"Das erfolgreichste Friedensprojekt"
Politiker fast aller Parteien und Länder bejubeln den Friedensnobelpreis für die Europäische Union. Kritik kommt von Amnesty international
OSLO Europa hat keine besonders gute Presse in letzter Zeit. Finanzkrise und Euro-Schwäche nagen am Ruf des Projekts und an den Nerven der Europäer. Das Nobel-Komitee in Oslo spendet ein dickes Trostpflaster: Die EU bekommt den Friedensnobelpreis 2012. Politiker fast aller Länder und Parteien jubeln.
„Die Union hat in den vergangenen sechs Jahrzehnten zur Förderung von Frieden und Freiheit beigetragen”, heißt es in der Begründung des Nobel-Komitees. „Seit 1945 ist diese Versöhnung Realität geworden.” Ausdrücklich erwähnt wird das Verhältnis zwischen Deutschland und Frankreich: „In 70 Jahren haben sie drei Kriege gegeneinander geführt.” Das sei heute „unmöglich”. EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso ist erfreut und erleichtert: „Wir können gute Nachrichten gebrauchen.”
Unklar ist, was mit den 930000 Euro Preisgeld geschieht: „Wir könnten es spenden”, sagt ein Sprecher der EU-Kommission, im Gespräch ist eine Wohltätigkeitsorganisation. Unklar ist auch, wer den Preis am 10. Dezember entgegen nehmen darf. „Warum nicht 27 Kinder aus den Mitgliedsstaaten nach Oslo schicken?”, twitterte die schwedische EU-Kommissarin Cecilia Malmström. „Lassen Sie uns erst einen schönen Tag genießen”, sagte der Kommissionssprecher. Eine Entscheidung soll später fallen.
„Eine Ehre und ein Ansporn auch für mich persönlich” nennt Bundeskanzlerin Angela Merkel den Preis. Ihr Vorgänger Gerhard Schröder sagt, die Auszeichnung komme „zur rechten Zeit” und sei „eine Absage an Nationalismus und Kleinstaaterei”. Auch Altbundeskanzler Helmut Kohl äußerte sich schriftlich und lobte ein „kluge und weitsichtige Entscheidung”.
Barroso sprach von einer „großen Ehre für unsere 500 Millionen Bürger”. Sie sende eine Botschaft in die Welt: „Dass die EU etwas sehr Kostbares ist, dass sie in Ehren gehalten wird, zum Wohl der Europäer und der ganzen Welt.”
EU-Gipfelchef Herman Van Rompuy sagte, dass die Union einen durch zwei Weltkriege und den Ost-West-Konflikt gespaltenen Kontinent wieder geeint habe. Damit sei sie „die größte friedensstiftende Institution, die je in der Weltgeschichte geschaffen wurde”.
Unter die Welle der Gratulationen mischte sich auch Kritik. Amnesty International sieht die EU durch den Preis in der Bringschuld: „Sie muss vor allem ihre Rolle im weltweiten Flüchtlingsproblem überdenken”, erklärt die Menschenrechtsorganisation. Die EU schotte ihre Grenzen ab, schicke Flüchtlinge zurück in Länder, in denen sie gefoltert würden. „Das ist jetzt nicht mehr hinnehmbar.”
Die Entscheidung des Nobelkomitees sei einstimmig gefallen, sagte dessen Chef Thorbjörn Jagland. Die norwegischen Linkssozialisten, die normalerweise einen Vertreter im Komitee haben, protestierten dennoch und sprachen von einem „Putsch”. Sie sind absolut Europa-kritisch und fühlen sich hintergangen, weil ihr Vertreter krankheitshalber fehlte. Kritisiert wird die Entscheidung auch von den Linken in Deutschland.