Der Weichspül-Gipfel

BRÜSSEL - Auf ihren Treffen in Brüssel verwässern Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihre Kollegen Reformen, damit alle Mitglieder zufrieden sind. Kompromisse gibt's beim Klimaschutz, der Konjunktur-Maßnahmen und bei EU-Reformen
Nicolas Sarkozy war in seinem Element: „Was hier geschieht, ist historisch“, jubelte Frankreichs aktionistischer Staatschef zum Ende des Brüsseler EU-Gipfels. Dabei präsentierte der Ratspräsident nach zwei Tagenb erbitterten Feilschens eine sehr verwässerte Abschlusserklärung. Ob Konjunktur, Klimaschutz oder EU-Reformen – der Gipfel spülte alles weich, teilweise bis zur Unkenntlichkeit. Außenminister Frank-Walter Steinmeier murmelte etwas von „verantwortbaren Kompromissen“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel bewies derweil, dass ihre Fähigkeit zum Humor nur sehr begrenzt ausgeprägt ist: „Heute ist ,Yes' an der Tagesordnung – oder ,Oui' angesichts der französischen Ratspräsidentschaft“, witzelte sie bemüht auf ihrer Pressekonferenz. Zuvor hatte sich die Deutsche selbstverständlich als „Madame Non“ präsentiert: Vor allem auf Merkels Druck hin verzichteten die Staats- und Regierungschefs darauf, den Mitgliedstaaten eine neue Tür zu Mehrwertsteuersenkungen zu öffnen. Sarkozy hatte vorgeschlagen, die Mehrwertsteuer auf Restaurantrechnungen und andere Dienstleistungen sowie umweltfreundliche Produkte zu senken. Deutschland ist jedoch traditionell ein strikter Gegner von ermäßigten Mehrwertsteuersätzen – Finanzminister Peer Steinbrück fürchtet Steuermindereinnahmen in Milliardenhöhe. Innerhalb der EU beträgt der Mindestsatz für die Mehrwertsteuer derzeit 15 Prozent. Falls Mitgliedstaaten die Schwelle unterschreiten wollen, muss das einstimmig gebilligt werden.
Subtileren Humor als Bundeskanzlerin Angela Merkel bewies der britische Außenminister: Zwischen Downing Street und Deutschland gebe es kein Zerwürfnis, was staatliche Hilfen für die Wirtschaft anbelange, gurrte David Miliband: „Frau Merkel ist überhaupt nicht verstimmt, sie ist sehr mit der Debatte über die wirtschaftliche Zukunft Europas beschäftigt.“ Zuvor hatte Steinbrück darüber gespottet, dass Briten-Premier Gordon Brown die Mehrwertsteuer senkt: „Kauft man wirklich einen DVD-Spieler, weil der jetzt 39,10 statt 39,90 Pfund kostet?“
In der Klimapolitik dagegen zückte Merkel das Scheckbuch, um ein Nein anderer zu verhindern. Um die störrischen Osteuropäer samt Italiens Klimaschutzskeptiker Silvio Berlusconi auf die Linie zu zwingen, den europaweiten CO2-Ausstoß bis 2020 um ein Fünftel zu senken, gibt’s Milliardenhilfen vom reichen Vetter aus dem Westen – Polen und andere sollen damit modernere Kraftwerke bauen. Polen habe „ein großes Geschenk angenommen“, freute sich Premier Donald Tusk über den vorweihnachtlichen Scheck. Die Umweltverbände sprachen dagegen von einem „schwarzen Tag“. Merkel habe sich von der Klimakanzlerin zur „Dienstmagd der Industrie“ gewandelt.
Das haben die Chefs der EU-Staaten beschlossen
Konjunkturprogramm: Im Kampf gegen die Wirtschaftskrise schnürten die Staats- und Regierungschefs ein Konjunkturpaket, das 200 Milliarden Euro enthält – das entspricht 1,5 Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Alle Mitglieder zeigten sich prinzipiell bereit, „ungefähr“ 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für zusätzliche Maßnahmen einzusetzen – zur Ankurbelung der Wirtschaft. Das Geld ist vor allem für kleine und mittlere Unternehmen vorgesehen. Ob in der Gastronomie und anderen „arbeitsintensiven Dienstleistungen“ ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz eingeführt wird, bleibt jedem Mitgliedsstaat selbst überlassen. Mit 170 Milliarden Euro sollen die EU-Staaten den Löwenanteil des Pakets stemmen, 30 Milliarden soll die Europäische Investitionsbank bereitstellen. Die nationalen Programme – wie das deutsche in Höhe von 32 Milliarden Euro – werden angerechnet – es entspricht bislang nur etwa einem Prozent der Wirtschaftsleistung.
Klimaschutz: Die EU hält zwar ihr Klimaschutzziel aufrecht, den Treibhausgas-Ausstoß bis 2020 um 20 Prozent unter das Niveau von 1990 zu drosseln. Allerdings machten die Staatschefs den schlimmsten Energiefressern große Zugeständnisse. Zum einen nehmen wirtschaftsstarke Länder wie Deutschland den ost- und mitteleuropäischen Staaten finanzielle Lasten ab. Zum anderen peitschte Bundeskanzlerin Angela Merkel höchstselbst in Brüssel durch, dass die Klimaschutzkosten für die Schwerindustrie massiv gesenkt werden. Energie-intensive Branchen wie Stahl- oder Zementfabriken – insgesamt 80 Prozent der Industrie – sollen ihre Emissionszertifikate weiter gratis erhalten, sofern sie moderne technische Standards erfüllen. Die restlichen 20 Prozent der Firmen müssen bis 2013 rund 30 Prozent, 2020 dann 100 Prozent ihrer CO2-Scheine ersteigern. Für Polen und andere Länder mit alten Kohlekraftwerken gibt’s Ausnahmeregelungen.
EU-Verfassung: Die irische Regierung verpflichtet sich, den EU-Reformvertrag bis Ende 2009 doch noch zu ratifizieren. Im Gegenzug haben die 26 anderen Staats- und Regierungschefs weitreichende Zugeständnisse gemacht, die den Iren eine neue Volksabstimmung im Herbst 2009 schmackhaft machen sollen. Unter anderem kippten sie die vorgesehene Verkleinerung der EU-Kommission. Das bedeutet, dass auch künftig jeder Mitgliedsstaat einen Kommissar nach Brüssel entsenden darf. Darüber hinaus sicherte die EU Dublin zu, dass der „Lissabon“-Vertrag weder die Neutralität noch die Steuer- und die Abtreibungspolitik in Irland berührt.
Markus Jox