Der gelb-grüne Nachwuchs

Am Dienstag geht es los in Berlin: Wie zwei 22- und 24-jährige Neuparlamentarier in den Politbetrieb starten. Die beiden BWLer wirken auf den ersten Blick wie Feuer und Wasser.
von  Abendzeitung
Sven-Christian Kindler und Florian Bernschneider
Sven-Christian Kindler und Florian Bernschneider © abendzeitung

BERLIN - Am Dienstag geht es los in Berlin: Wie zwei 22- und 24-jährige Neuparlamentarier in den Politbetrieb starten. Die beiden BWLer wirken auf den ersten Blick wie Feuer und Wasser.

Florian Bernschneider streift durch die Fraktionsebene im Deutschen Bundestag. „Können Sie mir sagen, wo es hier auf die Reichstagskuppel geht?“, fragt der smarte, brav gescheitelte Schlaks mit den großen Augen freundlich. Wenn sich der 17. Deutsche Bundestag am Dienstagvormittag konstituiert, ist der 22-Jährige im Plenum mit von der Partie. Der FDP-Mann ist der Benjamin unter den Abgeordneten, der allerjüngste.

Schräg gegenüber von Bernschneiders Platz wird der Abgeordnete Sven-Christian Kindler Platz nehmen. Er wird keinen Anzug tragen wie Bernschneider, sondern Sakko, Jeans und Turnschuhe. Kindler gehört der Grünen-Fraktion an, ist ebenfalls neu gewählt und 24 Jahre alt. Damit ist er nach Bernschneider zweitjüngster Abgeordneter. Als der junge Mann zum ersten Mal den Nordeingang des Reichstagsbebäudes benutzte, staunte der Pförtner an der Sicherheitsschleuse nicht schlecht. Steht da ein junger Kerl mit struppiger Kurzhaarfrisur und Kapuzenpulli, eine Jutetasche in der Hand und hält ihm einen provisorischen Abgeordnetenausweis unter die Nase. Brav kramte der Kerl sogar Handy und Geldbeutel aus den Hosentaschen, um alles durchleuchten zu lassen. Obwohl er das als MdB natürlich gar nicht muss.

Bernschneider und Kindler: Obwohl beide aus Niedersachsen kommen, wirken sie auf den ersten Blick wie Feuer und Wasser. Der Hannoveraner Kindler, Jahrgang 1985, ist Veganer, trägt Antifa-Button und H&M-Shirt, kämpft natürlich gegen die Atomkraft. Schon die Eltern waren in der Umwelt- und Friedensbewegung aktiv. Er hat Pfadfindergruppen geleitet, liebt die Natur, aber auch Elektromusik und Punkrock und will gerne ins links-alternative, multikulturelle Kreuzberg ziehen. Obwohl der eher zurückhaltend auftretende Grüne erst 24 ist, hat er bereits ein BWL-Studium absolviert und arbeitete zuletzt als Controller für ein Unternehmen in Hannover. Wie ein alter Hase wirbt Kindler für eine „solidarische Antwort auf die Krise“, redet über „flexible, makroökonomisch sinnvolle Schuldenbegrenzung“ und fordert, „dass sich die Politk verstärkt um die Einnahmeseite kümmert“. Kritisches Feedback von Eltern und privatem Freundeskreis ist ihm sehr wichtig: „Ich möchte nicht im Raumschiff Berlin abheben“, sagt er.

Bernschneider, Jahrgang 1986, aber schon erste graue Haare („so sehe ich wenigstens älter aus“), ist BWL-Student aus Braunschweig. Auch er hat schon Berufserfahrung gesammelt bei der Norddeutschen Landesbank, mag spanischen Hiphop und Mario Barth, kocht gerne mit seiner Freundin. Übergangsweise haust er in der Wohnung eines Freundes im bürgerlichen Wilmersdorf. „Wenn mich etwas ständig nervt, habe ich den Drang, etwas dagegen zu unternehmen“, sagt der Ex-Schulsprecher. „Deshalb bin ich in die Politik gegangen.“ Auf die Frage, ob er denn ein Vorbild habe, Genscher etwa oder seinen Landsmann Philipp Rösler, sagt er selbstbewusst: „Wer nur in die Fußstapfen eines anderen tritt, der hinterlässt selbst keine.“ Bernschneider will den Kontakt zum Freundeskreis außerhalb der Politik halten, „nicht nur im Parteisaft brodeln“. Irgendwie, sagt Bernschneider, habe es noch etwas Unwirkliches, dass er jetzt im großen Politikraumschiff in Berlin angekommen sei, Verantwortung übernommen habe: „Manchmal bin ich gespannt, manchmal angespannt.“

Obwohl sie äußerlich so grundverschieden daherkommen, verbindet den gelben und den grünen Jungspund eine ganze Menge: Beide haben schon Berufserfahrung gesammelt. Beide hatten mit Controlling, Geld und Banken zu tun, liebäugeln deshalb mit einem Platz im Haushaltsausschuss. Bei Kindler könnte es sogar bereits in dieser Legislaturperiode klappen. Wichtigste Parallele aber: Beide wirken ungeheuer ernsthaft und engagiert, tun aktiv etwas gegen die grassierende Parteienverdrossenheit in ihrer Generation. Und beide gehören der Generation Web 2.0 an, nutzen fleißig Plattformen wie Facebook oder Twitter zum Austausch zwischen Politikern und Bürgern. Sie sind mit ihren modernen Handys praktisch permanent online, posten Artikel oder TV-Beiträge über sich, stellen Fotos und Debattenbeiträge ins Netz, um mit Freund und Feind zu diskutieren. Bernschneider hat fast 500, Kinder bereits über 700 „Follower“ bei Twitter. Derzeit freilich fallen ihre Botschaften dort noch arg brav aus: „Gute Rede von Westerwelle“, twittert Bernschneider, „engagierte Afghanistandebatte“, lobt Kindler seine Grünen.

Vor ein paar Tagen haben Florian Bernschneider und Sven-Christian Kindler gemeinsam in der Bundestagskantine zu Mittag gegessen. Der FDP-Mann, wie immer im feinen Zwirn, ließ sich Bifteki und Köfta schmecken. Der Grüne, wie stets leger gekleidet, aß ein asiatisches Nudelgericht. Die Zwei, die auf manchem Podium im Wahlkampf heftig aneinandergerauscht waren, beschnupperten sich und stellten fest, dass sie sich gar nicht so fremd sind. Tauschten sich über Klischees aus, die ihnen die Medien so gerne anheften: Der aalglatte FDP-Karrierist gegen den Öko-Bubi. „Das war eigentlich ganz nett", sagt Kindler, man wolle sich wieder zusammensetzen. Auch Bernschneider ist angetan: „Keinen von uns hat es gestört, dass der andere so anders ist als man selbst."

Markus Jox

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