Das gespaltene Land

Angela Merkel gerät stark unter Druck. Die Sieger sind die Grünen: In Bayern, dem Bundesland mit den meisten AKWs, liegen sie in Umfragen bei 23 Prozent – und demonstrieren in Landshut
von  Abendzeitung
Protest vor Isar 1: Die Grünen Margarete Bause und Thomas Muetze.
Protest vor Isar 1: Die Grünen Margarete Bause und Thomas Muetze. © dapd

Bundeskanzlerin Angela Merkel gerät stark unter Druck. Die Sieger sind die Grünen: In Bayern, dem Bundesland mit den meisten AKWs, liegen sie in Umfragen bei 23 Prozent – und demonstrieren in Landshut

Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel droht der GAU: Ihr Atomkompromiss wird immer fragwürdiger. Sogar Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) stemmt sich jetzt gegen ihre Pläne, die Laufzeit der Kernreaktoren ohne Zustimmung des Bundesrats zu verlängern: Das sei „kein Geniestreich“. Er sehe in dem Alleingang ein „beachtliches verfassungsrechtliches Risiko“. Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans Jürgen Papier, ist überzeugt, dass die Atompläne der Kanzlerin nur mit Zustimmung der Länder möglich sind: Es handle sich nicht um „marginale, sondern wesentliche Änderung des Atomrechts“. Aber im Bundesrat hat Merkels Koalition keine Mehrheit mehr. Das wäre für sie die Kernschmelze.

Aber es wird noch brutaler für Bundeskanzlerin Angela Merkel: Ihr Bundesumweltminister Norbert Röttgen gab gestern Morgen in einer Sondersitzung des Umweltausschusses zu, dass weder er als zuständiger Fachminister noch sein Ministerium an dem Geheim-Deal mit den Atomkonzernen beteiligt gewesen sind: „Ich habe an dem Vertrag nicht mitgewirkt.“ In dem billigt die Regierung der Atomindustrie eine Reihe von Schutzklauseln zu: Für die Nachrüstung alter Meiler muss sie nicht mehr als 500 Millionen Euro ausgeben. „Noch nie hat sich eine Bundesregierung so zum Handlanger von Großkonzernen degradiert“, attackierte SPD-Chef Sigmar Gabriel gestern bei der Generaldebatte im Bundestag Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Während es in Berlin turbulent her ging, kündigten die Grünen in Bayern einen heißen Herbst an – und jubeln. Der Streit um die Verlängerung der Laufzeit versetzt sie in einen Höhenflug. Gestern überholten sie im Freistaat in einer Forsa-Umfrage erstmals die SPD und erzielten 23 Prozent. Die Genossen bekamen 19, die CSU noch 38 Prozent. „Wir sind die Glaubwürdigsten in Sachen Atompolitik“, triumphiert Fraktionschefin Margarete Bause. „Das ist unser großes Pfund.“

Denn kein anderes Bundesland ist von Merkels umstrittenem Atom-Deal so betroffen wie der Freistaat. Der hat nicht nur den schönsten weiß-blauen Himmel, sondern auch die strahlendsten Landschaften. Natürlich war die CSU-Regierung auch bei der Atomkraft spitze: Zwischen Donau und Alpen arbeiten gleich fünf der derzeit 17 deutschen Kernkraftwerke. Also knapp ein Drittel.

Das hat Folgen. In keinem anderen Bundesland fällt so viel Atommüll an: 160 Tonnen jährlich. Auf drei radioaktiven Mülldeponien strahlen 54 Castor-Behälter. Und das lange. Genehmigt sind die Zwischenlager für 40 Jahre in Grafenrheinfeld, wo bisher 13 der gefährlichen Behälter lagern, in Gundremmingen sind 25 und in Landshut 16. Platz ist noch für weitere 388 gelbe Atommüll-Fässer. Eine Erblast für viele Generationen.

Die weiß-blauen Superlative gehen noch weiter. Im Freistaat steht nicht nur das älteste der deutschen Kernkraftwerke: Der inzwischen als schrottreif geltende Meiler IsarI1, der nach einem Expertengutachten des Bundesamtes für Strahlenschutz offenbar eine hochgefährliche Dreckschleuder ist. Im nächsten Jahr wäre er abgeschaltet worden. Nach Merkels Kompromiss darf er weitere acht Jahre am Netz bleiben.

Gleich daneben protzt eines der produktivsten Kraftwerke der Welt: Isar 2, das im vergangenen Jahr nur von Palo Verde 1 in Kalifornien/USA getoppt wurde. Nach Bundeskanzlerin Angela Merkel Plänen eine Gelddruckmaschine. Von der würden ausgerechnet die vehementesten Gegner des Atomkompromisses profitieren: Rot-Grün in München. Mit 25 Prozent sind die Stadtwerke an dem Super-Kernkraftwerk beteiligt. Wie viel Geld der Atomstrom in die Kasse leitet, ist eines der bestgehüteten Geheimnisse. Doch die Stadtregierung ist im Dilemma. Sie will das schmutzige Geld eigentlich nicht mehr, weil sie sich schon voll auf saubere grüne Energie eingestellt hat.

Bei ihrer Protestaktion vor Isar I frohlockten die Grünen gestern. „Die Absetzbewegungen in der Bundesregierung sind ja schon voll im Gange“, sagte Margarete Bause. „Und wenn Schwarz-Gelb in Baden-Württemberg die Wahl verliert, wird wieder alles neu diskutiert.“ Münchens grüner Bürgermeister Hep Monatzeder ist da zuversichtlich und prophezeit: „Die Laufzeitverlängerung wird nicht kommen.“

Angela Böhm

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.