"Der Wandel ist in Amerika angekommen!"

Jubel, Tränen, versöhnliche Worte: Amerika erlebt den Sieg Obamas in einer langen Nacht der Versöhnung. Der Sieger gibt sich staatsmännisch - und löst bei seinen Töchtern ein skurriles Versprechen ein
von  Abendzeitung

WASHINGTON - Jubel, Tränen, versöhnliche Worte: Amerika erlebt den Sieg Obamas in einer langen Nacht der Versöhnung. Der Sieger gibt sich staatsmännisch - und löst bei seinen Töchtern ein skurriles Versprechen ein

Es ist 4.59 Uhr, da fallen die entscheidenden Worte beim Fernsehsender CNN: „Barack Obama ist der nächste gewählte Präsident der USA.“ Und dann bricht sich die ganze Anspannung, das Bangen, Fiebern und Zittern der letzten 633 Tage, in gigantischem Jubel Bahn: Mehr als 100.000 Menschen im Grant Central Park in Chicago schreien und weinen, sie fallen sich in die Arme, sie hüpfen wie wild. Der ganze große Park ist ein einziges Fahnenmeer, und immer wieder erklingt der Schlachtruf, mit dem Barack Obama vor einem Jahr in Springfield, Illinois, seinen beispiellosen Siegeszug durch die Vereinigten Staaten begann: „Yes we can!“

"Die Bundesstaaten fallen wie Dominosteine"

Yes they did. Sie haben Barack Obama zum ersten schwaren Präsidenten gemacht. In einer gigantischen, nie gekannten Wählermobilisierung. Stundenlang waren sie vor den Wahllokalen Schlange gestanden, vor allem die jungen Afro-Amerikaner. Und so zeichnete sich der Ausgang dieser Nacht schon ab ein Uhr ab – „die Bundesstaaten fallen wie Dominosteine“, sagte ein CNN-Korrespondent, einer nach dem anderen färbte sich Obama-Demokraten-Blau. Obama gewann die heftig umkämpften Staaten Ohio, Pennsylvania und Virginia. Insgesamt holte der 47-jährige Senator aus Illinois 293 der Wahlmännerstimmen, sein republikanischer Rivale John McCain nur 139.

Überraschung: McCain gibt sich versöhnlich

Kurz nach der Wahl stellte sich John McCain seinen Anhängern im historischen Biltmore-Hotel in Phoenix, Arizona. „Das amerikanische Volk hat gesprochen“, sagte er. „Ich hätte mir ein anderes Ergebnis gewünscht, aber ich gratuliere Barack Obama.“ Die Anwesenden im Frank-Lloyd-Wright-Ballsaal schauen bedrückt. Und dann sagt er: „Der Fehler liegt bei mir, nicht bei euch.“ McCains Vize-Kandidatin Sarah Palin steht neben dem Gescheiterten, lächelt und applaudiert ganz Hockey-Mom, als sei nichts geschehen. Viele geben ihrer Nominierung die Schuld dafür, dass die Wahlkampagne so fürchterlich in die Hose ging. Ihre Patzer, ihre Unbeholfenheit, all das hat das Team „McCain/Palin“ für viele Republikaner unwählbar gemacht. Die Republikaner-Party ist die absolute Gegenveranstaltung zu den Demokraten: Hier in Phoenix die schick gekleideten, perfekt geföhnten Ladys mit Champagnergläsern zwischen adretten Blumen-Buketts.

Obama harrt im Hotel aus

Und dort in Chicago die Riesen-Party im Park, mit Softdrinks und Bier aus Pappbechern, mit Riesenleinwand und Plastikstühlchen, mit Fahnen, Stickern, selbstgemachten T-Shirts, bemalten Gesichtern und Obama-Brillen. Sogar die Chicagoer Skyline hat sich feingemacht – der Sears-Tower strahlt in Blau-Weiß-Rot, riesengroß prangt „AMERICA“ an einer Hausfassade. Der künftigen Präsident lässt sich Zeit mit seinem Auftritt vor der Menge. „Obama, Obama“ rufen die Anhänger. Er verfolgt die Abstimmung in einem nahe gelegenen Hotel, bei ihm seine Frau Michelle und die beiden Töchter.

"Die Reise ist zu Ende"

Um kurz vor sechs Uhr früh deutscher Zeit trat er endlich vor die jubelnde Menge. In der Menschenmasse: Prominente wie Brad Pitt, Oprah Winfrey und Jesse Jackson, der zu Tränen gerührt war. Obama bemühte sich sichtlich, schon wie ein Präsident aufzutreten. Seine Miene: ernst. Seine Gesten sparsam. Jetzt will er nicht mehr der jugendliche Polit-Popstar sein, sondern ein Staatsmann. Demensprechend moderat fiel auch seine Rede aus: „Wenn noch irgendjemand daran zweifelt, dass Amerika ein Land ist, in dem alles möglich ist - der bekommt den heutigen Abend als Antwort“, rief er den Massen zu. "Der Wandel ist in Amerika angekommen." Und er appelierte an die Bürger, zusammenzuhalten: „Wir sind keine Nation von blauen und roten Staaten. Wir sind die Vereinigten Staaten von Amerika.“ Obama erwähnte die Kriege in Afghanistan und dem Irak und die Finanzkrise. Es müssten jetzt „neue Jobs geschaffen, Allianzen repariert werden“. Dafür würden die USA „mehr als ein Jahr brauchen“. Aber: „Wir werden es schaffen, das verspreche ich.“ Ein Versprechen will er aber schon schnell einlösen: Seinen Töchtern hat er einen Welpen versprochen, falls er ins Weiße Haus einzieht. Obama wirkte euphorisch, glücklich – aber auch abgeschlafft. Er hatte sich so sehr gewünscht, dass seine Großmutter diesen Abend noch erleben würde. Sie war einen Tag zuvor an Krebs gestorben. Als er gestern Morgen seine Stimme abgegeben hatte, sah er die versammelte Presse an und sagte nur einen Satz: „Die Reise ist zu Ende.“

Annette Zoch

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