Der Selbstmord von Adolf Merckle: „Dass er so verzweifelt war, ist unfassbar“
BLAUBEUREN - Der Tod des Milliardärs ist ein Rätsel für die Menschen in seiner Heimat. Sie können nicht begreifen, dass der zurückhaltende, einfache Mann wegen der Finanzkrise aus dem Leben schied. Seine Firmen sind vorerst gerettet, Ratiopharm wird verkauft
Als Zocker haben sie ihn in Blaubeuren nie gesehen. Adolf Merckle fuhr einen Golf. Wenn er Bahnreisen machte, buchte er zweite Klasse. Keine Yacht, keine protzige Villa. Wenn er vorbeifuhr, hat er immer nett gegrüßt.
Dass er sich jetzt wegen der Finanzkrise das Leben nahm, können die Bürger der 12000-Einwohner-Stadt Blaubeuren nicht fassen. Er war doch ein so normaler Bürger, sagen sie. „Alle Menschen sind traurig, fassungslos, dass ein so starker Mensch so etwas macht“, sagt Elfriede Dukek-Schlenker. Die Wirtin von der Gaststätte „Güterbahnhof“ ist völlig aufgelöst. „Dass er so verzweifelt war, ist unfassbar“, sagt sie zur AZ.
Adolf Merckle warf sich am vergangenen Montag vor einen Regionalzug, weil er sein Lebenswerk zerstört sah. Der fünftreichste Deutsche hatte wegen der Finanzkrise Milliarden mit Spekulationsgeschäften mit VW-Aktien verloren – und sein eigenes Firmenimperium dabei fast ruiniert. Aber Selbstmord? Die Rettung des Merckle-Imperiums stand bereits am Tag des Suizids so gut wie fest. Bringt man sich deshalb um? Wenn die Bürger in Merckles Heimat länger nachdenken, fällt ihnen ein, dass es da doch ein paar dunkle Seiten gab. Es wird deutlich, dass Adolf Merckle eine gespaltene Persönlichkeit war.
"Er war ein rücksichtsloser Unternehmer"
„Er war ein knallharter, brutaler, zum Teil auch rücksichtsloser Unternehmer“, sagt Walter Feucht, der als Unternehmer oft mit Merckle zu tun hatte. Und dann sei da Merckles nette Seite gewesen, sagt Feucht. Seine Tochter habe bei Ratiopharm eine Ausbildung gemacht. Die Atmosphäre im Betrieb sei immer super gewesen. Merckle sei mehr als nur der Pharma-Händler von der Schwäbischen Alb gewesen.
Ähnlich bestürzt ist auch Jörg Seibold, der Bürgermeister von Blaubeuren: „Bei all der Kritik an den weniger gelungenen Dingen vergisst man, welche Lebensleistung hinter seinen Unternehmen steckt“, sagt er. Merckle sei ein „ganz normaler Bürger“ gewesen. Viermal im Jahr habe er ihn gesehen. Seibold würdigt das ehrenamtliche Engagement und den christlichen Glauben Merckles.
Für die 100.000 Beschäftigten der Merckle-Gruppe gab es gestern eine erlösende Nachricht: Der Konzern ist vorerst gerettet. Die rund 30 Gläubiger-Banken hätten einen Überbrückungskredit in Höhe von 400 Millionen Euro genehmigt. So soll die Gruppe erst einmal genug Geld haben, um weiter arbeiten zu können.
Bedingung: Der Medizinhersteller Ratiopharm wird verkauft. Und: Merckle-Sohn Ludwig, der bereits jetzt einer der führenden Manager der Merckle-Gruppe ist, darf nicht Nachfolger seines Vaters werden. Zum Imperium der Familie gehören neben Ratiopharm der Baustoffhersteller HeidelbergCement, der Pistenraupen-Hersteller Kässbohrer, eine Beteiligung an Skilift-Betreibern und der Pharmagroßhändler Phoenix. Wie ein Sprecher der Merckle-Gruppe gestern mitteilte, stand der Deal bereits am Montag fest. Adolf Merckle selbst habe noch vor seinem Tod alle nötigen Unterschriften für die Rettung geleistet.
Viele der Mitarbeiter kommen gerade aus den Ferien zurück und sind tief berührt: „Ich fand ihn sympathisch“, sagt Nadine Schäfer von Ratiopharm. Andere wollen lieber nichts sagen – zu tief ist ihre Trauer. Einige kommen sogar schwarz gekleidet zur Arbeit. Furcht vor der Zukunft haben sie alle: „Jeder hat momentan Angst“, sagt Mitarbeitern Nina Hackenberg. „Wir hängen da mit dran.“
Daniel Kummetz
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