Das Drama von Berlin: Showdown zwischen Merkel und Seehofer
Berlin - Andrea Nahles und Olaf Scholz können nichts machen, außer warten und Cola trinken. So stehen die SPD-Chefin und der Vizekanzler erst einmal auf dem Balkon des Kanzleramts, schauen in die laue Berliner Sommernacht. Wo das wohl alles endet? Die Welt da drinnen ist nicht ganz so idyllisch.
Als Bundeskanzlerin Angela Merkel am Dienstagabend mit ihren Vorbesprechungen mit Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) und den CSU-Kollegen Horst Seehofer und Alexander Dobrindt fertig ist, geht Bundeskanzlerin Angela Merkel zu den beiden SPD-Granden auf den Balkon, um sie hereinzuholen.
Seehofer ist schon beim Eintreffen im Kanzleramt in seiner harten Haltung bestärkt worden. Am Lift wartet gerade eine Besuchergruppe aus der Oberpfalz, als er dazu kommt, erzählt ein Augenzeuge. Der Innenminister lässt sich mit den Landsleuten fotografieren, die geben dem CSU-Chef eine klare Parole mit auf den Weg nach oben zur Kanzlerin: Er solle bloß standhaft bleiben in der Asylpolitik.
CSU-General: Wir bleiben hart
Die Berliner Politik wird derzeit dominiert von einem aus dem Ruder gelaufenen Streit. Merkel hat sich eine Zwei-Wochen-Frist für europäische Lösungen zur Zurückweisung von Migranten ausbedungen, die schon in anderen EU-Ländern registriert sind. Seehofer glaubt nicht an rasche Lösungen und droht mit einem nationalen Alleingang - den Merkel strikt ablehnt. Ein Kompromiss ist nicht absehbar, ein Platzen der Koalition nicht ausgeschlossen.
Der Koalitionsgipfel am Dienstagabend kann den mit voller Wucht wieder aufgebrochenen Flüchtlingsstreit in der Union nicht befrieden - das war aber auch nicht erwartet worden. Man einigt sich immerhin beim Baukindergeld für Familien – 12.000 Euro pro Kind und Jahr beim Wohnungskauf oder Hausbau für Anträge bis Ende 2020. Aber im Asylstreit geht wenig voran. Nur wenig habe man darüber gesprochen, heißt es. Das sei zum jetzigen Zeitpunkt erst einmal eine Sache zwischen den beiden Unionsparteien, hieß es zur Begründung.
Das Drama steuert auf eine Entscheidung am Sonntag zu. Dann tagen in München der CSU-Vorstand und in Berlin die CDU-Gremien. Kompromisssignale? Fehlanzeige. "An unseren Grundpositionen hat sich nichts verändert. Wir sind klar in der Sache und bleiben hart", sagt CSU-Generalsekretär Markus Blume. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt wiederholt noch einmal die Drohung mit einem Alleingang.
SPD verliert langsam die Geduld
Wie soll das enden? Klar ist: Die CSU will nicht nachgeben. Vor der Bayern-Wahl am 14. Oktober will man keinesfalls den Anschein erwecken, irgendwie einzuknicken. Die Linie ist: Seehofer soll umfassende Zurückweisungen an den Grenzen anordnen, sollte es diese Woche etwa auf dem EU-Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag keine europäische Lösung geben.
Folgende Überlegung gibt es in den Reihen der CSU: Merkel könne Seehofer doch kaum entlassen, wenn der als Innenminister schlichtweg geltendes Recht an den Grenzen durchsetze. Doch was geltendes Recht ist, darüber gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen. Trotzdem gibt es in der CSU die Hoffnung, dass Merkel vielleicht doch mit vorübergehenden Zurückweisungen einverstanden sein könnte, sollte es beim EU-Gipfel keine schnelle Lösung geben. Die könne man ja später auch wieder aussetzen.
Der SPD-Spitze um Parteichefin Nahles und Vizekanzler Scholz platzt langsam der Kragen. Der Unionsstreit überlagert alles, Gesetze für mehr Personal in Kitas oder Verbesserungen für Mieter hängen fest. Die Überschrift des Koalitionsvertrags "Ein Aufbruch für Europa - neue Dynamik für Deutschland" wirkt inhaltslos zur Zeit. Die SPD muss warten, ob Merkel und Seehofer noch zueinander finden - klar ist nur, dass man eine Neuwahl fürchtet. Dass man aber einfach jemanden anderen aus der CDU, etwa Wolfgang Schäuble oder Volker Bouffier, zum Kanzler wählen würde, um die Koalition fortzusetzen, ist auch unwahrscheinlich.
EU sorgt sich vor deutschen Alleingängen
Besorgt wird von enormer Nervosität bei EU-Gesprächen in Brüssel berichtet, von Sorgen vor neuen deutschen Alleingängen. Über dem Willy-Brandt-Haus weht seit Tagen demonstrativ die Europa-Fahne statt der roten SPD-Fahne. Scholz und Nahles wissen zu gut, dass selten in der Politik etwas nach Plan läuft. Die SPD ist immer wieder selbst Drama-Queen gewesen, zuletzt beim Fall des Martin Schulz.
Für eine Physikerin wie Merkel müssen diese Tage ein Graus sein - weil die Entwicklung in der CSU auch für sie kaum wirklich einzuschätzen sein dürfte. Aber auch deshalb, weil sie wohl ganz andere und größere Herausforderungen für Deutschland und Europa fürchtet, als sie von einer stetig zurückgehenden Zahl von ankommenden Migranten ausgehen.
Die protektionistische Amerika-zuerst-Politik von US-Präsident Donald Trump beispielsweise, der sich mehr und mehr aus der Rolle der internationalen Schutzmacht Deutschlands und Europas verabschiedet. Oder die wachsenden nationalistischen Egoismen in etlichen anderen EU-Staaten, ganz zu schweigen von den Rechtspopulisten von der AfD, gegen die die CDU/CSU auch noch nicht das passende Mittel gefunden hat - und das nicht mehr ganz ein Jahr vor der Europawahl Ende Mai 2019.
Nahles will ein beschleunigtes Asylverfahren
Die SPD-Spitze hat zu allem Überfluss, aber recht erwartungsgemäß hinterlegt, dass sie eine Abweisung von schon in anderen EU-Staaten registrierten Flüchtlingen an der deutschen Grenze nicht mitmachen würde. Weil sie fürchtet, dass dann in einer Art Dominoeffekt auch andere Länder wieder ihre Schlagbäume hochziehen - und dass auch bei anderen Themen mehr national als europäisch gedacht wird.
Dabei gäbe es aus Sicht der SPD eine Brücke, die Seehofer gehen könnte, neben all den Asyl-Verschärfungen, die die EU-Staaten derzeit planen. Nahles will ein beschleunigtes Asylverfahren für Menschen aus sicheren Herkunftsstaaten auf Flüchtlinge aus Syrien oder Afrika ausweiten. Wenn zugleich die Schleierfahndung hinter der Grenze intensiviert wird, könnten schon woanders registrierte Flüchtlinge dann grenznah registriert werden und ihr Verfahren binnen einer Woche mit einer geordneten Zurückweisung abgeschlossen werden.