"Das reicht noch lange nicht"
Hans-Herbert von Arnim im AZ-Interview über die Fehler im System – und warum die Selbstbedienung längst nicht gestoppt ist
MÜNCHEN Er hat die ganze Abgeordneten-Affäre mit seinem Buch „Die Selbstbediener“ ins Rollen gebracht: Professor Hans-Herbert von Arnim. Ein Interview über die Konsequenzen – und was jetzt noch fehlt.
AZ: Freut es Sie, dass Sie mit Ihrem Buch so viele konkrete Änderungen angestoßen haben?
VON ARNIM: Ja, das ist schön, immerhin. Das reicht aber noch lange nicht aus, weil es nur einen Teil der Probleme erfasst. Und es besteht die Befürchtung, dass die Rügen des Rechnungshofs verpuffen, weil der Landtag die Diskussion auf die Zeit nach der Wahl verschieben will. Und weil er beabsichtigt, die wohlüberlegten Kritikpunkte durch gegenteilige Gutachten zu entschärfen.
Müsste also der Rechnungshof seine Arbeit fortsetzen?
Er hat ja nur geprüft, was das Landtagsamt vorliegen hatte: Nur zwei Prozent der Abgeordneten haben die Arbeitsverträge ihrer Mitarbeiter dem Amt übermittelt. Und schon da hat die Prüfung eine Reihe von missbräuchlichen Verwendungen ergeben (zum Beispiel den Fall Heike, siehe unten, d. Red.). Es kann sein, dass der Rechnungshof deswegen nicht alle geprüft hat, weil er unbedingt noch vor der Wahl mit seinem Bericht rauskommen wollte – er weiß auch, danach geschieht nicht mehr viel. Aber gerade deswegen muss er weiter prüfen.
Der Rechnungshof kommt auch zu dem Schluss, dass die Gelder eigentlich ab 2004 zurückgezahlt werden müssten.
Voraussetzung für Rückzahlung ist erstens, dass die Zahlungen rechtswidrig waren. Das bestätigt der ORH. Und zweitens, dass kein Vertrauensschutz oder Verjährung vorlag. Und da hat der ORH gesagt, das soll der Landtag prüfen. Und das halte ich für problematisch: Denn der Landtag handelt ja in eigener Sache. Frau Stamm hat ja schon angekündigt, dass sie einen Gutachter beauftragt. Eine erprobte Methode, um den Rechnungshof ins Leere laufen zu lassen.
Ist die fehlende Aufsicht also ein persönliches Problem namens Barbara Stamm oder liegt der Fehler im System?
Es ist ein systemisches Problem. Bei der Bewilligung und Verwendung der Mittel handelt der Landtag in eigener Sache. Deswegen ist hier die Kontrolle so wichtig. Weil der Landtag sie beiseite geschafft hat, brauchen wir andere Kontrollinstanzen. Erstens die Öffentlichkeit. Das setzt voraus, dass die Mittel nicht in einem Haushaltstitel unter tausenden bewilligt werden, sondern mit einem richtigen Gesetz. Als weitere Kontrollinstanz kommt der Verfassungsgerichtshof in Frage. Bayern ist das einzige Land, das eine Popularklage kennt. Zum Beispiel die Kostenpauschale, die auch ein Münchner Abgeordneter bekommt, der kein zweites Büro braucht, keine Zweitwohnung und kaum Reisekosten hat - für all das ist die Pauschale bestimmt. Meines Erachtens könnte eine Popularklage durchaus Erfolg haben. Und die dritte Kontrollinstanz ist der Wähler. Dafür müssen die Probleme, wie die überholten Privilegien der bayerischen Abgeordneten, jetzt auf den Tisch kommen.
Ist die Verfilzung spezifisch bayerisch oder typisch, wenn eine Partei egal welcher Couleur sehr lange regiert?
Natürlich hängt das mit der sehr langen Regierungszeit der CSU zusammen. Und die Oppositionsparteien haben sich mangels realistischer eigener Chancen nach meinem Eindruck gesagt, wenn wir schon nicht wirklich etwas bewegen können, wollen wir uns wenigstens kommod betten.
In den Umfrage-Werten der CSU schlägt sich das jedenfalls so gut wie nicht wieder.
Das ist ein Phänomen, das mich auch nachdenklich macht. Ministerpräsident Horst Seehofer hat da ganz geschickt agiert. Er hat sich zunächst als „Aufräumer“ gegeben. Und jetzt erklärt er wie Frau Stamm, dass das nur Einzelfälle waren. Aber es ist ein systemisches Problem, und das sind die allerschlimmsten.