Der Geiselnehmer von Slawjansk

Wjatscheslaw Ponomarjow, separatistischer Kleinstadt-Fürst in der Ost-Ukraine, hat acht OSZE-Beobachter gefangenengenommen. Er führt sie triumphierend vor – aber was will er?
Kiew - Gastspiel auf der Weltbühne: Wjatscheslaw Ponomarjow (42) zieht die internationale Aufmerksamkeit auf sich. Er ist der selbst ernannte Bürgermeister von Slawjansk, der acht OSZE-Beobachter – darunter vier Deutsche – als Geiseln hält. Ein Ende in diesem Nervenkrieg ist nicht absehbar: Am Sonntag ließ er die Gefangenen genüsslich der Öffentlichkeit vorführen. Es ist eine leicht gruslige Rolle, die er spielt. Und er steht dafür, welche Figuren im Vakuum der Ost-Ukraine in einigen Orten die Macht an sich gerissen haben – ohne dass klar wird, wer hinter ihnen steht oder was sie wollen. Falls sie es selbst überhaupt wissen.
Erst gab Ponomarjow allein eine Pressekonferenz zur Lage der Gefangenen im besetzten Rathaus der Stadt. Den „Festgenommenen“ gehe es gut; einer habe Diabetes, aber der bekomme Medikamente, sagt er. „Sie haben gesagt, dass sie sich Sehenswürdigkeiten ansehen wollen“, behauptet er – was kaum einer der Anwesenden glaubt: Warum sollten die OSZE-Beobachter so argumentieren? Aber, fährt Ponomarjow triumphierend fort, das stimme nicht. „Sie hatten verdächtiges Kartenmaterial dabei – wie eben Spione.“ Sein Beleg: Auf den Karten des OSZE-Teams seien Checkpoints der Separatisten eingezeichnet gewesen. Das dürfte stimmen: Die Gruppe hatte explizit die Aufgabe, unabhängige Informationen über militärische Aktivitäten in der Ostukraine zu sammeln.
Ponomarjow trägt Bürstenschnitt. Wenn er lacht, sieht man die zwei goldenen Eckzähne, die er sich hat machen lassen. Während der Pressekonferenz pult er mit den Fingern im Mund herum. Er hat Leibwächter dabei: Einige tragen Trainingsanzüge aus Ballonseide, sie fuchteln mit ihren Kalaschnikows so unbeholfen herum, dass die Medienvertreter nervös den Weg der Mündungen verfolgen. Andere sind in professioneller Kampfmontur. „Natürlich sind hier russische Kämpfer“, sagt Ponomarjow offen. „Das sind alles meine Freunde, Ex-Soldaten aus der Sowjetunion.“
Er sagt, dass er in Slawjansk geboren wurde; in der Stadt sagen viele, dass sie ihn vorher noch nie gesehen haben. Aber so richtig reden trauen sich die Bürger laut internationalen Reportern nicht: Es gibt seit Ponomarjows Übernahme viele vermisste Personen.
"Unser Raum ist beheizbar und hat Tageslicht"
Aber was will der selbst ernannte Herrscher von Slawjansk mit den OSZE-Geiseln? Mal sagt er, sie seien freiwillig seine Gäste, mal spricht er von „Kriegsgefangenen“. Mal fordert er für ihre Freilassung ein Unabhängigkeits-Referendum, mal den Austausch „eigener Leute“, also inhaftierte pro-russische Aktivisten. Immerhin kommen nun Gespräche mit den Separatisten von Slawjansk in Gang. Die OSZE teilt am Sonntag mit, dass eine Verhandlungsdelegation auf dem Weg sei. Am Nachmittag sollte ein erstes Treffen beginnen.
Noch bevor es startet, provoziert Ponomarjow weiter: Er lässt die gefangenen acht OSZE-Mitarbeiter von Milizionären der Öffentlichkeit vorführen – im gleichen besetzten Rathaus. Die Männer sind in Zivil gekleidet und unverletzt. Einer der vier Deutschen sagt, sie seien die Gäste von Ponomarjow und keine Kriegsgefangenen – während der selbsternannte Bürgermeister sie wieder als „Kriegsgefangene“ bezeichnete. Alle im Team seien gesund, so der Deutsche mit Bart und grauweiß-kariertem Hemd weiter. Er stellt sich als Axel Schneider, Oberst der Bundeswehr und Sprecher der Gruppe vor. Die Bedingungen für ihre Freilassung (also doch keine Gäste?) seien ihnen nicht bekannt, „unsere Diplomaten müssen jetzt mit Ponomarjow verhandeln“, sagt Schneider. Am Anfang seien sie in einem Keller untergebracht gewesen. „Jetzt sind wir in einem komfortableren Raum, er ist beheizbar und hat Tageslicht.“
Unter den 13 Geiseln sind jene acht OSZE-Inspektoren: vier Deutsche (drei Bundeswehrsoldaten und ein Übersetzer), je ein Tscheche, Däne, Schwede und Pole. Dazu kommen fünf ukrainische Soldaten, die sie begleitet haben. Ponomarjow sagt, er habe „keinen direkten Kontakt“ zu Moskau und fordert nun wieder einen „Gefangenenaustausch“ – richtig strategisch durchdacht wirkte das alles nicht. Und: Jetzt habe man noch drei „Agenten“ aus Kiew gefangen.
Die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) sitzt in Wien, ihr Chef ist der Schweizer Bundespräsident Didier Burkhalter. Sie ist eine unabhängige Staatengruppe (bestehend unter anderem aus allen Ländern Europas inklusive Russland). In der Ukraine gibt es gerade eine Mission mit 140 Beobachtern, die Fakten zur Lage sammeln soll und der auch Moskau zugestimmt hat. Daneben gibt es immer auch „Inspektionen nach dem Wiener Dokument“, die unter den Staaten selbst vereinbart werden. In diesem Fall hatte die Ukraine darum gebeten – unter diesem Etikett waren die jetzigen Geiseln unterwegs.
Auch international laufen alle Kanäle auf Hochtouren. Berlin hat einen Krisenstab gebildet. Die Außenminister von Russland und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, telefonieren viel. Lawrow soll Kerry aufgefordert haben, in Kiew auf die Freilassung von prorussischen Aktivisten zu dringen. Die Linke in Deutschland sagte, die OSZE-Mission mit Bundeswehrsoldaten sei eben „unklug“. Doch momentan hängt viel davon ab, was Wjatscheslaw Ponomarjow in seinem ostukrainischen Provinznest macht. Und wer auch immer hinter ihm steht.