Der Spröde und das Biest

Er wird notorisch unterschätzt - und sie ist ganz schwer einzuschätzen: Frank-Walter Steinmeier und Andrea Nahles. Ist der Wettkampf der beiden schon geklärt?„Jeder weiß, dass die Kanzlerkandidatur plus minus Weihnachten auf Frank-Walter zulaufen wird.“
von  Abendzeitung
Andrea Nahles hat kein Problem damit, mit Parteichef Kurt Beck eine Weinschorle zu trinken.
Andrea Nahles hat kein Problem damit, mit Parteichef Kurt Beck eine Weinschorle zu trinken. © dpa

Er wird notorisch unterschätzt - und sie ist ganz schwer einzuschätzen: Frank-Walter Steinmeier und Andrea Nahles. Ist der Wettkampf der beiden schon geklärt?„Jeder weiß, dass die Kanzlerkandidatur plus minus Weihnachten auf Frank-Walter zulaufen wird.“

Von Markus Jox

Was für eine Krawatte! Frank-Walter Steinmeier steht auf der EM-Ehrentribüne des Wiener Ernst-Happel-Stadions, singt laut die deutsche Nationalhymne mit – und präsentiert stolz einen farbenfrohen, schwarz-rot-goldenen Binder im Rudolph-Moshammer-Design. „Wenn das sein alter Chef Gerhard Schröder gesehen haben sollte“, lästert tags darauf der Stilkritiker der „SZ“ über den Bundesaußenminister und Vizekanzler, „wird er laut aufgelacht haben. Kanzler wird man mit so einer Krawatte garantiert nicht.“ Man sollte sich freilich nicht täuschen. Steinmeier lebt schon lange sehr gut davon, dass er notorisch unterschätzt wird. Einer, der tief drin steckt in der SPD, sagt: „Jeder weiß, dass die Kanzlerkandidatur plus minus Weihnachten auf Frank-Walter zulaufen wird.“

Nahles läßt den Puls der Partei rasen

Unterschätzt wird sie keinesfalls, schon eher gilt das Gegenteil: In schöner Regelmäßigkeit versetzt Andrea Nahles ihre Partei in Wallung, lässt den Puls der Altvorderen rasen. Und fast immer, wenn in der SPD etwas Unerhörtes, Gemeines, Subversives geschieht, gerät die Frau mit der Lockenpracht unter Generalverdacht. Gerade eben war es wieder mal so weit. Da gibt Nahles ein Interview, indem sie ihrer Partei mal eben die ätzende Bemerkung „Versetzungsgefährdet“ ins Zeugnis schreibt und munter weitermetaphert: „Ich glaube, man müsste jetzt ein paar Lehrer-Schüler-Gespräche führen.“ Auf die parteiintern tabuisierte Kanzlerfrage antwortet sie mit einem beherzt-eiflerischen „Am liebsten wäre mir Kucht Beck.“ Das Fass endgültig zum Überlaufen bringt schließlich, dass sich der linke SPD-Strategiezirkel „Denkfabrik“ in einem Berliner Restaurant mit Vertretern der Linkspartei zum Plausch trifft. Das Pikante daran: Geschäftsführerin der „Denkfabrik“ ist die Ex-PDS-Vorzeige-Punkerin Angela Marquart, die vor kurzem der SPD beigetreten ist und im Berliner Bundestagsbüro von Andrea Nahles arbeitet. Die Partei schreit kollektiv auf: Nahles müsse sich dringend erklären, „ob sie mit diesem Treffen etwas zu tun hat“, fordern ultimativ die pragmatischen „Netzwerker“. Der rechte „Seeheimer Kreis“ barmt, derlei Treffen zerstörten die Glaubwürdigkeit der SPD und sabotierten die Arbeit von Parteichef Beck. Die Fraktionsspitze schließlich wirft Nahles „völlig überflüssige Kindereien“ vor. Andere Genossen werden noch deutlicher: „Entweder die Nahles ist ein bisschen blöd, oder sie hat das mit Absicht gemacht – beides spricht nicht für sie.“

Die heimliche SPD-Chefin

Frank-Walter Steinmeier und Andrea Maria Nahles: Um den 52-jährigen Tischlersohn aus dem westfälischen Detmold-Brakelsiep und die studierte Germanistin aus Mendig in der Osteifel, die heute ihren 38.Geburtstag feiert, gruppieren sich derzeit die beiden noch verbliebenen Machtzentren der schwindsüchtigen Sozialdemokratie – samt ihrer zuckenden Flügel. Seeheimer und Netzwerker, die dem Vernehmen nach sehr bald fusionieren werden, sehnen das Jahresende herbei, wenn sie Steinmeier endlich zur Kanzlerkandidatur beglückwünschen dürfen: „Wenn einer Kandidat ist, dann ist er der König“, sagen sie. Die Parlamentarische Linke wiederum, 80 der 222 Bundestagsabgeordneten, aber auch viele Genossen in den Ländern, setzen auf Nahles. Sie sehen in ihr die „heimliche SPD-Chefin“, die den zwischen den Parteipolen irrlichternden Beck nach ihrer Pfeife tanzen lassen soll.

