Das Beben von NRW: Zeitenwende für Merkel
Die Kanzlerin zieht die Notbremse und beerdigt das FDP-Lieblingsprojekt einer Steuerreform – was als Letzter dann auch Horst Seehofer kapiert. Die Machtsysteme haben sich geändert.
Zäsur in Berlin: Mit der NRW-Wahl hat sich das Machtgefüge von Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihrer schwarz-gelben Regierung in den Grundfesten verschoben. Das zentrale Projekt der Steuerreform wurde umgehend beerdigt; es wird nicht die einzige Änderung bleiben.
„Steuersenkungen wird es in absehbarer Zeit nicht geben“, erklärte Merkel gestern nach den CDU-Gremiensitzungen kategorisch. Das gelte „zumindest“ bis 2013. „Vorrang hat jetzt die Haushaltskonsolidierung.“ Schuld an dem Debakel sei auch „eine zu starke Schwerpunktsetzung auf Steuersenkungen“, sagt sie. „Das weiß auch Herr Westerwelle. Wir haben darüber gesprochen, wie ich die Dinge sehe.“ Ein typischer Merkel-Satz zur Untermalung der Machtverhältnisse. Doch der FDP-Chef hatte kurz zuvor selbst öffentlich erklärt, das habe er jetzt kapiert, dass es keine Mehrheit mehr dafür gibt.
Auch mit CSU-Chef Horst Seehofer habe sie gesprochen. Das war wohl nötig: Noch am Vormittag wurde er zitiert, man müsse trotz der Wahl an den Steuersenkungen festhalten. „Wir können jetzt nicht einfach unsere Ziele aufgeben und den Koalitionsvertrag vergessen.“ Man könne an den Stellschrauben drehen. „Aber eine Absage geht nicht.“ Nach dem Telefonat mit Merkel erklärte er, es gebe „auf absehbare Zeit keine Chance für die Durchsetzbarkeit einer Steuererhöhung“.
Merkels Machtwort war dringend notwendig – auch in ihrem eigenen Interesse. Am Donnerstag war es beim Kamingespräch mit den Unions-Länderfürsten zum Krach gekommen. Roland Koch hatte sie dringend aufgefordert, nach dem Wahltag endlich klar zu sagen, dass eine Steuersenkung nicht in Frage komme. Das war auch als Mahnung verstanden worden, sich nicht länger von der FDP auf der Nase herumtanzen zu lassen. Merkel soll da noch beschwichtigt haben, wenn man die FDP jetzt zu hart anfasse, führe sie sich noch mehr als Oppositionpartei auf.
Doch gestern wurde der Druck auf die ohnehin angeschlagene Kanzlerin offenbar zu massiv, die übrigen Unionsländerfürsten fürchten bei einem „Weiter So“ Rüttgers’ Schicksal. CDU-Mittelstandsvertreter Karl-Josef Schlarmann ging Merkel öffentlich an: „Ihre Strategie des Nichtstuns ist gescheitert.“ Ex-Staatssekretär Willy Wimmer (CDU) fordert sogar Merkels sofortigen Rücktritt.
So versucht sie nun, zurück in die Rolle der Handelnden zu kommen. Die illusorische Steuerreform ist abserviert, die Kopfpauschale geht erst recht nicht durch den Bundesrat, weil schon die CSU nicht mitmacht. Insofern ist man in der CDU-Zentrale gar nicht so unglücklich über den Verlust der Bundesrats-Mehrheit, heißt es: eine elegante Methode, die strittigsten FDP-Projekte zu beerdigen, und über den Zwang zum Kompromiss mit der SPD wieder eine Art informeller großer Koalition zu pflegen. Anja Timmermann