Das Kartell der Abzocker

Landtagspräsidentin Barbara Stamm legt die Liste der Abgeordneten vor, die kurz vor der Gesetzesänderung noch schnell ihrer Angehörigen mit Verträgen versorgten.  
von  Angela Böhm
Legte sein Amt nieder: Harald Güller (SPD).
Legte sein Amt nieder: Harald Güller (SPD). © dpa

Landtagspräsidentin Barbara Stamm legt die Liste der Abgeordneten vor, die kurz vor der Gesetzesänderung noch schnell ihre Angehörigen mit Verträgen versorgten.

München - Landtagspräsidentin Barbara Stamm gibt sich demütig. „Ich bedauere, dass das Ansehen des Landtags so gesunken ist.“ Vor ihr liegt die Liste mit den Namen des bayerischen Abzockerkartells. 16 Abgeordnete wussten genau, was sie taten, als sie 2000 noch schnell vor dem Einstellungsverbot ihre Ehefrau oder Kinder zu Mitarbeitern machten.

12 sind von der CSU, drei von der SPD, einer ist verstorben und bleibt deshalb anonym. Nicht freiwillig, sondern auf Druck legte die Landtagspräsidentin die Liste vor. Sie wusste, dass die Namen noch Sprengstoff für ihre Partei sind.

Während Stamm mauerte, outeten die Medien drei Regierungsmitglieder: Innenstaatssekretär Gerhard Eck, Kultusstaatssekretär Bernd Sibler und Landwirtschaftsminister Helmut Brunner – sie alle stellten noch Angehörige ein, als eine Gesetzesänderung schon diskutiert wurde.

Doch es gibt noch weitere brisante Namen auf der Liste. Im November 1999 hatte die AZ öffentlich gemacht, dass Abgeordnete mit ihren Ehefrauen das Familieneinkommen auf Steuerzahlerkosten aufbessern. Damals erklärte der Landtag, es gebe 45 Abgeordnete, die Ehefrauen beschäftigen. Im Dezember 2000 waren es plötzlich 79 „Altfälle“. Also 34 mehr. Stamm klärte auf: „Die Zahl 45 war aus dem Jahr 1998.“

18 weitere Familienunternehmen wurden 1999 gegründet, bevor die Diskussion begann. Im Januar 2000 brachten die Grünen einen Gesetzesentwurf ein, der die Beschäftigung von Verwandten verbieten sollte. Gesetzesentwürfe werden im Rechtsausschuss beraten. Stellvertretender Vorsitzender war damals CSU-Chefjurist Peter Welnhofer. Er wusste, was die Stunde schlug: Zum 30.März 2000 stellte er seine Tochter an.

Im Ausschuss saß auch der jetzige Chef-Jurist und parlamentarische Geschäftsführer der CSU-Fraktion, Alexander König. Er hatte seine Frau bereits am 1. Dezember 1998 eingestellt. Als die Ehegatten-Verträge im November 1999 öffentlich wurden, kündigte er ihr. Am 5. Juli 2000 beschloss im Landtag eine interfraktionelle Arbeitsgruppe, dass ein Verbot kommen wird. Bestehende Arbeitsverhältnisse sollten aber gültig bleiben. So stellte König seine Frau schnell wieder ein.

Auch Gerhard Eck gehörte damals dem Rechtsausschuss an. Einer, der im Landtag besonders für Gerechtigkeit kämpfte, gehörte zu den ersten der Schlupflochprofiteure: Josef Göppel, der seine CSU immer wieder mit Moral-Diskussionen triezt, reagierte prompt: Am ersten Januar 2000 stellte er gleich drei Mitarbeiterverträge aus. Einen für seine Frau und jeweils einen für seine beiden Töchter. Inzwischen wechselte Göppel für die CSU in den Bundestag. Dort sind Verwandte als Mitarbeiter schon immer verboten. Mit einer eher weinerlichen Erklärung rechtfertigt er sich als Einziger: „Die Beschäftigung meiner Frau mit einem Bruttoarbeitslohn von 325 Euro pro Monat hing mit einer fehlgeschlagenen Nierentransplantation im Jahr 2000 zusammen. Ich brauchte damals jemanden für Fahrdienste und unaufschiebbare Büroarbeiten an den Wochenenden.“ Die Frau als Chauffeur.

Langsam sickert durch, für welche Aufgaben die Abgeordneten ihre mit öffentlichen Geldern finanzierten Angestellten bezahlen. Kultusstaatssekretär Bernd Sibler erklärte, dass einer seiner Mitarbeiter mit nichts anderem beschäftigt sei, als Bürgern in seinem Wahlkreis Glückwunschkarten zu schreiben. Mit Grüßen vom Steuerzahler!

