Der Kampf der drei Franken

Joachim Herrmann ist als neuer Ministerpräsident im Gespräch. Doch Beckstein kämpft noch - unterstützt von Markus Söder - damit er später selber noch Chancen auf das Amt hat.
von  Abendzeitung

MÜNCHEN - Joachim Herrmann ist als neuer Ministerpräsident im Gespräch. Doch Beckstein kämpft noch - unterstützt von Markus Söder - damit er später selber noch Chancen auf das Amt hat.

In der CSU gibt es jetzt das große Hauen und Stechen. Jeder blockiert jeden: Ministerpräsident Günther Beckstein (65) kämpft ums politische Überleben. Am Tag 2 nach dem Desaster bekommt die AZ um 8.30 Uhr aus ihren Staatskanzlei-Quellen die Nachricht: Beckstein werde am Sonderparteitag am 25.Oktober zurücktreten. Sein Nachfolger solle der Innenminister und frühere Fraktionsvorsitzende Joachim Herrmann (52) werden. Er sammle bereits die Fraktion um sich. Auch Fraktionschef Georg Schmid sei nicht zu halten. Am MIttwoch kommen die CSU-Landtagsabgeordneten zusammen.

Um 9.44 Uhr lassen Beckstein und Herrmann die Meldung dementieren. Da sei „nichts dran“. Denn jetzt hat sich nämlich ein Dritter in den Kampf eingeschaltet – als der große Retter und Beschützer Becksteins: Europaminister Markus Söder (41)!

Es ist der Kampf der drei Franken: Um jeden Preis will Söder verhindern, dass Herrmann Ministerpräsident wird. Er weiß, wenn der Innenminister jetzt zum Zuge kommt, kann er selbst seinen politischen Traum, einmal Bayern zu regieren, beerdigen. Der Professoren-Sohn und Top-Jurist aus Erlangen mit Geburtsstadt München würde mindestens die beiden nächsten Legislaturperioden auf dem Regierungssessel thronen. So lange, bis es für Söder zu spät wäre.

"Für mich gibt's nichts zu verlieren"

Das führt jetzt zu einer eigenartigen Symbiose der beiden Nürnberger Söder und Beckstein. Der Junge will den Alten im Amt halten. Söder als Lebensversicherung des angeschlagenen Ministerpräsidenten. Denn selbst kann Söder den Putsch nicht wagen. In der CSU-Landtagsfraktion hat er im Moment keine großen Truppen.

Aber wer Söder kennt, weiß, dass er keine Herausforderung scheut. Sogar auf einen Bruch in der Fraktion würde er es ankommen lassen. „Wenn der aufsteht, dann stehe ich auch auf“, droht er im kleinen Kreis. „Für mich gibt’s da nichts zu verlieren.“ Söders Taktik: Er will Beckstein bis nach der Bundestagswahl halten. Dann wäre die Zeit vielleicht eher reif für ihn.

Beckstein setzt sofort ein Zeichen: Er sagt seinen Auftritt am Abend bei Johannes B. Kerner ab und schickt Markus Söder als Vertreter. Schon in der Krisensitzung am Montagabend hat die Vize-CSU-Chefin Barbara Stamm Beckstein stürmisch verteidigt: „In der CSU-Fraktion ist kein anderer als er durchsetzbar. Er muss bleiben.“ Seehofer ist nun am Amt des Ministerpräsidenten nicht mehr interessiert: „Ich hab’ schon immer gesagt, der Parteichef muss in Berlin sitzen.“ Die bisher favorisierte Lösung, beide Ämter zu vereinen, wäre nicht glaubwürdig, wenn er Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl wäre. Der angeschlagene Fraktionschef Georg Schmid steht zu Beckstein: „Alles andere würde die Fraktion zerreißen.“

Was wird aus Schüttel-Schorsch?

