Der Freisinger Taliban von nebenan
ANSBACH - 27 Jahre lang lebte Cüneyt C. in Deutschland – dann kündigte er im vergangenen April seinen Job, löste seine Wohnung auf, meldete sich ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt ab. Jetzt taucht ein Foto auf, das ihn als Selbstmord-Attentäter zeigt. Cüneyt C. hat in Afghanistan sich und vier Menschen in die Luft gesprengt.
Er wurde in Freising geboren. Er ging in Bayern zur Schule. In Ansbach (Mittelfranken) bekam er eine Stelle bei Bosch, heiratete, wurde Vater zweier Kinder. 27 Jahre lang lebte Cüneyt C. in Deutschland – dann kündigte er im vergangenen April seinen Job, löste seine Wohnung auf, meldete sich ordnungsgemäß beim Einwohnermeldeamt ab. C. ging mit Frau und Kindern in ein Terror- Camp nach Pakistan – vor exakt zwei Wochen hat sich der mittlerweile 28-Jährige vor einem US-Stützpunkt in der afghanischen Provinz Khost in die Luft gesprengt und zwei US-Soldaten und zwei afghanische Wachmänner mit in den Tod gerissen.
Das behauptet jedenfalls die „Islamische Dschihad Union“ in einem Bekennerschreiben. Auf anderthalb Netzseiten schreibt die usbekische Terror- Organisation, dass Cüneyt C. unter seinem Kämpfer-Namen Saad Ebu Furkan den Anschlag „gegen das Militärlager der Ungläubigen“ erfolgreich durchgeführt habe. Ein „tapferer Türke aus Deutschland“ habe sein Luxusleben gegen das Paradies eingetauscht.
„Der mit 4,5 Tonnen gefüllte Kleinlaster vernichtete die Ketzerarmee“, beschreibt die „Pressestelle des Islamischen Dschihad Union“ die Tat. Daneben Bilder, die einen bärtigen jungen Mann mit Pistole zeigen – hierbei handelt es sich um Cüneyt C., wie eine BKA-Sprecherin gestern bestätigte. Der erste Selbstmordattentäter aus Deutschland – es war wohl der gebürtige Freisinger C., der Taliban von nebenan.
Einen hundertprozentigen Beleg dafür werde es wohl nie geben, räumte ein Ermittler im Gespräch mit „Spiegel online“ ein. „Doch die Geschichte ist zu plausibel für einen Propaganda-Gag“. DNA-Spuren oder Fingerabdrücke liegen den Fahndern nicht vor – zu gewaltig war die Wucht der Detonation vom 3. März. Der Attentäter hatte seinen Toyota Dyna mit laufenden Motor vor den Eingang des U-Stützpunkts gestoppt und dann den Zünder gedrückt. 4,5 Tonnen Sprengstoff zerfetzten seinen Körper, ließen den Eingangsbereich einstürzen. Viele Soldaten wurden verschüttet, zwei starben. Taliban versuchten vergeblich, das Gebäude zu stürmen.
Der blutige Schlusspunkt der Islamisten-Karriere von Cüneyt C., die wohl erst im Winter 2006 begonnen hatte. Damals hatte die Islamische Dschihad Union angefangen, Kämpfer in Deutschland zu rekrutieren. Mitglieder dieser Terror-Zelle: Adem Y. (28), Daniel S. (22), Fritz G. (28), die im Sauerland Anschläge auf US-Einrichtungen planten (AZ berichtete), und Saddullah K., der bei einem US-Angriff auf ein Terror-Camp in Pakistan getötet wurde. Das bayerische Innenministerium bestätigt, dass Cüneyt C. Kontakt zu Adem Y. gehabt hat.
Fünf Monate vor dessen Festnahme setzte sich Cüneyt C., dessen Bruder in München leben soll, nach Pakistan ab – zum Entsetzen seiner Schwiegereltern in Ansbach: „Ich bin völlig verzweifelt“, sagte die Schwiegermutter des mutmaßlichen Selbstmord-Attentäters der AZ. „Seit mehr als einem Jahr habe ich nichts mehr von meiner Tochter und meinen Enkeln gehört.“ Als Cüneyt C. ihre Tochter heiratete, seien beide „modern und westlich“ eingestellt gewesen. Anfang 2006 dann die Wandlung: Er ließ sich einen Bart wachsen, alles, was er sagte, hatte mit Religion zu tun. „Cüneyt hat wohl die falschen Leute kennen gelernt“, vermutet seine Schwiegermutter. „Jetzt habe ich Angst um meine Tochter.“
H. Reister, G. Thanscheidt
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