CSU-Chef Horst Seehofer: Bayerischer Ministerpräsident im AZ-Interview

München - Horst Seehofer war zu Besuch in der AZ-Redaktion. Der 68-jährige Ingolstädter ist seit Oktober 2008 Ministerpräsident des Freistaats Bayern und Vorsitzender des CSU. Seehofer und seine Ehefrau Karin haben drei erwachsene Kinder.
AZ: Herr Seehofer, was würden Sie antworten, wenn eines Ihrer Kinder zu Ihnen sagen würde: Du, Papa, sei mir nicht bös, aber heuer wähle ich Martin Schulz?
HORST SEEHOFER: Ich würde mich wundern, aber es natürlich respektieren. Ich war mir in all den Jahren, in denen sie volljährig sind, nie absolut sicher, dass sie CSU wählen. Gerade bei Kommunalwahlen haben sie sich die Kandidaten schon ganz genau angeschaut und dann manchmal auch kreuz und quer gewählt. Aber ich weiß schon, dass meine Kinder im Grunde ihres Herzens CSU-Anhänger sind.
Kommen wir zur Bundestagswahl: Was erwarten Sie denn jetzt? Ein Feuerwerk an Themen, mit dem die SPD Wähler mobilisieren wird?
Ich sehe bei unserer Konkurrenz jetzt nicht den ultimativen Schlussspurt kommen. Aber wir haben noch ausreichend Zeit, die Wahl selbst zu verlieren.
Was müsste passieren, damit es für die Union noch schiefgeht? Kann in einem Land kurz vor der Vollbeschäftigung überhaupt noch etwas schiefgehen?
Ja, natürlich. 2002 war ich im Schattenkabinett von Edmund Stoiber. Ich bin damals nach der letzten Wahlsendung im sicheren Glauben, ich würde wieder Bundesminister, ins Bett gegangen. Als ich aufstand, waren wir in der Opposition. Und 2005 hatten wir einen noch größeren Vorsprung als jetzt. Am Ende lagen wir gerade noch mit 0,7 Prozent vorne. Der Wähler will, dass bis zur letzten Stunde um sein Vertrauen gekämpft wird. Wer da annimmt, man könne schon vorher die Posten vergeben, der wird ein bitteres Erwachen erleben.
Bitte noch einmal: Was müsste passieren, damit der Wahlsieg der Union in Gefahr gerät?
Alles Mögliche kann passieren: äußere Einflüsse von einem Wirtschaftsflop bei einem großen Konzern bis hin zu Sicherheitsproblemen oder einem missglückten Interview.
Welches Thema ist denn der wichtigste Hebel, mit dem Sie jetzt im Wahlkampf arbeiten können?
Ein großes Thema ist die Sicherheit, von erheblicher Bedeutung auch die Zuwanderung. Es geht um die wirtschaftliche Situation, die Arbeitsplätze. Und auch um den humanen Fortschritt, das Soziale. Und zunehmend wichtig, vor allem in einem Land, dem es gut geht, ist die Ökologie.
Da wären wir auch gleich beim Thema Verkehr, das sich für die CSU und auch Sie speziell zu einem Lieblingsthema zu entwickeln scheint – erst das Dauertheater um die Autobahn-Maut, jetzt kämpfen Sie plötzlich mit Vehemenz für den Verbrennungsmotor. Wie kommt’s?
Dreierlei ist zu beachten: Wenn Automobilkonzerne manipuliert haben, müssen sie den Schaden aus ihrer eigenen Tasche bezahlen – und auch strafrechtlich belangt werden. Was da passiert ist, können wir nicht akzeptieren und tolerieren. Zweitens müssen wir verhindern, dass wir eine Hetzjagd gegen das Automobil an sich bekommen. Ich habe andere Zeiten in meiner Jugend erlebt, als es nochmal schwierig war bei Audi. Ich weiß um die Bedeutung der Automobilindustrie für die Menschen. Sie ist das Fundament des Wohlstandes in Bayern. Drittens muss man neben dem Verbrennungsmotor weitere umweltfreundlichere Antriebsarten entwickeln. Das ist unsere Strategie. Wenn wir zu dem Thema in Bayern eine Volksabstimmung durchführen würden, bin ich mir sicher, dass wir eine 90-prozentige Zustimmung erhalten würden.
Einer Ihrer bevorzugten politischen Ziehsöhne, Verkehrsminister Alexander Dobrindt, bekommt seit dem Berliner Dieselgipfel, den viele als reine Showveranstaltung bezeichnet haben, kräftig Gegenwind. Zu Recht?
Der Gipfel war ein erster Erfolg. Auch hier sind drei Punkte wichtig. Erstens müssen ältere Diesel mit Software-Updates nachgerüstet werden. Hardware-Updates sind technisch schwierig und langwierig. Das Geld sollte man lieber in die Förderung neuer Technologien stecken. Zweitens gibt es die Kaufprämien der Konzerne. Die bieten zum Beispiel gerade 5000 Euro an. Wenn man das Geld nimmt und sich dann für ein Elektrofahrzeug entscheidet, bekommt man weitere 3000 Euro Prämie – das ist schon Geld. Allerdings fehlt ja noch eine befriedigende Ladeinfrastruktur. Das hält die Menschen von Elektro ab.
Und der dritte Punkt?
