CSU - Christlich Sozialer Untergang
"Evolution statt Revolution": Ein denkwürdiger Abend im bayerischen Landtag. Die CSU lernt die Verliererrolle, doch Erwin Huber und Günther Beckstein klammern sich weiterhin an die Macht. Seehofer und Söder lauern schon. Das wahrscheinlichste Szenario: Beckstein macht’s alleine.
Von Angela Böhm
Das war’s: Schon am Mittag kündigt sich das Desaster an. CSU-Chef Erwin Huber und Ministerpräsident Günther Beckstein bekommen von den Wahlforschern den Trend: Die CSU befindet sich im freien Fall. Das Unfassbare wird Realität.
Wie ein Tsunami bricht es über die CSU herein. Das Tandem Beckstein/Huber ist wie gelähmt. Um 16 Uhr treffen sie sich in der Staatskanzlei. Fraktionschef Georg Schmid und CSU-Generalin Christine Haderthauer kommen dazu. Die Vier ringen um Fassung, reden schon Rücktritt. Noch zwei Stunden sind die Wahllokale offen. Doch es ist schon nichts mehr zu retten. Die CSU verliert die Mehrheit.
Am Morgen danach wird es nicht mehr nur auf dem Oktoberfest heißen: „Auf geht’s beim Schichtl.“ Wie beim Henker auf der Wiesn werden dann auch in der CSU die Köpfe rollen. Bundesagrarminister Horst Seehofer sitzt daheim in Ingolstadt und wartet nur noch auf das Zeichen für den Angriff auf die Parteizentrale. Am Abend sagt er: „Das ist ein bitterer Tag. Das ist eine Katastrophe.“ Europaminister Markus Söder lauert in Nürnberg auf den richtigen Moment, um die Staatskanzlei zu übernehmen. Er sagt: „Die CSU hat das Lebensgefühl der Bevölkerung nicht mehr getroffen.“ Die Machtübernahme der beiden wollen Beckstein und Huber aber mit der letzten Kraft, die ihnen geblieben ist, verhindern. Sie sammeln noch am Nachmittag ihre Truppen. Die Losung heißt: „Wir wollen eine Evolution und keine Revolution.“ Die Junge Union wird einen Sonderparteitag beantragen. Auf dem soll Horst Seehofer verhindert werden. Alles weitere wird am Montag ab 8.30 Uhr im Parteivorstand verhandelt.
Das wahrscheinlichste Szenario: Beckstein macht’s alleine. Das Tandem habe sich nicht bewährt, so die Mehrheitsmeinung am Wahlabend. Huber tritt zurück; und Günther Beckstein übernimmt auch den Parteivorsitz. Um dann eine geordnete Nachfolge mit einem Generationenwechsel zu organisieren. Das Kalkül dahinter: Seehofer jetzt zu verhindern.
Für Huber und Beckstein ist es der bitterste Moment ihres Lebens. Nur Marga und Helma, die Ehefrauen, können sie jetzt in dieser Schmach noch trösten. Beckstein kennt das Gefühl der persönlichen Niederlage. Er hat es schon einmal erlebt, damals in Nürnberg, vor 21 Jahren. Er wollte Oberbürgermeister werden und scheiterte kläglich.
Erwin Huber lernt das Gefühl jetzt kennen. Der Bauernbub aus Niederbayern hatte bis zu diesem Tag immer nur Erfolge gefeiert. Den Landtag erreicht der „CSUnami“ gegen 16 Uhr. Wie die Riesenwelle rauscht die Nachricht vom Fall der Regierungspartei durch die Gänge. Vor der CSU haben sie ein großes Büfett aufgebaut: Lachs, Roastbeef, kalter Braten, Salate.
Doch den CSU-Gästen ist der Appetit gründlich vergangen. Landtagspräsident Alois Glück hat die VIPs in sein Zimmer gebeten, die Türen verschlossen. Barbara Stamm, die Vizepräsidentin des Landtags, kommt heraus: „Das kann doch nicht wahr sein.“ Die Bundestagsabgeordnete Ilse Aigner steht kreideweiß neben Glück. Bundestagsvizepräsidentin Gerda Hasselfeldt ist da. Unternehmensberater Roland Berger, Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler und andere Persönlichkeiten. Ihnen erzählt Glück, dass man natürlich über Personen reden müsse. Aber: „Die Schlüssel zu diesem Ergebnis liegen in der Stimmungslage gegen die absolute Mehrheit. Das hat schon mit Beginn der Legislaturperiode angefangen.“ Übersetzt: Stoiber ist schuld an dem Desaster. Beckstein und Huber konnten es nicht mehr rausreißen.
