Das Wahlprogramm der Union: "Minimalfußball im Mittelfeld“
Die Vorstände von CDU und CSU haben das Wahlprogramm der Union wie erwartet abgenickt. Was sind die Stärken, was die Schwächen in dem 63-seitigen Text? Was reitet die CSU, was denkt sich der Steuer-Rebell Oettinger? Ein AZ-Interview mit Josef Schmid (53), Parteienforscher und Politikwissenchaftler an der Uni Tübingen.
AZ: Herr Professor Schmid, CDU und CSU haben sich auf ein gemeinsames Wahlprogramm verständigt. Was hält der Fachmann davon?
JOSEF SCHMID: Mein Fazit lautet: In der Mitte nicht viel Neues. Man merkt dem Programm aber an, dass Merkel & Co. aus dem mageren Wahlergebnis 2005 gelernt haben, dass ein klassisches liberales Programm derzeit nicht funktioniert. Erst recht nicht in der Krise. Also macht die Union den Versuch, mit einem pragmatischen Gemischtwarenladen allen etwas zu bieten. Sie setzt auf eigene Stärken und versucht, bisherige Schwächen abzubauen.
Was meinen Sie konkret mit „Stärken“?
CDU und CSU versprechen erneut, den Haushalt zu konsolidieren und die Leistungsträger zu stärken. Das ist ein für die Union typisches, an Mittelschicht und Arbeitnehmern orientiertes Programm, was Steuersenkungen für den unteren und höheren Einkommensbereich verspricht. Und eine Art Eigentumsschutz verheißt für gut verdienende Facharbeiter, die in Hartz IV geraten und Angst um ihre Ersparnisse haben. Eine weitere Stärke der Union ist die Familienpolitik. Hier bleibt das Programm extrem konventionell, indem es einfach wieder mehr Kindergeld verspricht. Auch das zielt vor allem auf die Mittelschicht, die Vererbung von sozialer Ungleichheit wird damit nicht unterbunden.
Und an welchen ihrer Schwächen hat die Union gearbeitet?
Indem CDU und CSU jetzt auch Umwelt und Bildung stärker in den Fokus rücken, wildern sie gnadenlos bei Grünen und SPD. Mit diesen Themen versucht die Union, Jungwähler stärker an sich zu binden und sich ein moderneres Image zu geben.
Kann die Union auf diese Weise bürgerliche Wähler zurückholen, die sie vor allem in Großstädten an die Grünen verloren hat?
Das wird nicht funktionieren, ein schwarz-grünes Programm ist das nicht. Eher das ökologische Mindestprogramm, dass man heute einfach draufhaben muss, um nicht noch mehr Wähler an die Grünen zu verlieren.
Ein Wort zur konservativen Gesundheitspolitik?
Hier strotzt der Text vor Vagheiten. Die lange stark propagierte Kopfpauschale taucht gleich gar nicht mehr auf, wird offenbar nicht weiter verfolgt. Die Gesundheitspolitik ist ein extrem vermintes Gelände, auf dem sich die Union diesmal nicht mehr die Finger verbrennen will. Ein ähnlich heikles Thema, was sehr defensiv gefahren wird, ist die Atomkraft: Plötzlich ist von einem Neubau von Kernkraftwerken keine Rede mehr, sprechen CDU und CSU nur noch von einer Übergangstechnologie.
Ein weichgespültes Wahlprogramm also ohne große Ecken und Kanten.
Dazu ist ein Wahlprogramm auch nicht da. Sondern dafür, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten und so möglichst viele Wähler zu organisieren. Das ist wie beim minimalistischen Fußball: den Ball im Mittelfeld hin- und herschieben, um bloß keine Fehler zu machen. So ist ja auch der Regierungsstil von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie vermeidet die Schlammschlacht mit der SPD, weil sie mit der ja vielleicht weiter regieren muss. Die radikal-liberale Klientel scheint die Union ganz der FDP zu überlassen.
Oder der CSU, die sich als aggressive Steuersenkungspartei zu profilieren versucht.
Die CSU betreibt mit diesen unrealistischen Versprechungen eine Art sozialdemokratischen Populismus zur kurzfristigen Wählermaximierung. Auch das ist eine klassische Klientelpolitik für den Mittelstand.
Was hat den Schwaben-Regenten Günther Oettinger eigentlich geritten, unmittelbar vor der Präsentation des Wahlprogramms eine Mehrwertsteuererhöhung ins Gespräch zu bringen? Ehrlichkeit oder Dummheit?
Mein Landesherr redet oft schneller als er denkt; er hat wohl gedacht - falls überhaupt - mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen zu können: Einerseits sich haushalstpolitisch als seriös zu profilieren, andererseits auch Geschenke an die Kneipiers verteilen zu können.
Wenn Sie heute tippen müssten: Welche Koalition regiert nach dem 27.September?
Nach heutiger Sicht rechne ich schon mit einer Mehrheit für Schwarz-Gelb. Aber der Teufel ist ein Eichhörnchen. Es gab schon Abende, an denen ich die Sportschau nicht eingeschaltet habe, weil ich dachte, dass Bayern München sowieso gewinnt. Dann habe ich am nächsten Tag der Presse entnommen, dass ich besser doch hätte einschalten sollen.
Interview: Markus Jox