„Der Fall Benno Ohnesorg muss neu aufgerollt werden“

BERLIN - Erteilte 1967 die Stasi dem Berliner Polizisten Kurras den Auftrag, den Studenten zu erschießen? Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen zu den spektakulären neuen Informationen.
1967 hatte er den Studenten Benno Ohnesorg bei einer Demo in Berlin erschossen und damit die teilweise Radikalisierung der Studentenbewegung ausgelöst. Jetzt wurde der frühere Polizist Karl-Heinz Kurras (81) als damaliger Stasi-Informant enttarnt
In zwei Prozessen (1967 und 1970) war Kurras vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen worden – trotz zahlreicher Aussagen, dass Kurras Ohnesorg von hinten in den Kopf schoss, obwohl dieser seine Hände erhoben hatte.
Damals gab es die verbreitete Vermutung, die Staatsgewalt habe mit der Erschießung eines der protestierenden Studenten ein Signal setzen wollen.
Es kursierte aber auch die Theorie, der Staatssicherheitsdienst der DDR habe seine Hand im Spiel gehabt. Gab es in Ost-Berlin, so wurde spekuliert, ein Interesse daran, die Auseinandersetzungen in Westberlin anzufachen und die Studenten durch spektakuläre Aktionen richtig auf die Barrikaden zu treiben?
Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen zu den neuen Informationen im Fall Kurras-Ohnesorg:
Was sagt Karl-Heinz Kurras zu den Enthüllungen...?
Verwirrendes. Zunächst leugnete er, Inoffizieller Mitarbeiter (IM) des Staatssicherheitsdienstes der DDR gewesen zu sein. Auch bestritt er in der „BamS“, von der Stasi bezahlt worden zu sein: „Von denen habe ich nie Geld bekommen. Das haben die sich sicher in die eigenen Tasche gestopft.“ In einer anderem Interview sagt er dagegen: „Und wenn ich für die Staatssicherheit gearbeitet habe. Was macht das schon. Das ändert nichts.“
. . . und über seine politische Vergangenheit?
„Ja, ich war in der SED, soll ich mich deswegen etwa schämen?“ Seine alte politische Gesinnung habe er aber abgelegt. Zugleich sagte er allerdings über den Vizechef der Vereinigung der Opfer des Stalinismus, Carl-Wolfgang Holzapfel, der ihn wegen Mordes angezeigt hat: „Den hätte Erich Honecker früher mal richtig verurteilen sollen.“
Was lieferte Kurras der Stasi?
Als IM „Otto Bohl“ soll Kurras vor den tödlichen Schüssen auf Ohnesorg der DDR-Staatssicherheit Informationen über Mitarbeiter, Personalveränderungen und die Arbeitsweise verschiedener Polizeidienststellen geliefert haben. Zusätzlich soll er Daten über DDR-Flüchtlinge gesammelt, geplante Durchsuchungen bei Spionage-Verdächtigen verraten und über Fluchthelfer, mögliche Fluchttunnel und unterirdische Schießanlagen der Alliierten informiert haben.
Wie war er dafür ausgerüstet?
Seine Führungsoffiziere statteten Kurras laut Stasi-Akten mit Abhör-Mikrofonen aus, die er im Dienstzimmer des Leiters der Berliner Kriminalinspektion Tiergarten installieren sollte. In den Akten finden sich laut „Spiegel“ auch Protokolle von Kurztreffs, bei denen Kurras Büchsen mit Filmen oder Nachschlüssel für Panzerschränke und Diensträume der Polizei übergab. Der Agent galt als Waffennarr.
Hatte der Polizist von der Stasi den Auftrag erhalten, Benno Ohnesorg zu erschießen?
Das bezweifeln Experten. Der ehemalige Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Schütz sagt: „Ich kann mir nicht denken, dass die ehemalige SED-Führung einen solchen Auftragsmord – und dann auch noch einen so eigentümlich laienhaft durchgeführten – angeordnet hat.“ Der ehemalige Beauftragte für die Stasi-Unterlagen. Joachim Gauck, teilt diese Meinung: „Natürlich war die SED immer daran interessiert, die Bundesrepublik zu destabilisieren, aber diese Aktion wäre zu abenteuerlich gewesen, um von der Stasi inszeniert zu werden.“
Muss der Prozess gegen Kurras neu aufgerollt werden?
Ja, sagt der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily, der Ohnesorgs Vater als Nebenkläger im Prozess gegen Kurras vertreten hatte. Der Fall müsse politisch und juristisch neu bewertet werden. Stefan Aust, Ex–Spiegel-Chefredakteur plädiert dafür zu überprüfen, ob es eine Neuauflage des Prozesses geben müsse.
Michael Heinrich