Der Vorbeter

In der CSU geht’s jetzt nach Gehorsam und Befehl. Partei-Chef Horst Seehofer fühlt sich als der Pionier beim Atom-Ausstieg. Das will er sich von niemandem vermasseln lassen.
Andechs - Auf dem heiligen Berg ist alles gerichtet. Seit Jahrhunderten ziehen Pilger zum Kloster Andechs und beten: „Vater unser, dein Wille geschehe“. Der richtige Ort für CSU-Chef Horst Seehofer an diesem Wochenende. Er versprach die CSU zur Mitmachpartei zu machen. Das heißt nun: Die Partei muss alles mitmachen, was er will. Zum Beispiel den Blitzausstieg aus der Atomkraft bis 2022. Seehofer sieht sich als Pionier der Energiewende. Er betet’s den Christsozialen vor. Die beten’s nach, ob sie wollen oder nicht. Keiner traut sich den Märtyrer zu machen. Stattdessen verbreitet sich Galgenhumor in der CSU: „Da machst was mit, in der Mitmachpartei.“
Für Seehofer, der die Parteispitze am Freitagnachmittag in Andechs zu seinem großen Energiegipfel anpilgern ließ, ist es eine Entscheidung, die eine neue Epoche einleiten wird: So wie die CSU einst die Atomkraft in Bayern einführte, um das Land erglühen zu lassen, will Seehofer die Atomkraft nun abschaffen, damit seine CSU nicht verglüht, bei den Wahlen 2013.
Als die Landtagsfraktion diese Woche darüber entscheiden musste, schien es jedoch alles andere als epochal. Bei der Abstimmung waren nur noch 50 der 92 CSU-Abgeordneten anwesend. Zuvor musste schon geprüft werden, ob das Gremium überhaupt noch beschlussfähig ist.
Ein Großteil der Abgeordneten hatte sich verzogen: „Was soll’s, ist doch eh wurscht, ob wir da sind oder nicht“, machten sie ihrem Verdruss Luft. Seehofer fühlt sich einig mit der Kanzlerin: „Wir haben es diskutiert, darüber geschlafen, wieder diskutiert. Das ist kein Schnellschuss.“ Die Kanzlerin aber, die gestern Abend nach Andechs kam, handelt das Atom-Thema kurz ab. Sie will Seehofer und den Seinen vor allem ihre Strategie zur Rettung des Euros klarmachen. Das ist für Bundeskanzlerin Angela Merkel im Moment wichtiger.
Der Architekt für die Energiewende in Bayern ist Umweltminister Markus Söder. Er fühlt sich als der erste Grüne bei den Schwarzen. Weil seine Frau daheim den drei Kindern nichts Genmanipuliertes auftischen wollte, musste die CSU umdenken. Bayern wurde überraschend genfreie Zone. Nun soll es auch atomfreie Zone werden. Söder als der Veränderer der Welt. Zumindest der weiß-blauen.
Dabei hatte er gar keinen Bock mehr auf sein Umweltministerium, wollte ein anderes Ressort, wo er sich mehr profilieren könnte. Er blitze ab. Die Fraktion wollte ihn nicht als Vorsitzenden. Innenminister Joachim Herrmann wollte nicht nach Berlin, damit Söder künftig für Sicherheit und Recht im Freistaat hätte sorgen können.
Die Doktorarbeit von Guttenberg und Fukushima haben alles verändert. Jetzt ist der Umweltminister der große Macher. Und Seehofer macht alles mit. Nur die CSU will ihm nicht so blindlings folgen wie zuvor ihrem Ex-Hoffnungsträger bei der Abschaffung der Wehrpflicht. Deshalb herrscht Seehofer nun nach Befehl und Gehorsam.
Skeptiker, die nicht spuren, und erst über den Weg in ein neues Energiezeitalter und danach über das Ausstiegsjahr diskutieren wollen, werden niedergemacht. Einer persönlichen Auseinandersetzung geht der Parteichef aus dem Weg. An die Front schickt er Söder. Der rächt sich an seinen Feinden in der Fraktion als „ewig Gestrige“, „Betonköpfe“ und „ Retros.“
Als Seehofer-Vorgänger Erwin Huber, der jetzt als Chef des Wirtschaftsausschusses im Landtag für Energie zuständig ist, monierte, die Wähler wollten „keine grünlackierte CSU“, kam es gleich zu zwei Zusammenstößen mit Söder. Seehofer dagegen verließ den Raum, als Huber in der Fraktion seine Argumente vorbrachte.
So soll in Kloster Andechs jetzt der Schulterschluss geübt werden. „Und erlöse uns von dem Bösen, denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit, in Ewigkeit. Amen!“ Wer mit diesem urchristlichen Seehofer-Motto für die CSU ein Problem hat – nebenan in der berühmten Klosterwirtschaft kann man seinen Frust mit Andechser obe schwoam.