Der Unvollendete darf weitermachen

Die Wiederwahl von Barack Obama ist das entzauberte Mandat für den 44. Präsidenten der USA. Der Visionär von 2008 muss nun als Realpolitiker Amerikas Wandel fortsetzen. Ein Kommentar von Stephan Kabosch.
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Die Wiederwahl von Barack Obama ist das entzauberte, sie ist das rationale Mandat für den 44. Präsidenten der USA. Der Visionär von 2008 muss nun als Realpolitiker Amerikas Wandel fortsetzen. Ein Kommentar.

Es ist nicht mehr dieser Zauber von 2008, der einem neuen Anfang innewohnt, nicht mehr der erhoffte Aufbruch in ein anderes Amerika, das Brücken zwischen seine getrennten Rassen und Klassen baut, das Gegensätze überwindet, das nach den Bush-Kriegen die tief getroffene Wirtschaft wieder ankurbelt, aus den Vereinigten Staaten die geeinte Nation macht, das Amerika eines besseren Morgen. Nein, diese Wiederwahl von Barack Obama ist das entzauberte, sie ist das rationale Mandat für den 44. US-Präsidenten. Das allein ist gewaltig genug.

Dabei wäre es zu kurz gegriffen, von einer zweiten Chance für Barack Obama zu sprechen. Das würde die Leistungen des ersten schwarzen Präsidenten kleiner machen als sie in Wahrheit sind. Sicher, selten zuvor hat ein US-Präsident so viel versprochen und so wenig gehalten. So groß, so überzogen waren die auch von ihm selbst geweckten Erwartungen gewesen, dass Enttäuschungen unvermeidbar waren: Das Lager Guantanamo auf Kuba, dessen Schließung Obama versprochen hatte, existiert noch immer. Die Arbeitslosenquote liegt bei knapp acht Prozent, der wirtschaftliche Aufschwung schreitet langsamer voran als erhofft. Und die gesellschaftlichen Gräben in God’s own country sind so tief wie vor vier Jahren. Aber dennoch: Gemessen an dem so schwierigen Erbe, das George Bush seinem Nachfolger hinterlassen hat, ist Obamas erste Bilanz leicht positiv.

Als erster US-Präsident hat er eine Gesundheitsreform auf den Weg gebracht, durch die mehr als 30 Millionen Amerikaner erst versichert sind. Er hat mehr Rechte für Homosexuelle geschaffen. Das Wirtschaftswachstum mag bescheiden sein, aber heute haben mehr Amerikaner Arbeit als vor dem Amtsantritt Obamas. Der Friedensnobelpreisträger hat den Terroristen Osama bin Laden zur Strecke gebracht und die Diplomatie in der Außenpolitik wiederentdeckt. Und er setzte sich als mitfühlender Krisenmanager während des Hurrikans Sandy in Szene. Das mag politisches Glück in der Katastrophe gewesen sein, aber Obamas Vorgänger war daran gescheitert. Diese Wiederwahl ist also weniger eine zweite Chance als vielmehr ein Auftrag, das Unvollendete zu einem Abschluss zu bringen.

Ein Stück weit entzaubert ist auch Barack Obama selbst. Längst hat sich der Visionär zu einem Realpolitiker gewandelt. Das „Yes, we can“ ist immer nur die Kunst des Möglichen, die stets auch abhängt von den Machtverhältnissen im Kongress, mit dem der Präsident zusammenarbeiten muss. Und da hat die republikanische Machtübernahme im Repräsentantenhaus zur Hälfte der ersten Amtszeit dem Präsidenten das Leben nicht gerade leichter gemacht. Rationale Kompromisse statt träumerischer Visionen – das könnte das Motto für diese zweite Amtszeit sein. Doch genau daran, an der Fähigkeit zum Kompromiss, mangelte es dem mit einem riesigen Ego ausgestatteten Obama bisher allzu oft. Der Präsident muss einen praktikablen Weg im Umgang mit dem Repräsentantenhaus finden. Schafft er dies nicht, dann drohen den USA vier Jahre Stillstand.

Das wäre fatal im Angesicht der drängenden Probleme der Supermacht: Der alte und neue Präsident muss das gigantische Haushaltsdefizit in den Griff bekommen, er soll der Wirtschaft weitere Impulse geben, die richtige Antwort finden auf die iranische atomare Bedrohung – politisch und womöglich auch militärisch. Und nebenbei wird Obama auch seine Gesundheitsreform weiterführen  wollen und die Versprechen eines modernen, eines liberalen, eines offenen Amerika doch noch einzulösen versuchen.

Barack Obama ist ein politisches Talent, wie es vielleicht nur alle paar Jahrzehnte einmal vorkommt. Ohne diese Wiederwahl wäre er ein tragischer Held geworden. So aber kann er sich aufmachen, die Überschrift für seine Präsidentschaft zu finden, seinen Platz in den Geschichtsbüchern.

 

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