Das Fieber steigt: Oba-mania in Berlin
BERLIN - Seit Jahrzehnten hat kein Politiker solche Hysterie ausgelöst wie der US-Präsidentschaftskandidat. Kanzlerin, Wowereit und „janz Berlin“ warten auf Barack Obama.
Familienfeier in Berlin, Kaffee und Kuchen, ein Gläschen Wein zu Mittag. Nicht der Rahmen, in dem man größten Unsinn von sich gibt, schließlich sind auch Kinder da. Und doch platzt es heraus aus der jungen Berlinerin: „Ich werde meinen BH werfen.“ Großes Gelächter! „Ja“, sagt sie, „wenn Obama kommt, dann werde ich dabei sein und ihm zujubeln.“
Einen begeisterten Empfang werde man ihm bereiten, da war sich nicht nur die private Tischgesellschaft sicher. Seit Tagen nimmt die Hysterie um den prominenten Besucher aus Illinois ungeahnte Ausmaße an. „Endlich ein Amerikaner, gegen den man nicht demonstrieren muss“, sagt Grünen-Großkaliber Jürgen Trittin. Die Kanzlerin wird für ihn einen Tag später in Urlaub fahren, Bürgermeister Klaus Wowereit trägt ihm das Goldene Buch der Stadt ins Hotel Adlon. Fürs Schöneberger Rathaus hat der Senator keine Zeit. Außerdem gibt das nicht die Bilder, die der Kandidat zu Hause braucht.
Den Strategen schwebt ein anderes vor. Ein Staatsmann, ein Visionär, der auf Hunderttausende schaut, so wie am 28. August 1963 Martin Luther King vor dem Lincoln Memorial, als der sprach „I have a dream“. So ähnlich könnte es auch aussehen, wenn Obama Richtung Osten blickt, links und rechts den Tiergarten, davor eine Million Menschen – ausgeschlossen ist das nicht.
Um große Worte ist Obama nicht verlegen, sein Slogan „Yes, we can“ hat ihn weit getragen, und alle Welt ist gespannt, was seinem Redenschreiber einfällt für den Ort, wo schon Kennedy und Reagan Geschichte schrieben. Überhaupt sind alle gespannt, auch wenn sich nicht alle mitmachen wollen bei der Obama-Mania.
Bundeskanzlerin Angela Merkel will sich mehr als einen Stunde mit dem jungen Mann unterhalten. „Ich freue mich auf das Gespräch, schon weil ich ihn nicht kenne.“
Aus ihrer Partei war versucht worden, dem Hype entgegenzuwirken. Schließlich ist Auftrieb für das linksliberale Lager durch einen Sieg Obamas nicht auszuschließen. Erfolgreich sträubte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel gegen das Brandenburger Tor als Auftrittsort. Und andere bemühten sich, ihr zu helfen. Allerdings hat Eckhard von Klaeden, außenpolitischer Unionssprecher, inzwischen versucht, seine Kritik wieder einzufangen. Es gehe „nur um Wahlkampf“, hatte er über die Obama-Visite gesagt – nicht ganz zu Unrecht übrigens. Aber die Mäkelei kam nicht gut an beim Koalitionspartner, bei der Opposition und wohl auch bei der Mehrheit der Berliner. Klaeden schob einen Willkommensgruß hinterher.
Damit entspricht er mehr dem Berliner Zeitgeist, der allerdings ganz schön reglementiert wird. Seit Tagen ist das Areal um die „Goldelse“, die Siegessäule am Großen Stern, für den Verkehr gesperrt. Es gibt nur vereinzelte Zugangspunkte zum Redeareal um den Tiergarten. 700 Polizisten sollen den Auftritt nach Senatsangaben schützen. Die Polizeigewerkschaft versprach zwar „gewohnt professionelles Engagement“, nutzte den Sondereinsatz aber, um gegen Stellenabbau und Überstunden zu protestieren.
Doch deren Anliegen wird wohl ein wenig untergehen. Kaum ein TV-Sender, der nicht Sondersendungen fährt oder gar live überträgt heute um 19 Uhr. Vor Obama ist republikweit kein Entkommen.
Bei all der Jubelstimmung kommt die Meldung gerade recht, dass Obama sogar deutsche Vorfahren hat. Christian Gutknecht, ein Ururururururgroßvater Obamas, stammt aus einem Dorf im Elsass, schreibt die „Zeit“. Zumindest Basketballspielen in der deutschen Nationalmannschaft dürfte er damit wohl, es steht allerdings nicht zu erwarten, dass der Urenkel in Deutschland bleibt und die politische Landschaft aufmischt. Altbundespräsident Richard von Weizsäcker erhofft sich jedenfalls von Obama ein „Berliner Signal“. Was immer das ist.
Von Matthias Maus