Das Versagen der EU im Abgas-Skandal

Ein Autobauer-Kartell soll die Manipulationen systematisch eingeleitet haben. Der Fall zieht Kreise: Experten fragen ganz offen nach der Mitschuld Brüssels
Detlef Drewes |
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Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos. Wo es Grenzwerte gibt, wird geschummelt.
Marijan Murat/dpa Abgase kommen aus dem Auspuff eines Autos. Wo es Grenzwerte gibt, wird geschummelt.

Europas Autofahrer haben viel mitgemacht. Inzwischen wissen sie, dass ihre Diesel-Autos nicht nur mit billigem Sprit, sondern auch mit Harnstoff unterwegs sind. Damit das nicht so unappetitlich klingt, heißt der Zusatz AdBlue. Über die Größe des dafür nötigen Zusatztanks wurde heftig gestritten – vor allem zwischen den Autobauern. Fünf Prozent müssten dem Treibstoff zugemischt werden, um die Abgasnorm Euro 6 zu erreichen. Das wollte man Kunden nicht zumuten. Stattdessen drosselten die Hersteller die Zugabe und nahmen erhöhte Stickoxid-Emissionen in Kauf.

Inzwischen ermittelt die EU-Kommission. Dabei sind keineswegs nur deutsche Konzerne betroffen – und übrigens nicht nur Diesel-Motoren, sondern auch Benziner mit Direkteinspritzung. Renault, Dacia, Peugeot, Citroën, Fiat-Chrysler – sie hängen alle mit drin. Ein Fahrzeug vom Typ Renault Scénic 160 dCI gab laut ADAC-Test innerorts so viel Stickoxide ab wie 240 Autos vom Typ BMW 520d. Im Vergleich aller Fahrzeuge mit Selbstzünder schnitten die deutschen noch am besten ab.

Ein Insider sagt: „Das ist ein Paradebeispiel für falsche Industriepolitik“

Die anderen europäischen Autobauer aber saßen nicht am Tisch, als Deutschlands Hersteller Absprachen trafen. Inzwischen wird die Schummelei als der größte Skandal der deutschen Wirtschaftsgeschichte beschrieben – richtiger wäre der europäischen Industrie. Denn die EU-Kommission gerät nun selbst ins Visier. Der Vorwurf: Sie habe die Klimaschutz-Diskussion viel zu lange in die falsche Richtung laufen lassen.

Tatsächlich setzte Brüssel um die Jahrtausendwende in der Politik gegen die Erderwärmung vorrangig auf die Reduzierung des Kohlendioxids. CO2-arme Produkte und Autos galten als der große Renner. „Das war aus heutiger Sicht ein missverständliches, aber wohl auch falsches Signal für die Hersteller“, räumte jetzt ein hochrangiges Mitglied der EU-Behörde ein. Damals gab es noch Absprachen mit dem Verband europäischer Automobilhersteller (ACEA). Diesel galten zwar als teurer, blieben aber weit unter den Grenzwerten für Kohlendioxid und handelten sich den Ruf ein, modern und umweltfreundlich zu sein.

Auch in anderen Branchen gibt es Grenzwert-Verfehlungen 

Ein Image, das durch den subventionierten Dieselpreis verstärkt wurde und zum Verkaufsboom führte – und zu Luftverunreinigung in den Ballungszentren. „Ein Paradebeispiel für falsche Industriepolitik“, sagte der Insider. Dabei geht die Kritik weiter. Auch in anderen Branchen gibt es Verfehlungen von Herstellern beim Umgang mit Grenzwerten. So ermittelten die Bauer von Kühlschränken ihre Werte am Stromverbrauch eines Junggesellen-Haushaltes, der das Gerät nur wenig öffnet. Waschmaschinen, Fernseher, Staubsauger – oft tricksten Ingenieure die Prüfbehörden aus.

Kritiker des Drehens an der Grenzwert-Schraube wie der Publizist Peter Mühlbauer bringen ein eklatantes Beispiel für den – wie sie sagen – Widersinn dieser Politik: „Der Stickstoff-Grenzwert an deutschen Straßen wurde auf 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Atemluft festgelegt. In geschlossenen Räumen liegt er bei 950 Mikrogramm pro Kubikmeter. So viel erlaubt das Bundesgesetzblatt Innenraumluft als ‚Maximale Arbeitsplatz-Konzentration‘.“

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