Der letzte Zeuge musste Tibet verlassen: »Alle sind entsetzt«
LHASA - Die chinesische Polizei kam im Morgengrauen. Georg Blume und Kristin Kupfer mussten als letzte ausländische Journalisten Tibet verlassen. Was Blume in Tibet erlebte - ein AZ-Gespräch.
Hochrangige Beamte holten die beiden Journalisten am Donnerstag aus dem Hotel und brachten sie zum Bahnhof. Dort wurde scharf aufgepasst, dass der Deutsche und die Österreicherin auch ja in den Zug stiegen, der in eine nördliche Provinz fuhr. Von dort aus ging die Reise weiter Richtung Peking. Als die AZ den Korrespondenten der „taz“ auf seinem Handy erreicht, wirkt er erschöpft von den Strapazen – und macht seinem Ärger Luft.
„Ich bin sauer“, sagt Blume. „Jetzt werden wir über Tibet nur noch das erfahren, was uns die chinesische Regierung mitteilt.“ Die gab unterdessen sogar zu, auf Demonstranten geschossen zu haben. Angeblich „aus Notwehr“. Bei Protesten im Bezirk Aba in der Provinz Sichuan hätte eine aufgebrachte Menge die Polizisten mit Messern angegriffen und versucht, ihnen die Waffen zu entreißen. Die Polizei habe erst Warnschüsse abgegeben, sei danach aber weiter „attackiert“ worden.
Unterschiedliche Angaben über Opfer
Die Angaben über die Zahl der Opfer schwanken. Während sich Peking nicht konkret äußert, sprechen exiltibetische Gruppen von „rund 100 bestätigten Toten“. Die deutsche Bundesregierung forderte am Freitag rasche Aufklärung: „Wir wollen genau wissen, was in Tibet passiert ist. China schadet sich selbst, wenn es ausländische Beobachter daran hindert, sich ein eigenes Bild der Lage zu machen“, sagte Außenminister Frank-Walter Steinmeier.
Georg Blume, der seit 1997 aus China berichtet, bekommt dazu vorerst keine Gelegenheit mehr. „Mir wurde sogar mit dem Entzug der Aufenthaltserlaubnis gedroht.“ Dabei hatte Blume immer besonders differenziert über den Konflikt berichtet, auch die Gewaltexzesse tibetischer Fanatiker nicht verschwiegen. Unterdessen veröffentlichte die Nachrichtenagentur Reuters mehrere Fotos, auf denen zu sehen ist, wie Tibeter brutal auf chinesische Geschäftsleute einprügeln.
„Das muss am 14. März passiert sein“, sagt Blume. „Die chinesischen Polizisten haben sich bewusst zurückgehalten und damit sogar in Kauf genommen, das ihre eigenen Landsleute verletzt werden.“ Die meisten Tibeter würden die Übergriffe verurteilen.
Rückkehr nach Tibet fraglich
Alle Menschen in Lhasa, Chinesen und Tibeter, seien „überrascht und entsetzt“, berichtet Blume. Er hoffe, dass die Revolte den Regierenden in Peking klar mache, „dass es dort soziale Bedürfnisse gibt die viel einfacher zu erfüllen sind als politische Forderungen“. Grundsätzlich glaube er, dass China mit seiner Militärpräsenz in Tibet vor allem einschüchtern wolle. Vergleiche zum Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens von 1989 seien „völlig falsch“.
Wann und ob er nach Tibet zurück darf, weiß Blume nicht. Fest steht: Im August kommen tausende Journalisten aus aller Welt nach China. „Dann wird sich nichts unter den Teppich kehren lassen.“
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