Die Konigskobra

Nahles haftet der Ruf einer Königskobra an. Weil sie triumphierend jubilierte, als Oskar Lafontaine 1995 auf dem Mannheimer Parteitag den braven Rudolf Scharping wegputschte. Weil sie mit ihrem Dauergenörgele an der Agenda 2010 Gerhard Schröder zur Weißglut gereizt und in den Rücktritt als SPD-Chef getrieben hat. Weil sie Franz Münteferings Adlatus Kajo Wasserhövel als Generalsekretär verhinderte, worauf auch noch der Sauerländer entnervt die Brocken hinschmiss. Und weil Andrea Nahles es war, die gegen den Willen fast aller SPD-Granden Gesine Schwan erneut zur Bundespräsidenten-Kandidatin machte. Andererseits: Derlei Coups haben der Frau, die bis heute auf dem Bauernhof ihrer Vorfahren lebt und sich im vergangenen Jahr von ihrem Lebensgefährten, dem VW-Arbeitsdirektor Horst Neumann getrennt hat, auch jede Menge Respekt eingebracht. Selbst vom politischen Gegner. Die Kanzlerin höchstselbst erteilte Nahles soeben den Ritterschlag: „Manchmal weiß man gar nicht mehr, wen man morgens anrufen soll“, giftete Bundeskanzlerin Angela Merkel über die SPD-Spitze: „Den Übergangsvorstand oder gleich Frau Nahles?" Seit ihrer Zeit als Juso-Chefin in der zweiten Hälfte der 90er Jahre ist Nahles in der Partei bestens vernetzt – keineswegs nur im linken Lager. Mittlerweile zieht die Hardcore-Funktionärin per Blackberry bundesweit die Strippen. Vor Jahren schon soll Münte über Nahles gesagt haben: „Die kann Partei.“

Steinmeier das „Machtschattengewächs“?

Auch Steinmeier kann Partei – aber er hat sich nie um Posten gerissen – die „Zeit“ spricht von einem „Machtschattengewächs“. Noch 2005 war der Vater einer zwölfjährigen Tochter der breiten Öffentlichkeit unbekannt, jetzt ist er zusammen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel an der Spitze aller Beliebtheitsskalen. Als Gerhard Schröders Kanzleramtschef galt Steinmeier als „the brain“, als Gehirn der Regierungszentrale. Steinmeier war es auch, der die Agenda 2010 erfand. Aus dieser Zeit stammt das Bild der „grauen Effizienz“, eines spröden Beamten. Längst feilen Steinmeier und seine Berater am Imagewandel: Er kocht bei Kerner, singt mit Rappern, gibt Interviews übers Privatleben – und kandidiert 2009 erstmals für den Bundestag, in den Andrea Nahles bereits 1998 gewählt wurde. Bewusst hält sich der Kandidat in spe derzeit aus allen Flügelkämpfen heraus. Und am Dienstag in der Bundestagsfraktion ergriff der Genosse Frank-Walter als erster das Wort – und riss die Abgeordneten mit einer Mutmacherrede aus der Depression.

Belauern sich und brauchen sich doch

Steinmeier und Nahles, der Spröde und das Biest: Beide sind SPD-Vize, beide stammen aus einem kleinen Provinz-Dorf und beide gestehen offen ein, mit Übergewicht zu kämpfen. Steinmeier per Crosstrainer im Keller, Nahles, indem sie Kleidergröße 44 mit René-Lezard-Anzügen kaschiert. Das war’s dann mit den Gemeinsamkeiten zwischen dem bedächtigen, zögerlichen Schröder-Kumpel und dem gerne lauthals lachenden Ex-Lafontaine-Groupie. Beide belauern sich, brauchen sich – und warten auf ihren Einsatz. Wie sie je auf Augenhöhe mit einem Kanzlerkandidaten Steinmeier kommen wolle, wurde Nahles jüngst gefragt. Die Antwort: „Das werden Sie dann schon noch sehen.“

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