"Dachte, Deutschland ist dagegen geimpft": Kabarettist Emmanuel Peterfalvi alias "Alfons" warnt vor Rechtsruck

München – Der seit Jahrzehnten in Deutschland lebende französische Kabarettist Emmanuel Peterfalvi blickt im AZ-Interview auf den Rechtsruck in Europa, die anstehenden Europawahlen und die Veränderung des politischen Klimas.
AZ: Herr Peterfalvi, seit 2017 haben Sie sowohl einen französischen als auch einen deutschen Pass. Wo werden Sie bei der Europawahl Ihre Stimme abgeben?
EMANUEL "ALFONS" PETERFALVI: In Deutschland. Zwei Mal wählen geht ja nicht.
Vor welchem Ergebnis haben Sie mehr Angst: vor den vielen Stimmen für Marine Le Pen oder vor denen für Björn Höcke?
Vor beiden, wobei ich fürchte, dass es in Frankreich schon gegessen ist: Le Pen respektive Jordan Bardella wird die Nummer eins. Das ist erschreckend, aber eine Konsequenz der schlauen Taktik Le Pens, die alle glauben lässt, dass sie gar nicht rechtsextrem ist. Das macht sie besser als ihr Vater. Dass Höcke nicht rechtsextrem ist, daran kann ja keiner mehr glauben.
Wobei Teile der AfD eine ähnliche Taktik wie Le Pen fahren: sich harmloser darstellen, als man ist.
Ich habe mit vielen Leuten in Deutschland gesprochen, auch mit AfD-Wählern, die absolut davon überzeugt sind, dass die Partei nicht extremistisch ist. Das sind immer schwierige Diskussionen, doch wenn man nur ein bisschen zitiert, was AfDler gesagt haben, ist es klar, warum man sie Nazis nennen darf. Aber man muss diese Diskussionen führen! Das Schlimmste ist, wenn man nicht mehr miteinander redet. Das ist ja Demokratie: dass man mit anderen redet. Natürlich ist es angenehmer, mit Leuten zu reden, die gleicher Meinung sind. Aber das macht ja keinen Sinn. Ein Philosoph sagte mal: "Nimm zehn Leute, die das Gleiche denken, und sperr sie in ein Zimmer – dann hören die auf zu denken."
Kabarettist Emmanuel "Alfons" Peterfalvi: "Ich bin Deutscher, weil ich Deutscher werden wollte"
Sie sind seit 1991 in Deutschland. Wie hat sich das politische Klima in Ihren Augen verändert?
Es gab viele Entwicklungen. Am Anfang habe ich versucht, die Leute vor einer Kamera die Hymne singen zu lassen – das war damals absolut unmöglich. Dann kamen bei der Fußball-WM 2006 die Deutschland-Flaggen an den Autos – das hat viele befreit. Das finde ich auch gut! Es ist völlig okay, wenn jemand stolz darauf ist, Deutscher zu sein. Das muss ja nichts Negatives sein. Ich bin Deutscher, weil ich Deutscher werden wollte. Weil mir Deutschland sehr gut gefällt. Insofern bin ich der Letzte, der sagen würde, man darf nicht sagen, "Deutschland ist toll". Dass die AfD versucht, die dunkle Geschichte Deutschlands ganz anders darzustellen, ist neu, hat aber leider nichts mit Deutschland zu tun. Das ist eine weltweite Entwicklung. Wenn Donald Trump so einen Quatsch erzählt, aber dennoch Präsident wird. Wenn man auf Social Media einfach Hass absondern kann, ohne dass man irgendein Problem bekommt. Was verrückt ist – wir haben doch Gesetze! Hassparolen auf der Straße? Undenkbar. Im Netz? Alles okay! Warum auch immer. Diese weltweite Entwicklung gibt es auch in Deutschland – obwohl ich gedacht hätte, dass Deutschland dagegen geimpft ist. Aber die Impfung lässt nach.
Wie sehen Sie die Lage in Frankreich?
Macron hilft Le Pen leider sehr, weil er eine dusselige Politik macht und die Leute enttäuscht. Viele hatten Hoffnung in ihn gesetzt, da er weder rechts noch links ist. Aber er hat so viele enttäuscht, dass viele sagen: "Okay, wir haben jetzt alles probiert, außer eine, dann lass uns mal die probieren!" Ein fataler, aber verbreiteter Gedanke.
Zurück nach Deutschland: In letzter Zeit gab es so viel handfeste Gewalt von rechts, dass man sich als Deutscher oft nur schämen kann. Haben Sie es schon bereut, die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen zu haben?
Nein, das ist ja nicht Deutschland, sondern nur ein Teil von Deutschland. Die, die verrückterweise "Wir sind das Volk" rufen und gar nicht das Volk sind. Nichtsdestotrotz: Ich sage nicht, das ist nicht schlimm. Es ist schlimm, was passiert – was mich leider nicht überrascht. Man spürt schon, dass die Gewaltbereitschaft extrem zugenommen hat. Deswegen ist es so wichtig, dass wir alle reagieren. Das sind Menschen, die nur einen Wunsch haben: die Demokratie zu zerstören. Menschen, die eine Begeisterung für nicht demokratische Modelle haben. Das darf man nicht unterschätzen. Es gibt Leute, die Putin toll finden oder sich Regime wie in China und Nordkorea wünschen. Das sind Feinde der Demokratie. Meine Generation ist in dem Gefühl aufgewachsen, dass dieses System stabil ist, dass man das nicht verteidigen muss, da es Organe gibt, die das übernehmen. Aber aus dieser Zeit kommen wir raus – wir müssen die Demokratie jetzt verteidigen! Die Zeit der Pantoffel-Demokratie "Es wird schon!" ist vorbei. Wir müssen aus den Pantoffeln raus und aktiv etwas für unsere Demokratie tun.