Das ist die Sprachregelung, auf die sie sich für den Abend geeinigt haben. Bei der ersten Hochrechnung herrscht Totenstille. Der schwarze Balken stürzt in die Tiefe. Nur Engelbert Kupka, der Vize-Vorsitzende der CSU-Fraktion ist da: „Der Wähler hat uns abgestraft und nicht einmal Bewährung gegeben.“
Ganz hinten hat sich Hellmut Beckstein mit seiner Frau Karin noch hineingedrängt. „Ich habe keine Erklärung“, schüttelt der Bruder des Ministerpräsidenten den Kopf und ringt nach Worten: „Der Übergang von Stoiber ist schlecht gelaufen. Die Maß-Geschichte war nicht optimal.“ Das Dirndl? „Das war doch lächerlich“, greift seine Frau ein. Er: „Ein paar Promille hat’s doch gekostet.“
Vor den Kameras muss CSU-Generalsekretärin Christine Haderthauer ihren Kopf hinhalten. Die taffe Anwältin, die sich eine eigene Kanzlei aufgebaut und zwei Kinder groß gezogen hat und in der Politik Quereinsteigerin ist, haben manche in der CSU eh noch nie gemocht. Sie ist die Erste, die die Verantwortung übernehmen und gehen muss. Ihre braunen Augen funkeln. Dabei ist sie sich keiner Schuld bewusst. Schon im kleinen Kreis hat sie das durchgesprochen. Der Kreuzzug gegen die Linken? Und der Supergau mit den zwei Beckstein-Maß? „Ich hab’ es ihm nicht geraten.“
Als Huber und Beckstein mit ihren Frauen um 18.35 Uhr eintreffen, kommt es zu Tumulten. Die Sicherheitsleute müssen ihnen eine Schneise bahnen in den Gang zur CSU. Der ist für alle anderen gesperrt. Fünf Minuten sammeln sie sich dort. Dann starten sie zum letzten Gefecht. Erwin und Helma Huber voraus. Günther und Marga Beckstein dahinter, gefolgt von einem Tross Mitarbeitern. „Also, auf geht’s!“, macht Beckstein sich noch einmal Mut, bevor sie sich in die überfüllten Gänge stürzen.
„Das ist ein schwarzer Tag für die CSU“, sagt Huber und ringt um Fassung. „Wir werden die Folgen in den Gremien morgen analysieren. Es gibt heute keine voreiligen Schlüsse und Entscheidungen.“ Seinem Tandempartner versichert er: „Die CSU hat weiter das Vertrauen in Günther Beckstein.“ Ehefrau Helma flüstert ihm danach ins Ohr: „Das hast du gut gemacht.“ Danach Günther Beckstein: „Wir sind kalt erwischt worden. Das Ergebnis ist noch schlimmer als alle Umfragen.“ Dann verkündet er: „Ich stehe für eine Koalitionsregierung zur Verfügung.“
Über Rücktritt wollen Beckstein und Huber an diesem Abend nicht reden. Noch nicht. „Heute stellt sich diese Frage nicht“, sagt Huber. Die CSU braucht jetzt Stabilität.“
„Da müssen in Ruhe die Gremien tagen“, unterstützt ihn Barbara Stamm. Es herrscht Ratlosigkeit. Dabei haben die Wähler schon bei den letzten Wahlen ihrer Regierungspartei den Liebesentzug angedroht. Sie wollte es nur nicht merken. Stoibers Zwei-Drittel-Mehrheit war 2003 nur ein rein rechnerisches Ergebnis. In Wirklichkeit hatte er 240000 Stimmen weniger als 1998. Bei der Bundestagswahl 2005 ist die CSU erstmals unter die 50 Prozent gefallen.
Die Bayern wollten keine Zwei-Drittel-Mehrheit mehr, haben die Wahlforscher herausgefunden. Und, das auch noch: dass der Partei die herausragenden Persönlichkeiten fehlen.
Das wird Stoiber wie Honig runtergehen. Er ist den ganzen Tag untergetaucht, feiert mit seiner Familie seinen Geburtstag. Auch im Landtag wird gefeiert. Ein einziger Satz ist immer wieder zu hören: „Dass wir das noch erleben durften.“