Der Ernüchterte: Obama startete mit großen Hoffnungen

Als Obama am Abend des 4. November 2008 mit Frau Michelle und den Töchtern Sasha und Mahlia in Chicago auftrat, schien das der Höhepunkt eines amerikanischen Märchens. Doch die Realität hat den Superstar sehr schnell eingeholt.
Die Geschäfte laufen nicht gut im großen Souvenir-Shop gegenüber dem Weißen Haus. „Wir verkaufen jetzt auch mehr Andenken an andere Präsidenten“, sagt die Verkäuferin. Obama-Kitsch geht nicht. Die Betreiber hatten damit gerechnet, dass der Hype um den 48-jährigen Hausherrn gegenüber länger dauern würde. Doch die Realität hat den Superstar sehr schnell eingeholt. Obamamania war gestern.
Genau ein Jahr ist es her, dass Barack Hussein Obama triumphal zum Präsidenten der USA gewählt wurde. Als er am Abend des 4. November mit Frau Michelle und den Töchtern Sasha und Mahlia in Chicago auftrat, schien das der Höhepunkt eines amerikanischen Märchens. „Change“, der „Wechsel, an den wir glauben können“, schien Realität. Der Sieg versprach das Ende einer Periode von Krieg und Verfolgungswahn unter George W. Bush und seinem finsteren Vize Dick Cheney. Um den Globus hofften die Menschen auf eine bessere Welt.
Und heute? Sind alle ein wenig ernüchtert, der Präsident wohl auch: „Alles ist hier politisch“, sagte er jetzt er New York Times über sein Leben im Weißen Haus. „Sogar wenn ich mit meiner Frau zum Essen gehe“. Die oppositionellen Republikaner hatten sich beklagt, dass er die First Lady nach New York ausführte: „Erholung auf Steuerzahlerkosten“, ätzten Kommentatoren. Das vergiftete Klima ist ein Problem für den schwarzen Präsidenten, aber nicht sein größtes.
Obama zögert nicht nur beim Truppenrückzug aus dem Irak
Obama hatte keine Zeit, bis zur Vereidigung zu warten. Gleich nach der Wahl musste er Banken retten und das größte Konjunkturprogramm aller Zeiten zur Stützung der USA-Wirtschaft auflegen. Obamas Leute nennen das heute einen Erfolg. Am Tag nach seiner Vereidigung legte er richtig los. Wie versprochen, leitete er den Rückzug der Kampftruppen aus dem Irak ein. Dass nach dem Sommer 2010 noch immer 50.000 GI im Irak bleiben müssen, ist eher ein Schönheitsfehler. Relativ zügig machte sich Obama auch an die Reparatur seines Verhältnisses mit den Russen, das Irrsinnsprojekt einer Raketenabwehr in Polen und Tschechien stoppte Obama.
Soweit die guten Nachrichten. Aber der Mann, der heuer den Friedensnobelpreis als Vorschusslorbeer bekam, ist in Afghanistan Kriegsherr, und seine Generäle drängen ihn zu Truppenverstärkungen. Obama tut, was ungewohnt ist nach dem Elan der ersten Monate: Er zögert. Auch beim Klimaschutz oder bei Guantanamo. Das Lager wie versprochen bis Januar zu schließen, wird nicht klappen.
Seine Mitarbeiter nennen das „mit Bedacht regieren.“ Andere sagen, Obama habe zu viel, zu schnell angepackt. Vor allem stockt sein Megaprojekt, die 40 Millionen Amerikaner ohne Krankenversicherung zwangsweise zu versichern. Trotz komfortabler Mehrheit im Kongress hat er bei diesen Themen auch die eigenen Demokraten nicht auf seiner Seien.
Und seine Gegner, die den Sieg des ersten Schwarzen im Weißen Haus nicht verwunden haben, stoßen mit bizarren Verschwörungstheorien auf offene Ohren. Dass ein Schwarzer ein Plakat mit Obama als Hitler trägt, weil der Präsident ältere Menschen vor Todestribunale stellen wolle, das war vor einem Jahr noch undenkbar.
Obama braucht einen langen Atem, und er braucht noch Zeit. Drei Jahre hat er noch, dann ist wieder Wahl.
Matthias Maus