Der unheilvolle Drang nach oben

MÜNCHEN - Der Deutsche Alpenverein stellt seine neue Statistik vor. Vor allem Selbstüberschätzung fordert beim Wandern und im Klettersteig immer mehr Opfer. Vor einigen Touren warnen die Experten besonders.
Seine Ehefrau hörte nur einen Schrei. Als sie sich beim Abstieg von der Ostwand des Watzmann umdrehte, sah sie ihren Mann noch stürzen – 60 Meter tiefer knallte der erfahrene Bergsteiger gestern auf ein Schotterfeld. Er war sofort tot. Ein aktueller Fall, aber kein Einzelfall: Der Deutschen Alpenverein hat nun seine neuen Zahlen über Bergunfälle vorgestellt.
Erst am Dienstag war es in den bayerischen Alpen zu einem dramatischen – wenngleich glimpflichen – Zwischenfall gekommen. Eine Seniorengruppe wollte zu Bayreuther Hütte aufsteigen. „Wir waren alle wie süchtig“, sagt Wanderer Konrad Krämer. Doch auf halbem Weg machten die Ersten schlapp, kurz darauf kollabierte Krämers Frau Irmgard. Ein weitere Seniorin zog sich beim Sturz einen dreifachen Knöchelbruch zu. Acht der Wanderer mussten schließlich ins Tal gebracht werden, drei von ihnen mit dem Hubschrauber der Bergwacht – sie alle haben ihre Kondition überschätzt.
„Über die Hälfte aller Unfälle passiert wegen Herz-Kreislauf-Versagen“, sagt Florian Hellberg, Bergführer beim Deutschen Alpenverein, der AZ. „Die Zahl der Wanderunfälle ist deutlich gestiegen.“ Immerhin ein Drittel aller Bergunfälle passieren beim Wandern – die Unfallquote ist damit genauso hoch wie auf der Skipiste. Das letzte Drittel der Unfälle entfällt auf Bergsteiger, Hochtourengeher, Felskletterer und Mountainbiker.
"Drahtseile täuschen falsche Sicherheit vor"
Wandern – ein gefährliches Hobby? Die DAV-Zahlen sprechen dafür: Die Noteinsätze auf Wanderwegen in den Alpen haben sich in den vergangenen Jahren verdoppelt. Allein bis Juni diesen Jahres, also vor der Hauptsaison, musste die bayerische Bergwacht 385 Wanderer bergen – aber nur sieben Bergsteiger. Tödliche Extrem-Alpin-Unfälle wie am Nanga Parbat sind laut DAV die Ausnahme.
Dafür mehren sich die Unglücke an Klettersteigen. „Ein neuer Trend“, sagt Hellberg. Seit 2000 gibt es 50 Prozent mehr Unfälle, „denn die Eisenleitern und die Drahtseile täuschen falsche Sicherheit vor“. Wie bei den Wanderwegen wird auch bei Klettersteigen die Herausforderung unterschätzt. „Es sind meist Leute mit wenig Erfahrung, die verunglücken“, sagt Alpenexperte Stefan Winter. Und Männer über 50 Jahren: Sie haushalten nicht mit ihren Kräften, ihnen wird schwarz vor Augen, sie stolpern oder stürzen. Viele legen auch die Gurte schlicht falsch an.
In diesem Jahr hat auch Neuschnee die Wanderer überrascht – und in lebensgefährliche Situationen gebracht. Allein 34 Mitglieder des Deutschen Alpenverein starben 2007 in den Bergen, die Schweizer Bergwacht spricht sogar von über 2000 Noteinsätzen. „Es ist die Kombination aus Unerfahrenheit und dem Hochhinauswollen, die die Menschen in Gefahr bringt“, sagt Andrea Händel vom DAV. Sie warnt vor den so genannten Prestige-Bergen Bayerns, auf denen jedes Jahr Wanderer verunglücken:
Die fünf gefährlichsten Touren
Die Zugspitze mit 2962 Meter ist der Unfall-Berg schlechthin. Den Aufstieg durch das Höllental sollten sich – wie der Name schon sagt – nur geübte Wanderer zutrauen. Vielen geht die Puste aus.
Der Watzmann mit 2713 Meter hat mit der Ostwand eine der höchsten Wände der Alpen. Auch der leichteste Weg hat die Schwierigkeitsstufe III. Die meisten Unfälle passieren bei Schneeschmelze oder durch Steinschlag.
Der Heilbronner Weg (höchster Punkt: 2615 Meter) ist der hochalpinste Höhenweg im Allgäu. Gerade bei Schlechtwetter ist er schwierig – eine Herausforderung ist auch der Schnee, der oft bis in den Sommer liegen bleibt.
Der Mindelheimer Klettersteig (2320 Metern) ist zwar gut mit Drahtseilen versichert – doch es braucht gute Kondition. Und schwindelfrei sollte man sein: Zum Teil ist das Gelände auch ungesichert.
Der Hindelanger Klettersteig bei Oberstdorf (2280 Meter) ist durchaus anspruchsvoll – vor allem wegen der langen Dauer und weil es viele unversicherte Passagen gibt.
„Es muss nicht jeder auf den Gipfel“, sagt Händel. „Auch ohne Gipfelsturm ist Wandern ein einzigartiges Erlebnis.“ Ihre Tipps für das kommende Wochenende: „Bei Regen bleiben Sie am besten in den tiefen Lagen, bei einem Gewitter empfiehlt es sich möglichst früh aufzubrechen.“
Anne Kathrin Koophamel