Doch Schmid muss aufpassen, dass es ihn nicht gleich zerreißt. Als auch über seinen Rücktritt geredet wird, schreit er herum: „Das geht euch gar nix an. Das kann nur die Fraktion entscheiden.“ Schmid hat in Bayern das Nichtraucherschutzgesetz durchgeboxt. Beckstein gibt ihm die Mitschuld an den hohen CSU-Verlusten. An diesem Montagabend, an dem es um das Ende von Huber geht, ist der Ministerpräsident ungewöhnlich wortkarg. Nur einmal bricht es aus ihm heraus, als die CSU-Spitze beratschlagt, er solle die Koalitionsverhandlungen führen: „Wenigstens kippt dann mit der FDP dieses Scheiß-Rauchverbot!“

Da sitzen sie noch alle im zweiten Stock der CSU-Landesleitung im TV-Raum. Nur der engste Führungszirkel: Huber und Beckstein, Seehofer und Landesgruppenchef Peter Ramsauer. Die drei Partei-Vizes Stamm, Beate Merk, Ingo Friedrich. Der Europa-Abgeordnete Markus Ferber und Alois Glück. 21.45 Uhr: Generalsekretärin Christine Haderthauer hat noch zwei Flaschen Rotwein aufgetrieben - mit Drehverschluss. In Hubers Büro findet sie Weingläser. Der Tropfen ist wie die Stimmung. „Sauer“, sagt einer, „in ein paar Wochen hätte man ihn auch als Essig zum Salat schütten können.“

Ferber schneidet das Thema Beckstein an: „Mit Sicherheit wird in den nächsten Wochen die Frage diskutiert werden, ob Beckstein bleiben kann. Er wird ein Ministerpräsident auf Abruf.“ Doch damit will sich an diesem Abend niemand mehr beschäftigen. Haben sie doch gerade die erste Hinrichtung hinter sich: die von Erwin Huber.

"Das traut der sich nicht"

Am Morgen darauf ist das schon anders: Ein einflussreiches Mitglied des engen CSU-Zirkels sagt zur AZ: „ Es ist legitim bei 17 Prozent Verlust zu fragen: Kann man mit diesem Ministerpräsident noch in die Regierung gehen?“ Es gäbe nur noch keine Antwort darauf. Weder Herrmann werde so richtig von der Fraktion getragen. Und Söder schon gar nicht. Im Beckstein-Lager ist man sich sicher: „Herrmann geht einen offenen Kampf nicht ein. Das traut der sich nicht.“ Zu eng sei er mit Beckstein befreundet, zu loyal.

Doch die Dynamik des Untergangs lässt sich auch von Beckstein nicht mehr stoppen. „In der Politik ist das Schöne, dass alles möglich ist, aber auch das Gegenteil“, hat er einmal gesagt. Beckstein hat sein Kabinett zusammengerufen. Um 13.4O Uhr tritt er in der Orangerie der Staatskanzlei an die Öffentlichkeit. Dort ist gerade eine Ausstellung über Franz Josef Strauß aufgebaut. Beckstein zeigt Galgenhumor: „Wieso sind denn so viele Journalisten da? Ich gebe doch nur eine kurze Erklärung ab.“ Er spricht von Sondierungsgesprächen mit FDP und Freien Wählern. Nur über seine eigene Zukunft schweigt er. Fragen lässt er nicht zu! In der Oberbayern-CSU fordern die Ersten Becksteins Kopf.

Auch Herrmann setzt in dem Moment ein Zeichen. Er eilt aus der Staatskanzlei, schwingt sich aufs Radl, mit dem er von seinem Amtssitz am Odeonsplatz durch den Hofgarten gekommen ist. Er hält bei den Journalisten. Wissenschaftsminister Goppel, Justizministerin Merk, Umweltminister Bernhard, alle müssen in ihren Staatskarossen brav hinter ihm Schlange stehen. Aus der Staatskanzlei kommt wieder ein Anruf in die AZ: „Wir gehen alle davon aus, dass wir in vier Wochen einen neuen Chef haben.“

Angela Böhm

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