Mit Aufklärung gegen Extremisten: Wie ein Bildungsprojekt helfen soll
Seit 2023 gehen Sie mit dem Bildungsprojekt "Alfons spielt für Schulen" auf junge Menschen zu, in drei Schritten: Zuerst schicken Sie am Thema ‚Das deutsch-französische Verhältnis' interessierten Schulklassen Info-Material, das von den Lehrern durchgenommen wird, dann besucht die Schulklasse Ihr Bühnenprogramm "Alfons – jetzt noch deutscherer", und am Tag darauf besuchen Sie die Schüler in der Klasse, um mit ihnen zu diskutieren, über das Stück, über Demokratie, ehrenamtlich machen Sie das alles. Was erleben Sie dabei?
Gestartet habe ich die Initiative, als ich gelesen habe, dass viele Jugendliche sagen "Demokratie? Ja, geht so. Aber man könnte auch was Anderes ausprobieren…" Da habe ich gewusst: Ich muss reagieren. Das Fatale ist ja: Man kann eben nicht ausprobieren. Für Diktatur gibt es keine Schnupperstunde. Wenn Demokratie verschwindet – und das sieht man überall, zum Beispiel in Ungarn –, dann tut ein nicht demokratisches System alles, um stabil zu sein. Es ist extrem schwer und dauert sehr lange, bis man wieder zu einem demokratischen System zurück kommt.
Ihr Bühnenstück wiederum geht auf die Geschichte Ihrer Großmutter Erica zurück. Erzählen Sie doch mal!
Meine Großmutter hat Auschwitz überlebt, ihr jüdischer Schwiegervater nicht. Dass sie dort war, habe ich schon als Säugling mitbekommen: Sie hatte ja eine Nummer auf dem Arm tätowiert. Mein Bühnenstück, das von Völkerverständigung, Vergebung und Angst handelt, aber auch von meiner Deutsch-Werdung, hat mit mir etwas gemacht – und mit vielen Schülern auch. Meistens merken die schon, dass Demokratie ein hohes Gut ist. Was ich aber deutlich spüre: Die Jugendlichen haben das Gefühl, dass man sich nicht für sie interessiert. Dass dies eine Gesellschaft ist, die von alten Säcken geführt wird, die Entscheidungen treffen, deren Konsequenzen sie gar nicht erleben werden. Und die Jugendlichen finden da keinen Weg raus. Der erste Schritt wäre nun: ihnen zuhören. Das mache ich, wenn ich da hin gehe. Allein, dass ein Erwachsener kommt, gar nicht so viel sagt und wissen will, was sie denken, ist für sie außergewöhnlich. Ich erlebe wirklich verzweifelte, schlaue junge Leute. Man sollte viel mehr auf die Jugend hören.
Zweifel an der Demokratie? Europa garantiert seit 80 Jahren ein "Leben ohne Krieg"
Der Politik wird nichts anderes übrig bleiben, denn diese Europawahl ist die erste, bei der schon mit 16 gewählt werden darf. Wie politisch erleben Sie junge Leute?
Schwer zu sagen. Gefährlich ist jedenfalls die Manipulation durch Social Media. Viele informieren sich nur darüber. Und da sind wir wieder bei den Rechtsextremisten, die geschickt mit Social Media umgehen. Wir wissen: Die bekommen Unterstützung von Russland und China, um die Jungen an der Demokratie zweifeln zu lassen. Auch da sind wir zu naiv.
Aber wie erklärt man jungen Menschen den Sinn der EU, einer Organisation, die es nicht mal bei einem Krieg vor der eigenen Haustür schafft, an einem Strang zu ziehen?
Indem man ganz klar sagt, warum Europa gegründet wurde. Gerade Deutsche und Franzosen haben sich Jahrhunderte lang bekriegt. Alle 30 Jahre ein Krieg: Das war absolut normal. Wenn mal 40 Jahre lang kein Krieg war, haben sich alle gefragt "Was ist los? Wir haben Verspätung!" An ein Leben ohne Krieg war nicht zu denken. Bis eine Generation – und dafür sollten wir sehr denkbar sein – sagte "So kann's nicht weiter gehen!" Man hat sich zusammengesetzt und gesagt "Kriege können wir richtig gut, haben wir so lange geübt – wollen wir nicht mal was anderes ausprobieren? Wie wär's mit Frieden?" So wurde Europa gegründet, und das darf man nie vergessen, bei allem Scheiß, der in der EU passiert: Korruption, Bürokratie, keine Bewegung. Europa ist nur ein Experiment, mehr nicht. Aber dank dieses zerbrechlichen Experiments haben wir seit 80 Jahren zumindest in der EU keinen Krieg mehr. Und das ist neu: 80 Jahre, ein Leben ohne Krieg. Daran können wir doch nicht zweifeln! Wir müssen das stark verbessern, klar, aber doch nicht das Kind mit dem Bade ausschütten.
So wie Sie reden, scheint sich das zu Ihrem Lebensthema, zu Ihrer Passion entwickelt zu haben…
Ja, das geht auch über die deutsch-französische Freundschaft hinaus. Es ist aber eher eine Verpflichtung, eine Sorge, wenn ich sehe, wie sich alles entwickelt. Meine Generation hat dieses Geschenk bekommen: Frieden, Demokratie. Das ist nichts, was wir einfach kaputt machen dürfen, sondern ein Geschenk, das wir an die nächste Generation weitergeben müssen. Und Demokratie funktioniert nur, wenn man wählen geht. Also: Geht wählen!