Der Hetzer von der Bundesbank
Der schon wieder: Thilo Sarrazin und sein neues Buch sorgen für heftige Debatten. Schäuble schämt sich, die SPD ist ratlos und die NPD jubelt. Aber gestoppt werden kann er nur schwer
Er treibt viele zur Weißglut – aber stoppen können sie ihn nicht: Thilo Sarrazin beherrscht mit dem Neu-Aufguss seiner Anti-Ausländer-Thesen die Debatte im ausgehenden Sommerloch. Zustimmung kommt öffentlich nur von der NPD, doch Konsequenzen braucht der Provokateur nicht zu fürchten: Schon bei den letzten Eklats haben SPD und Bundesbank lernen müssen, dass sie ihn so leicht nicht loswerden. Also hat er nun sein Buch geschrieben, und die Aufregung darum ist für ihn die perfekte Vermarktung: Schon vor Erscheinen am Montag erreichen die Bestellungen Rekordhöhen. Thema des Buches: Wie Deutschland durch die Überfremdung gefährdet ist. Die muslimischen Einwanderer würden Deutschland wirtschaftlich nichts nutzen.
Die Ultra-Rechte freut sich: „Hier hat jemand ein regelrechtes NPD-Buch geschrieben“, so Jürgen Gansel, NPD-Abgeordneter in Sachsen. NPD-Landeschef Jörg Krebs: „Er vertritt genau unsere Positionen. Treten Sie doch bei uns ein!“ Auch der Zentralverband der Juden in Deutschland forderte Sarrazin auf, in die NPD zu gehen: „Das macht die Gefechtslage klar und befreit die SPD“, so Generalsekretär Stephan Kramer.
Die SPD hat in der Tat ein Problem mit Sarrazin. „Ich würde mich schämen, wenn ich so jemanden in der Partei hätte“, sagt Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) über den Bundesbank-Vorstand – und wurde damit in US-Wirtschaftszeitungen zitiert. Parteichef Sigmar Gabriel ist ratlos: „Ich weiß auch nicht, warum der noch bei uns Mitglied sein will“, sagt er. Die Sätze von Sarrazin seien „dämlich“ bis „gewalttätig“. Er kündigte eine Prüfung an, ob in dem neuen Werk offen rassistische Äußerungen dabei sind – dann könnte man ihn vielleicht doch rauswerfen. Ein erstes Parteiausschlussverfahren im Frühjahr scheiterte. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: „Er ist ein unterbeschäftigter Bundesbanker mit Profilneurose.“
Unterbeschäftigt ist Sarrazin durchaus: Nach den letzten Eklats hatte man ihm wichtige Kompetenzen weggenommen (Kasten). Die Grünen fordern nun, wenigstens die Ernennung zum Bundesbank-Vorstand neu zu regeln.
Das Kopfschütteln ist in allen Parteien groß. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel, die sonst Einzelpersonen in der Regel unkommentiert lässt, rügte Sarrazins Thesen als „verletzend, diffamierend und polemisch“. Selbst Politiker, die selbst oft Integrationsprobleme ansprechen, wie der Berliner Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD), warfen ihm Einseitigkeit vor. „Er braucht das, er provoziert eben gerne.“
In der Bevölkerung, in vielen Online-Foren oder Stammtischen ist der Beifall für die Thesen Sarrazins allerdings groß. Deswegen könnte es ihm selbst dann noch reicht sein, wenn SPD oder Bundesbank doch noch einen Weg finden, ihn rauszuwerfen: Dann würde er zum Märtyrer und könnte mit diesem Etikett eine neue Partei gründen. tan