Noch ein prominenter CSU-Mann ist unter den Raffkes: Hans Gerhard Stockinger, Jurist, Wirtschaftswissenschaftler und Professor für Medienrecht und Vorsitzender der CSU-Filmkommission. Seine Ehefrau hatte er bereits seit 1990 auf der Lohnliste. Am 28.Juni 2000 versorgte er auch noch seine beiden Töchter. Er ist zur Münchner Anwaltskanzlei Nörr, Stiefenhofer, Lutz gewechselt. An sie hatte einst Peter Gauweiler seine Kanzlei verpachtet und musste deswegen als bayerischer Umweltminister zurücktreten.

Selbst Hinterbänkler wussten rechtzeitig, dass es da was zu holen gibt: Berta Schmid, Kreisbäuerin aus Schwaben, hatte bereits ihren Mann als Mitarbeiter beschäftigt. Im Mai 2000 wechselte sie noch schnell ihre Tochter gegen ihren Sohn aus.

Auch ein angesehener Genosse wollte in Sachen Selbstbedienung der CSU nicht nachstehen: Heinz Köhler, der damals gleichzeitig Präsident des Bayerischen Roten Kreuzes war. Der Jurist machte zum 1. April 2000 seine Ehefrau zur Mitarbeiterin. Stamm hofft nun, dass alles auf dem Tisch liegt: „Was die Altfälle betrifft, wüsste ich nicht, was wir an Transparenz noch aufbringen können.“

 


 

Endlich werden die Summen öffentlich, die der CSUler zahlte.

Er ist der skrupelloseste der Last-Minute-Abzocker: Georg Winter (CSU) hatte bis zuletzt versucht zu verschleiern, wie viel Geld an seine beiden Söhne geflossen sind.

 

Auch Landtagspräsidentin Barbara Stamm weigerte sich, eine konkrete Summe zu veröffentlichen. Erst nachdem die AZ einen Anwalt einschaltete und mit einer Klage drohte, gab sie am Dienstagvormittag die Summe heraus. An die beiden Söhne des Ex-Vorsitzenden des Haushaltsausschusses sind insgesamt 91 382 Euro und 67 Cent geflossen.

Vier Wochen bevor Ende 2000 der Landtag den Abgeordneten die Beschäftigung von Frauen und Kindern verbot, hatte Winter noch schnell seine beiden Buben als Mitarbeiter angestellt. Zu diesem Zeitpunkt waren sie 13 und 14 Jahre alt. Erst erteilte Stamm ihrem Parteifreund die Absolution, dass es sich um keine Kinderarbeit gehandelt habe. Dann korrigierten die Landtagsjuristen: Es war doch rechtswidrig.

Trotzdem wollte Stamm nicht sagen, um welche Summe es sich handelt, die Winter aus Steuermitteln für seine Buben kassiert hat. Die Strategie der CSU: Er zahlt den Betrag schnell freiwillig zurück. Dann ist die Sache vom Tisch. Stamm berief sich erst auf den Datenschutz und die Persönlichkeitsrechte der beiden Buben. Dann auf die Prüfung des Obersten Bayerischen Rechnungshofes. Winter ließ sich inzwischen von seiner schwäbischen CSU-Basis mit Standing Ovations feiern. Und schrieb seinen Parteifreunden noch vergangene Woche: Beide Söhne hätten zu Beginn ihrer Tätigkeit im Jahr 2000 jeweils 100 Euro erhalten, in den Folgejahren habe sich der Betrag auf durchschnittlich 286,22 Euro erhöht.

Die Zahlen des Landtagsamtes: Ein Sohn bekam im Zeitraum Dezember 2000 bis Dezember 2013 exakt 45879,33 Euro, der andere 45503,34 Euro. Das macht pro Sohn durchschnittlich über 300 Euro im Monat. Trotz allem will die CSU mit Winter in den Wahlkampf ziehen. Der hat schon Pläne: Er will die „rechtliche Grauzone“ im Bereich Kinderarbeit regeln.

 


 

Güller legt sein Amt nieder. Gibt es jetzt Ermittlungen gegen Claudia Jung?

In der Verwandtenaffäre gibt es nun auch bei der SPD einen Rücktritt: Der Parlamentarische Geschäftsführer Harald Güller legt sein Amt nieder, weil er im Jahr 2009 gegen das Abgeordnetengesetz verstoßen und seinen Stiefsohn für zwei Monate beschäftigt hatte.

 

Das sagte Güller der „Augsburger Allgemeinen“. Der Jurist will auch sein Amt als schwäbischer SPD-Bezirksvorsitzender niederlegen. Eine erneute Kandidatur bei der Landtagswahl im September ließ er offen. Wie gegen Güller und Winter prüft die Münchner Staatsanwaltschaft auch ein Ermittlungsverfahren gegen die Freie-Wähler-Abgeordnete und Schlagersängerin Claudia Jung. Sie hatte im vergangenen Jahr für einige Monate ihren Stiefsohn beschäftigt.

 

 

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