Das kostet Sie die Koalition

Was der schwarz-rote Vertrag für den einzelnen Bürger bedeutet: Statt höherer Steuern gibt es halt höhere Sozialbeiträge
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Was der schwarz-rote Vertrag für den einzelnen Bürger bedeutet: Statt höherer Steuern gibt es halt höhere Sozialbeiträge

BERLIN Die Zweifel an den schwarz-roten Finanzplänen wachsen. Wirtschaft und Wissenschaftler zeigten sich sehr skeptisch, dass sich die Ausgaben auf Dauer finanzieren lassen. Klar ist auf jeden Fall, dass die beschlossenen Vorhaben im Bereich Rente und Pflege – finanziell der größte Brocken – die Beitragszahler belasten werden. Die bereits beschlossenen Erhöhungen plus diejenigen, die sich zwangsläufig aus den neuen Ausgaben ergeben, summieren sich für einen Normalverdiener auf rund 35 Euro im Monat.

Ist der Gesamt-Etat solide? Nein, das sind Schönwetter-Planungen, sagen Experten nach genauer Sichtung des Koalitionsvertrags. „Bis 2017 lassen sich die vorgesehenen Mehrausgaben vielleicht ohne Steuererhöhung und neue Schulden finanzieren – darüber hinaus nicht“, so Christoph Schmidt, Chef des Sachverständigenrats der Bundesregierung. Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) sagte dazu, man habe ja auch keinen Vertrag für die Zeit ab 2018 gemacht. Er ergänzte, dass man sich für die Jahre 2016 und 2017 auf „globale Mindereinnahmen“ einstelle – das heißt, schon da klafft eine Lücke. Der Minister: „Das ist eine vorsichtige, ehrgeizige, aber realistische Planung.“

Wer zahlt für die Renten-Vorhaben? Der Beitragszahler. Auch das räumte Schäuble gestern ein. Beitragserhöhungen seien „unausweichlich“, sagte er, aber das seien sie sowieso, „weil weniger Jüngere mehr Älteren gegenüberstehen“. Aus Sicht der Union spricht viel dafür, die Projekte über Beitragserhöhungen zu finanzieren – dann müssen nämlich nicht die Steuern erhöht werden. Ein unangenehmer Schritt, weil es einen extra Beschluss braucht, zumal, wenn man sich im Wahlkampf dagegen gestellt hat. Die Beiträge dagegen sinken und steigen quasi automatisch, wenn bestimmte Reserven der Rentenkasse über- oder unterschritten sind. Nachteil aus Sicht der Bürger: Dann müssen die Arbeitnehmer – und in gleicher Höhe ihre Arbeitgeber – das allein finanzieren, statt auch die übrigen Steuerzahler (Selbstständige, Beamte, Politiker) heranzuziehen.

Was heißt das im einzelnen? Beschlossen ist, dass die fällige Beitragssatzsenkung in Höhe von 0,6 Prozentpunkten gestrichen wird. Die Mütterrente kann für ein, zwei Jahre vermutlich aus der aktuellen Reserve finanziert werden. Dann werden die Kosten wohl über eine Beitragserhöhung reingeholt, das Finanzministerium rechnet nach internen Zahlen mit 0,4 Prozentpunkten. Die Rente mit 63 kostet weitere 0,3 Prozentpunkte, die Verbesserungen bei der Erwerbsminderungsrente 0,1 Prozentpunkte. All das muss nicht mehr eigens beschlossen werden, sondern fließt in die Beitragssatzberechnung ein. Die Mindestrente für Geringverdiener entspricht 0,2 Prozentpunkten mehr Rentenbeitrag, hier ist aber auch im Gespräch, sie über Steuern zu finanzieren. Ebenfalls beschlossen ist die Beitragssatzerhöhung in der Pflege.

Was kostet das wen? Alles zusammengerechnet, ergeben sich monatliche Zusatzbelastungen von rund 10 Euro für Geringverdiener bis zu 56 Euro im Monat. Beispiel: Verdient jemand 1000 Euro brutto, kostet ihn der Verzicht auf die Beitragssenkung 3,00 Euro, die Mütterrente 2,00 Euro, die Rente mit 63 ohne Abschläge 1,50 Euro, die Mindestrente 1,00 Euro, die Verbesserungen bei der Erwerbsminderung 0,50 Euro, der höhere Pflegesatz 2,50 Euro - macht zusammen 10,50 Euro. Für jemanden, der genau das statistische Durchschnittsgehalt eines Angestelten verdient, nämlich 3391 Euro, beträgt die monatliche Zusatzbelastung 35,58 Euro. Im Einzelnen: 10,17 Euro ausgefallene Beitragssenkung plus 6,78 Euro für die Mütterrente plus 5,08 Euro für die Rente mit 63 plus 3,39 Euro für die Mindestrente, plus 1,69 Euro für die Erwerbsminderungsrente plus 8,47 Euro für die Pflege. Ein Topverdiener mit 5800 Euro kommt auf 56,24 Euro: 17,40 Euro für den Verzicht auf die Beitragssenkung plus 11,60 Euro für die Mütterrente, plus 8,70 Euro für die Rente mit 63 plus 5,80 Euro für die Mindestrente plus 2,90 Euro für die Erwerbsminderungsrente plus 9,84 Euro mehr für die Pflege.

Und wer bekommt mehr? Erstens: Mütter, die vor 1992 geboren haben. Für jedes Kind gibt es ab Juli 28,14 Euro im Monat mehr Rente. Zweitens: Wer 45 Beitragsjahre hat, kann mit 63 abschlagsfrei in Rente gehen. Das betrifft rund jeden vierten. Aber: Die Altersgrenze steigt parallel zur Einführung der Rente mit 67. Drittens: Geringverdiener, die 40 Jahre lang Beiträge gezahlt haben (inklusive bis zu fünf Jahren Arbeitslosigkeit), bekommen die Rente auf 30 durchschnittliche Jahresbeiträge aufgestockt (das entspricht heute einer Monatsrente von 844 Euro). Aber: Das gilt nur für künftige Rentner, nicht für die aktuellen.

 

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