.
In der eigenen Partei ist er oft genug angeeckt: Weil er sich nach internen Niederlagen schon mal zwei Tage lang in sein Berliner Appartement verkroch, zum Beispiel. Dem Vernehmen nach ernährte er sich dann von Tütensuppen und spielte mit seiner Eisenbahn.
Ein Kämpfer gegen "Neoliberale"
Für dauerhaften Ärger, vor allem beim Wirtschaftsflügel der Partei, sorgt sein klares Profil als Sozialpolitiker, das er über Jahre beibehalten hat. Seit Bundeskanzlerin Angela Merkel mit ihrem neoliberalen CDU-Wahlprogramm die Wahl 2005 fast doch noch verloren hätte, ist Seehofers Politik wieder im Aufwind. Dafür spielt er als Agrar- und Verbraucherminister im Kabinett Merkel eher eine Nebenrolle.
Erst im Februar wetterte er massiv gegen „Neoliberale in der Union“. Eine stärkere Wirtschafts-Orientierung der Union sei kontraproduktiv: „Damit ziehen wir uns in den 30-Prozent-Turm zurück, und verschenken ein riesiges Wähler-Potential.“ Kritiker in München spotten gerne über den „Herz-Jesu-Politiker“, der selbstverliebt sei, nicht teamfähig und dazu absolut unberechenbar.
Wasser auf die Mühlen der zahlreichen Gegner lieferte Seehofer mit einer folgenreiche Affäre in Berlin. Die wurde 2007 pünktlich zum anschwellenden Machtkampf mit Erwin Huber bekannt und hat Seehofer schwer in Bedrängnis gebracht. Während Ehefrau Karin sich in Ingolstadt um die drei Kinder (16, 20, 21) kümmerte, unterhielt der Vater ein Verhältnis mit einer Juristin. Aus der Beziehung mit der Mitarbeiterin des Bundestagskollegen Laurenz Meyer stammt das mittlerweile einjährige Töchterchen Anna.
"Privatleben regeln"
Seehofer brauchte quälende Monate, „um mein Privatleben zu regeln“, wie er es der CSU versprochen hatte. Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Vertrauen, das seien „Werte, die unverzichtbar“ seien, sagte er im Sommer 2007 im AZ-Interview: Allerdings: „Man braucht nicht den Eindruck zu erwecken, unfehlbar zu sein“, und: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.“ Schließlich entschied er sich: „Mein Zuhause ist die Familie in Ingolstadt.“
Bei allen Eskapaden hat sich Seehofer auf eine Verbündete in der CSU verlassen können. Die Basis liebt den fulminanten Bierzeltredner und eigenwilligen Wiederaufsteher. Bei der Wahl zum Parteivize nach der Niederlage gegen Huber bekam er 91,8 Prozent der Stimmen, ein Traumergebnis. Ob er so ein Resultat am 25. Oktober auch erreicht, ist fraglich. Um den „Mythos der CSU“ zu retten, könnte er es gut gebrauchen.
Matthias Maus