„Das muss sich natürlich bessern“
Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel im AZ-Interview über den Zustand seiner Partei, Kreuth, die Rolle von Horst Seehofer und die der FDP
AZ: Herr Waigel, die CSU befindet sich im freien Fall, was ist nur mit Ihrer Partei los?
Theo Waigel: Im freien Fall ist sie nicht. Sie hat immer noch mehr Prozent als alle anderen Parteien in Deutschland. Ähnliche Probleme, wie sie derzeit zu bewältigen hat, hat es auch in den 50er und 60er Jahren gegeben.
In Kreuth fordert Seehofer einen Neuanfang für die Bundesregierung. Ist die nach 73 Tagen schon am Ende?
Am Ende nicht. Aber ihr Erscheinungsbild muss sich natürlich bessern. Deshalb ist es richtig, dass sich die drei Parteivorsitzenden zusammensetzen und überlegen, was ist realisierbar. Und was können wir in Etappen bewältigen.
Warum ist das Erscheinungsbild so schlecht?
Weil so viele geredet haben. Und weil man sich am Anfang das eine oder andere unrealistische Ziel vorgenommen hat. Dazu gehört auch, dass Steuersenkungen, die ich im Grundsatz befürworte, natürlich einer Gegenfinanzierung im Finanzkonzept bedürfen.
Sie waren der am längsten amtierende Finanzminister. Hätten Sie sich vorstellen können, dass die Mehrheit gar kein Steuergeschenk will?
Ach ja, in der Finanzpolitik sollte man sich nicht zu sehr nach Umfragen richten. Denn auch völlig richtige Reformen, wie die Erhöhung des Rentenalters von 65 auf 67 Jahre, werden von zwei Drittel der Deutschen abgelehnt. Wenn man danach geht, könnte man keine Politik mehr machen.
Zwei Drittel der Deutschen sind mit der Arbeit der Koalition in Berlin unzufrieden. Was macht sie falsch?
Auch das ist nicht neu. Am Anfang wird eine Regierung begrüßt. Wenn sie dann die ersten unangenehmen Dinge sagen muss, nimmt die Akzeptanz ab. Wir sind derzeit weltweit in einer schwierigen Zeit.
Mit Seehofer geht die Talfahrt der CSU weiter. Ist er der Richtige?
Ohne Zweifel und ohne jede Diskussion. Er kann für das, was in Bayern stattgefunden hat, nichts. Es ist ein Glücksfall, dass er, Georg Fahrenschon und auch Karl-Theodor zu Guttenberg aus der Bundespolitik kommen und durch die Vorgänge in der Landespolitik nicht tangiert sind.
Schwindsüchtig liegt die CSU in Kreuth darnieder.
Ich war einen Tag in Kreuth. Da hat die Landesgruppe einen aufgeräumten und guten Eindruck gemacht. Vor allem die sachliche Art, mit der der neue Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich die Dinge behandelt, gefällt mir gut. Und der Besuch des europäischen Präsidenten zeigt, dass die CSU nicht zu einer Bayernpartei schrumpft, sondern eine Partei mit europäischer Dimension bleibt.
Peter Gauweiler aber spricht schon von einer Verzwergung der CSU.
Er ist ein interessanter und intelligenter politischer Querdenker, der gern zu literarischen Formulierungen greift.
Was muss jetzt in Berlin passieren?
Man muss sich vor allem in der Finanzpolitik auf ein Gesamtkonzept einigen. Das sollte man aber nicht unter Druck machen, sondern wirklich die Steuerschätzung abwarten. Daraus ergeben sich Spielräume und Zwänge.
Wird die CSU wieder zur alten Stärke zurückfinden?
Sie wird sich sicher nicht mehr das Ziel 60 Prozent geben können und die SPD wird nicht mehr 40 Prozent erreichen. Alle Volksparteien tun sich schwer mit dem soziologischen Wandel. Doch ohne Volksparteien ist Deutschland nicht regierbar.
Interview: Angela Böhm