Der Streit ums älteste Gewerbe der Welt
MÜNCHEN Teurer Sex: Wer in Frankreich in Zukunft die Dienste einer Prostituierte in Anspruch nehmen will, dem könnte eine hohe Geldstrafe drohen. Gestern hat die Nationalversammlung dazu ein neues Gesetz auf den Weg gebracht, über das jetzt noch der Senat abstimmen muss: 1500 Euro Strafe soll es kosten, zu einer Prostituierte zu gehen, im Wiederholungsfall mehr als das Doppelte. Bislang ist es andersherum: Französische Prostituierte werden bestraft, wenn sie potenzielle Freier aktiv anwerben.
Ein Sexkaufverbot in der Stadt der Liebe. Was in Frankreich noch debattiert wird, ist in Schweden bereits seit mehr als zehn Jahren Realität. Und auch andere europäische Länder diskutieren über strengere Regeln für Prostitution.
So wird auch in Deutschland seit Wochen über Prostitution gestritten. Zwar fordern nicht alle ein komplettes Verbot wie Alice Schwarzer in ihrem prominent unterstützten Appell gegen Prostitution. Ein solches dürfte in absehbarer Zeit ohnehin nicht kommen. Zu groß die Bedenken, dass sich das Geschäft mit der käuflichen Liebe ganz in die Illegalität verlagern würde.
Und doch herrscht in einem Punkt große Einigkeit: Die Situation von Prostituierte, von denen die meisten junge Frauen aus dem Ausland sind, muss sich verbessern. Vor allem Opfern von Zwangsprostitution soll geholfen werden. Wie das aber gelingen soll, darüber gehen die Meinungen auseinander.
Ein Problem ist, dass erschreckend wenig bekannt ist über die genauen Umstände, zu denen Sex als Ware angeboten wird. Laut Schwarzer und ihren Mitstreitern sind die Betroffenen zu 90 Prozent „Armuts- und Zwangsprostitutierte“. Die Rede ist von „moderner Sklaverei“.
Der Bundesverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen malt dagegen ein ganz anderes Bild: Die Beschäftigten machten ihre Arbeit überwiegend selbstbestimmt und freiwillig.
Klar ist: Gekaufter Sex ist ein Massenphänomen. Und ein boomendes Milliardengeschäft. So werden laut Statistischem Bundesamt jährlich 14,6 Milliarden Euro im Prostitutionsgewerbe erwirtschaftet. Zum Vergleich: rund neun Milliarden waren es bei Post-, Kurier- und Expressdiensten, rund 12 Milliarden Bereich Werbung und Marktforschung.
Anders als dort gehört im horizontalen Gewerbe Verschwiegenheit zu den großen Anforderungen. Zwar gibt es Schätzungen, dass eine Million Kunden täglich für körperliche Liebe zahlen. Das passiert in Bordellen und beim Escort-Service, in Wohnungen, Laufhäusern, SM-Studios und anderen Einrichtungen. Wie viele Menschen ihren Körper verkaufen, dazu gibt es allerdings keine belastbaren Statistiken. Alice Schwarzer spricht von bis zu einer Million Prostituierte in Deutschland. Die meisten Schätzungen gehen eher von 400<TH>000 Prostituierte aus. Tendenz: steigend.
Und noch eines hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert: Gingen früher viele Deutsche anschaffen, kommen die Frauen – und Männer – heute zu 80 bis 90 Prozent aus dem Ausland.
In München, wo 2800 Prostituierte legal in 180 Betrieben arbeiten, ist das nicht anders als an anderen Orten der Republik: Am häufigsten bieten Rumäninnen, Ungarinnen und Tschechinnen ihre Dienste an.
Viele sprechen kein Deutsch, kommen aus ärmlichen Verhältnissen und arbeiten für wenig Lohn. Ob sich jemand freiwillig entscheidet, anschaffen zu gehen, oder unter Zwang, lässt sich oft nur schwer unterscheiden. Selbst wer gemeldet ist, ist nicht vor Zwang sicher. Und viele Frauen, die in ihrer Heimat womöglich Schlimmeres erlebt haben, sehen sich nicht als Opfer von Zwang.
Kommt es dann zu Polizeikontrollen lässt sich oft nur schwer nachweisen, ob es sich um legale Prostitution oder kriminelle Ausbeutung handelt. Wo beginnt Zwang also? Diese Frage wird von Prostituiertenverbänden anders als von der Polizei beantwortet.
Nach Einschätzung von Bernhard Feiner, Leiter des Kommissariats für Menschenhandel, Prostitution und Zuhälterei erlebt die Mehrheit der Prostituierte Zwang. Das boomende Geschäft mit dem Sex erlebt die Mehrheit der Prostituierte Zwang. Mal stehen Familienclans dahinter. Mal Zuhälter, die sich Freundschaft erschleichen. Zwang habe viele Gesichter, sagt Feiner. Das reicht von echter Gewalt bis zu Drohungen („Machst du nicht mit, dann hacke ich deiner Tochter den Arm ab“). Und dann gibt es noch die Fälle, in denen Zwang eher wie eine subtile Aufforderung daher kommt, sagt Feiner: So der Fall des arbeitslosen Ehemanns, der seine Frau mit eindeutigem Unterton aufforderte, dass sie doch jetzt für den Lebensunterhalt sorgen solle.
Um diese Vielzahl von Fällen geht es, wenn die große Koalition jetzt Bordelle strenger kontrollieren, Opfer von Zwangsprostitution besser helfen und Praktiken wie „Flatrate-Sex“ verbieten will. Geplant ist dafür eine Reform des Prostitutionsgesetzes von 2002. Dieses Papier aus rot-grünen Zeiten hatte zum Ziel, die Prostitution als normalen Beruf zu legalisieren. Seitdem bekommen Prostituierte Arbeitsverträge, können ihren Lohn einklagen und sich sozialversichern. Gleichzeitig dürfen Bordelle offiziell betrieben werden und Prostitution gilt nicht länger als sittenwidrig. Doch das Gesetz hat seinen Zweck verfehlt, klagen Kritiker. „Nicht die selbstbestimmte, selbstständige Prostituierte ist die Regel“, argumentiert die frauenpolitische Sprecherin der CSU, Dorothee Bär für die Reform. „Sondern die Elends-, Armuts- und Zwangsprostitution.“
Demnach spielen die Regeln, die zu den liberalsten weltweit gehören, vor allem Zuhältern und Menschenhändlern in die Hände. Denn gleichzeitig können Zuhälter Arbeitszeiten, Lohn und Praktiken vorgegeben. Wer ein Bordell betreiben will, muss zudem – anders als etwa der Betreiber einer Imbissbude – keinerlei Vorgaben erfüllen. Deutschland sei ein „Zuhälter-Eldorado“, klagt deswegen Alice Schwarzer. Für Unionsfraktionsvize Günter Kring ist es die „Vorhölle für viele Prostituierte“.
Einen großen Schritt versprechen sich SPD und Union davon, künftig Freier von Zwangsprostituierten zu bestrafen. Nicht nur Kriminalhauptkommissar Feiner bewertet diese Pläne kritisch: Abschreckend sei das wohl nicht. Und wo selbst die Polizei Schwierigkeiten habe, Opfer von Zwangsprostitution zu erkennen, könnten vermutlich auch Freier die Zwangslage nicht erkennen, sagt er.
Eine Sache, die Prostituiertenverbände genau so sehen.