Der komplizierte Balzreigen der Grünen
BERLIN - Auf ihrem Parteitag in Berlin dämonisieren die Grünen Schwarz-Gelb, zieren sich vor der Ampel und haben insgeheim Sehnsucht nach Rot-Rot-Grün. In Wahrheit blicken sie vier weiteren Jahre in der Opposition entgegen
Wilde Farbenspiele bei den Grünen: Während die Partei nach der Bundestagswahl im September sowohl für eine rot-gelb-grüne Ampel als auch für ein rot-rot-grünes Linksbündnis zur Verfügung steht, schließt sie eine Jamaika-Konstellation mit CDU, CSU und FDP kategorisch aus. "Wir stehen als Mehrheitsbeschaffer für Schwarz-Gelb nicht zur Verfügung" heißt es in einem Wahlaufruf, den die Grünen am Sonntag auf einem Bundesparteitag im Berliner Velodrom verabschiedet haben. "Liebe Leute, Jamaika bleibt in der Karibik, und das ist sehr gut so", rief Parteichefin Claudia Roth unter Jubel aus.
FDP-Chef Guido Westerwelle freilich zeigt den Grünen sowieso schon die kalte Schulter: Am Sonntag rief er den Lagerwahlkampf aus, warf sich der Union an den Hals - und schoss ein Dreierbündnis zusammen mit SPD und Grünen aus. Weil deren Wahlprogramme de facto inhaltsgleich mit dem der Linkspartei seien, könne es keine Ampel geben, dekretierte der Ober-Liberale: "Wenn es nicht für Schwarz-Gelb reicht, wird das Land eben von Rot-Rot-Grün regiert - vielleicht mit der Schamfrist von einem weiteren Jahr großer Koalition. Roth keilte zurück: Westerwelle, wir stellen dich - lieber Guido, verlass dich drauf!" Auch die Linkspartei wolle man "stellen", kündigte Roth an. "Große Forderungen stellen, aber sich der Verantwortung verweigern, das ist nicht links."
Heimliches Schielen auf Rot-Rot-Grün
Ihre Partei gehe heuer mit keiner Koalitionsaussage, sondern mit "grüner Eigenständigkeit" in den Wahlkampf, sagte Roth: "Aus der Krise hilft nur grün." Die drei wichtigsten Ziele der Grünen seien es, Schwarz-Gelb zu verhindern, eine Neuauflage der großen Koalition zu verhindern und selbst drittstärkste Partei zu werden, um einen "Politikwechsel" in Deutschland herbeizuführen. Mit wem der gelingen soll, sagte Roth nicht.
Jenseits dieser Rhetorik der Eigenständigkeit träumen freilich viele der mehrheitlich linken Delegierten von einer rot-rot-grünen Bundesregierung. Nur mit Mühe konnte die Parteispitze einen Antrag der Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick und Thilo Hoppe von der Tagesordnung kippen, der SPD und Linke auffordern wollte, Rot-Rot-Grün im Bund nicht weiter zu blockieren. Zugleich fegte die Basis einen Versuch der eifrig nach Ministerämtern schielenden Spitzenkandidaten Jürgen Trittin und Renate Künast vom Tisch, den Parteitag ein klares Bekenntnis zur Ampel abgeben zu lassen.
Das Wünsch-Dir-Was-Programm
Die SPD wird in den Reden auffällig geschont: Bei aller Kritik an den Sozis seien "die Überschneidungen mit der Sozialdemokratie immer noch am größten", so die Grünen-Strategen. Union und FDP dagegen werden regelrecht dämonisiert, die Liberalen sogar als "parlamentarischer Arm der Heuschrecken" beschimpft. "Schwarz-Gelb ist lebensgefährlich", rief Spitzenkandidatin Renate Künast aus. Und im Wahlaufruf heißt es: "Eine Stimme für die Grünen ist eine sichere Stimme gegen das konservativ-neoliberale Politikkonzept."
Aller in Berlin zur Schau gestellten Geschlossenheit zum Trotz: Hinter nur halb vorgehaltener Hand ächzen und stöhnen viele Grüne aus den Ländern über ihre Spitzenleute: Die Struktur mit zwei Parteichefs, zwei Spitzenkandidaten und weiteren ehrgezeigen Granden befördere in der Grünen-Spitze ein Klima von Missgunst und Eitelkeiten. Es sei zudem verheerend, dass ausgerechnet die Partei, die unter Rot-Grün für ihre nachhaltige Finanzpolitik gelobt wurde, mitten in der Krise milliardenschwere Wahlversprechen in ihr Programm schreibe, ohne sich großartig um die Gegenfinanzierung Gedanken zu machen. So würde der "grüne new deal", mit dem die Partei binnen vier Jahren eine Million neue Jobs schaffen will, den Schuldenberg mal eben um 80 Milliarden Euro erhöhen. Ein solches Wünsch-dir-was-Programm rieche nach vier weiteren Jahren in der Opposition.
Auch Bayerns Grünen-Chef Dieter Janecek war am Ende nicht vollkommen zufrieden: "Es ist keine kluge Position, Jamaika auszuschließen", sagte Janecek enttäuscht der AZ. "Da fehlt uns einfach das letzte Stück Selbstbewusstein"
Markus Jox