Der tiefe Riss
MÜNCHEN - „Die einen kämpfen, die anderen nicht.“ Die 44. Sicherheitskonferenz in München zeigt: Afghanistan stürzt die NATO in die Krise. Der Riss ist tief im Bündnis, die Lage ernst.
Es flogen keine Funken, niemand schleuderte Blitze, über Strecken war die Sicherheitskonferenz so aggressiv wie ein Nähkränzchen. Doch wenn Politiker, Generale und Strategen, die sonst bereit sind, zum äußersten zu gehen, plötzlich ganz friedlich werden, dann ist wirklich was faul. Und so war’s auch im bayerischen Hof.
Die Zeiten haben sich geändert, breite Nadelstreifen sind ein bisschen aus der Mode. Und die „Neocons“, die knallharten Bush-Leute, die die Welt in den Irak-Krieg und die Deutschen Teilnehmer in die Verzweiflung trieben, sie sind heuer gar nicht mehr nach München gekommen. Robert Gates, Nachfolger von Donald Rumsfeld und noch ein knappes Jahr Verteidigungsminister der USA, ist ein bedächtiger Mann: Er wolle „keine Panik machen“, aber doch lässt er nicht locker: „Es darf keine Zweiteilung in der Nato geben“, sagt der ehemalige CIAChef: „Die einen kämpfen, die anderen nicht“.
Rückendeckung von fast der ganzen US-Delegation
Gates nennt keine Namen, aber die Deutschen sind an empfindlicher Stelle getroffen. Freundlich und leise werden sie in die Drückeberger- Ecke gestellt. Da wollen sie aber nicht hin. Gates hat Rückendeckung von fast der ganzen US-Delegation. Selbst Kenneth Roth, Chef der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, sekundiert: „Soldaten sichern das Leben der Menschen“, die Deutschen würden sich ja nicht mal im Norden mit den Kriegsherrn anlegen. So eine Front schmiedet zusammen, es kommt zum großen deutschen Schulterschluss.
„Befremdlich“ sei die Diskussion, sagte Außenminister Steinmeier, was auf Diplomatie- Deutsch höchsten Ärger signalisiert. Mit „großem Selbstbewusstsein“ sollten die Deutschen dem Ansinnen der USA entgegentreten, meint ein großer selbstbewusster Jürgen Trittin, und selbst FDPChef Guido Westerwelle verweist auf den Konsens „aller Parteien“.
Während sich Verteidigungsminister Franz-Josef Jung im Saal bemüht, als Fachminister endlich ernst genommen zu werden, schütteln im Foyer die deutschen Fachleute den Kopf. Militärisch sei der Krieg in Afghanistan nicht zu gewinnen. Das müssten die USA begreifen: „Die Taliban verschwinden nicht,“ sagt ein Experte. Am besten machten es noch die Deutschen mit ihren Wiederaufbau- Teams im Norden, meint Wolfgang Ischinger, der ab nächstes Jahr die Konferenz leiten wird. Ganz Super- Diplomat leugnet er, was doch offensichtlich ist: „Wir sind nicht auf der Anklagebank.“
„Wir müssen uns nicht verstecken“
Zumindest wehrt sich die Gastgeber tapfer: „Wir müssen uns nicht verstecken,“ sagt Außenminister Steinmeier. Man werde nicht gefährden, was man im Norden erreicht habe. Das sei ja „respektabel“, sagte US-Senator Lindsey Graham. „Aber der Kampf ist im Süden“. Dass mehr Soldaten mehr Sicherheit bedeute, das hätten die USA gerade im Irak gelernt „Wir lernen langsam, aber sicher.“ Neue amerikansche Bescheidenheit. Wenigstens etwas Flexibilität sollten die Deutschen zeigen. Immerhin ist eine Aufstockung des Kontingents um 1000 weitere Bundeswehr-Soldaten im Gespräch: Wie ein solches Mandat allerdings durch den Bundestag gehen soll, das fragt sich nicht nur Rainer Arnold, der SPD-Verteidigungs-Sprecher die Stimmung der Abgeordneten kennt.
Der Riss ist tief im Bündnis, die Lage ernst. Wie ernst, zeigt das Ultimatum der Kanadier. Sie kämpfen im Süden Afghanistans, und sie haben viele tote Soldaten zu beklagen. Entweder wir kriegen heuer 1000 Mann Verstärkung, so die Drohung aus Ottawa, oder wir sind 2009 raus aus Afghanistan. „Das Schicksal der Nato entscheidet sich in Afghanistan“, sagt US-Senator Lieberman. „Eine Niederlage gegen die Taliban, die Mädchen erschießen, weil sie in die Schule gehen, können wir uns nicht leisten.“
MATTHIAS MAUS