Das Volk hat kein Verständis für die Abgehobenen

Eine Ministerin benutzt ihren Dienstwagen im Urlaub und findet nichts dabei. Ein Multimillionär feiert auf Staatskosten im Kanzleramt. Warum hat Deutschlands Elite kein Unrechtsbewusstsein?
von  Abendzeitung
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Josef Ackermann
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Josef Ackermann © dpa

Eine Ministerin benutzt ihren Dienstwagen im Urlaub und findet nichts dabei. Ein Multimillionär feiert auf Staatskosten im Kanzleramt. Warum hat Deutschlands Elite kein Unrechtsbewusstsein?

Ulla Schmidt, Karl-Theodor zu Guttenberg und auch Bundeskanzlerin Angela Merkel haben vom Haushaltsausschuss des Bundestags nichts zu befürchten: Es sind ihre Parteien, die die Mehrheit in diesem Ausschuss haben. Man solle die Themen „nicht zu hoch hängen“, heißt es.

Schmidt mag sich an ihre Vorschriften gehalten haben, als sie ihren Dienstwagen nach Spanien düsen ließ. Guttenberg mag richtig gehandelt haben, als er sich von Lobbyisten ein Gesetz schreiben ließ. Und auch Merkel muss mit Ackermanns Party im Kanzleramt nichts Illegales getan haben. Doch das Volk kann das Verhalten ihrer Eliten nicht mehr verstehen. Warum das so ist, erklärt der Darmstädter Eliten-Forscher Michael Hartmann im AZ-Interview.

AZ: Ulla Schmidt fährt mit dem Dienstwagen in den Urlaub – und sagt, ihr steht das zu. Warum hat sie kein Unrechtsbewusstsein?

MICHAEL HARTMANN: Eliten bewegen sich zunehmend in einer Parallelwelt. Der obere Teil der Bevölkerung verkehrt weitgehend unter seinesgleichen – und dort ist die private Nutzung eines Dienstwagens kein Thema, weil es fast jeder macht. Auch eine Einladung durch einen Politiker ist nichts Ungewöhnliches. Die Kosten für die Feiern sind Kleingeld für Spitzenmanager.

Wie wird man zur Elite?

Das Entscheidende ist die Herkunft: 85 Prozent der Top-Manager stammen aus den oberen dreieinhalb Prozent der Bevölkerung, in der Justiz sind es 65 Prozent. In der Politik sind es 70 Prozent.

War der Elite-Faktor in der Politik immer schon so hoch?

Nein, da hat sich viel geändert, vor allem in den vergangenen zehn Jahren. Wir haben zum ersten mal eine Bundesregierung, in der mehr Großbürgerkinder als Arbeiterkinder sitzen.

Großbürgerkinder hätten es nicht nötig, einen Dienstwagen privat zu nutzen. Warum tun sie es trotzdem?

Das hat sich halt so eingebürgert und fällt keinem mehr auf. Es ist dasselbe wie bei Firmeninhabern oder Managern: Viele von denen nutzen Unternehmenspersonal im eigenen Haus, im Garten, für Reparaturen. So ist es auch bei Politikern. Man kann die Sache mit einem Angestellten vergleichen, der von der Arbeit aus privat das Telefon nutzt. Nur sind die Dimensionen bei Eliten anders.

Warum protzt Ackermann, der 14 Millionen Euro im Jahr verdient, mit seiner Party im Kanzleramt?

Weil das etwas ist, was er normalerweise nicht bekommt – eine Anerkennung von der laut US-Magazin Forbes mächtigsten Frau der Welt. Es gibt immer noch Punkte, die Ackermanns Status heben. Es geht für ihn nicht nur darum, das meiste zu verdienen, er will einen Sonderstatus.

Jetzt sind die Fälle vor dem Haushaltsausschuss gelandet. Welchen Schaden haben die Betroffenen davon?

Das hängt von der Partei ab. Wenn ein Wirtschaftspolitiker wie Guttenberg Gesetze fremd vergibt, ist das kein wirkliches Problem. Die Menschen verzeihen ihm das eher, weil es keine persönliche Bereicherung darstellt. Bei Merkel sieht es ähnlich aus. Dazu kommt, dass ihre Wählerschaft auf solche Dinge weniger empfindlich reagiert als die klassische sozialdemokratische Klientel. Da ist Ulla Schmidt weitaus gefährdeter als Guttenberg und Merkel.

Erklären Sie doch mal das Elite-Denken von Guttenberg und Schmidt.

Guttenberg ist in einer Adelsfamilie aufgewachsen, ist als Kind schon etwas gewesen. Er weiß, dass er etwas darstellt und verhandelt mit den Mächtigen auf Augenhöhe, weil er dazugehört. Bei Ulla Schmidt, die eine soziale Aufsteigerin ist, verhält sich der Fall anders: Sie kommt zwar von unten, ist aber schon lange Spitzenpolitikerin. Wenn sie mit Pharma-Managern oder Ärztefunktionären verhandelt, hat sie es in der Regel mit Menschen zu tun, die nicht aus kleinen Verhältnissen kommen. Irgendwann geht der Bezug zu den Verhältnissen, aus denen man gekommen ist, dann verloren. Der frühere Bundeskanzler Schröder ist ein Musterbeispiel dafür.

Und Merkel?

Bei Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es noch einmal anders. Sie stammt aus einer bildungsbürgerlichen Familie, ist aber in der DDR aufgewachsen, wo das nicht so viel zählte. Dann hat sie durch Kohl die Welt der Mächtigen kennen gelernt und begriffen, wie man mit Macht umgehen muss. Sie hat sich ein enges Kontaktnetz geschaffen, dem Politiker, aber auch reiche Unternehmer und Manager angehören. Das ist jetzt ihre Welt, wie man in Bayreuth jedes Jahr sehen kann.

Volker ter Haseborg

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