Der ewige Schnorrer
Braucht der Ex-Bundespräsident Christian Wulf Mitleid? Die Politikredakteurin über den Prozess gegen ihn, der heute vor dem Landgericht in Hannover beginnt.
München - Im Ausland schaut man verwundert auf den Prozess, der heute beginnt: Wegen 719 Euro stellen die Deutschen ihren früheren Bundespräsidenten vor Gericht. Die Berlusconi-geplagten Italiener werden da wohl nur hysterisch auflachen. Aber ja: Ist doch schön, wenn hierzulande – wenigstens in diesem Fall – Politiker nicht gleicher sind als andere.
Wenn Kassiererin Emmely wegen eines Pfandbons im Wert von 1,30 Euro gefeuert wird und jeder Beamte bestraft wird, der Geschenke im Wert von mehr als 20 Euro annimmt, dürfen für den obersten Staatsdiener keine augenzwinkernden Ausnahmen gemacht werden. Es muss ja nicht auf jedem Bobby-Car herumgeritten werden, und er hat so oder so schon eine Strafe bekommen – Amt, Ansehen und Ehefrau sind weg.
Aber allzu viel Mitleid ist auch unangebracht. Dass von den vielen Vorwürfen nur einer als strafrechtlich verhandelbar Übriggebliebene ist, heißt nicht, dass die anderen Punkte moralisch in Ordnung waren. Ich möchte immer noch keinen Bundespräsidenten, der versucht, einen dubiosen Haus-Kredit zu vertuschen, und der sich Luxus-Urlaube bei Unternehmern schnorrt, statt sie sauber selbst zu zahlen.
Der immer noch glaubt, dass er über eine Verschwörung gestolpert ist, weil die Medien Joachim Gauck immer schon lieber mochten als ihn und weil er mit seiner Patchwork-Familie zu modern für das Amt gewesen sei. Das war nicht das Problem. Der Anstand war es, wie auch immer das Verfahren ausgeht.