Am nächsten Montag beraten wir über die Ausgestaltung der Mobilitätswende in den Ballungszentren. Da geht es darum, dass wir die Vielfahrer, die Busse, die Taxen, die Fahrzeuge der Sozialstationen, die sich alle viel mehr in der Stadt bewegen als der Pendler, bei der Umrüstung auf umweltfreundlichere Antriebsarten massiv fördern durch die öffentliche Hand. An einem milliardenschweren Fonds des Bundes würde sich auch der Freistaat beteiligen. Insgesamt werden diese drei Säulen große Auswirkungen auf die Situation in Städten wie München haben.
Nochmal zurück zu Verkehrsminister Alexander Dobrindt. An seiner Person gab es zuletzt ja auch viel Kritik . . .
Alexander Dobrindt ist eine starke Persönlichkeit, der braucht keine Therapie durch den Ministerpräsidenten. Wir reden oft miteinander, wie ich das mit allen Führungskräften tue. Aber eine flankierende Unterstützung hat er nicht nötig. Dobrindt hat unheimlich viel Geld nach Bayern gebracht. Wir bauen jetzt die zweite Stammstrecke in München, was ohne ihn absolut ausgeschlossen gewesen wäre. Und er hat die Maut durchgesetzt.
Sie loben ihn über den grünen Klee . . .
Um das nochmal klarzustellen: Dobrindt hat kein einziges Fahrzeug manipuliert, auch wenn ihn verschiedene Medien jetzt dafür verantwortlich machen. Ein Witz! Das kenne ich von früher, als ich als Gesundheitsminister für jeden Pharmafrevel verantwortlich gemacht wurde.
Was wird denn aus Dobrindt nach der Wahl werden? Verkehrsminister wird er ja nicht bleiben, oder?
Wer sagt denn, dass die CSU das Verkehrsministerium nach einer gewonnenen Wahl nicht wieder besetzen könnte? Wenn Alex Dobrindt etwas anderes wird, dann sicher etwas Einflussreicheres. Nur: Ministerpräsident, diese Planstelle ist im Moment nicht frei. (lacht)
Horst Seehofer beim AZ-Redaktionsbesuch. Foto: Daniel von Loeper
Auch wenn Sie sich an Planspielen nur ungern beteiligen, der Kanzlerin trauen Sie ab 2021 sogar eine fünfte Amtszeit zu . . .
Wieder so eine Medieninterpretation. Ich habe gesagt, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel jetzt im besten Alter ist und nach einer möglichen vierten Amtszeit immer noch jünger wäre, als ich es heute bin, mehr nicht. In vier Jahren wäre sie 67. Da bin ich jetzt schon älter – und sitze immer noch vor Ihnen. Gerade die Frauen müssten doch jubilieren, dass eine Frau nun bereits zwölf Jahre unser Land führt, hochrespektiert ist in der ganzen Welt. Ich kenne überhaupt keinen anderen Politiker, der diese freie westliche Welt führen und zusammenhalten könnte. Der Frühling von Emmanuel Macron in Frankreich ist doch schon vorbei . . .
. . . stimmt. Der scheint schon im Spätsommer zu stecken.
Lieber ruhig und beharrlich, bescheidener, das ist auf die Dauer besser, als plötzlich in den Himmel zu steigen und dann abzustürzen.
"Blumen und Pralinen spielen auf der Eben in der Politik keine Rolle"
Was bewundern Sie an Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Zwei Dinge: Ihre Hartnäckigkeit ist unübertroffen – und ihre Kompetenz. Sie ist immer unheimlich gut vorbereitet, und bisweilen holt sie sich zu nächtlicher Stunde dazu Experten ins Kanzleramt. Und dann hat sie einen liebenswürdigen Charme, der einem zwar nicht jeden Tag zuteil wird.
Ist es nicht endlich mal Zeit für einen bayerischen Bundeskanzler – oder eine Bundeskanzlerin?
Die Bayern sind geradezu sprichwörtlich bescheiden.
Das ist uns neu!
Wie ich finde, wird Deutschland derzeit gut geführt, auch wenn es in dem einen oder anderen Punkt auch einmal einen Streit gibt. Viele fragen sich: Wie können die sich jetzt wieder vertragen, wenn sie zuvor so gestritten haben? Das ist eine eindimensionale Betrachtung. Wenn man einmal streitet, muss man doch nicht das ganze Leben streiten. Wir sind jetzt rundum zufrieden. Wir haben großen Einfluss in Berlin.
Wie groß?
Es ist ja mal gesagt worden: Deutschland ist nach der Wiedervereinigung größer, Bayern gleichgroß – das bedeutet weniger Einfluss. Das Gegenteil ist der Fall: In Berlin geschieht nichts ohne die Bayern – und schon gar nicht gegen die Bayern. Vor zwei Jahren wurde mal was gegen die Bayern entschieden, aber der Kurs jetzt revidiert: Wir haben jetzt deutlich weniger Flüchtlinge.
Wie läuft so eine Versöhnung nach dem Streit? Normalerweise kann der Mann der Frau da Blumen mitbringen oder Pralinen. Das ist beim bayerischen Ministerpräsidenten und der Bundeskanzlerin sicher nicht der Fall, oder?
Blumen und Pralinen spielen auf der Ebene in der Politik keine Rolle, aber wir hatten unzählige Gespräche unter vier Augen seit diesem Vorgang. Die Kanzlerin hat bei diesen Unterredungen mehrfach angemerkt, dass das keiner glauben würde, wenn er sähe, wie wir jetzt so beisammen sitzen. Wir haben dabei sowohl über Megathemen der Weltentwicklung geredet als auch über ganz konkrete Dinge in Deutschland und Europa. Ich will damit sagen: Es war ein Prozess. Man kann ja nicht durch Umlegen eines Schalters plötzlich wieder nett zueinander sein. Das muss wachsen und das muss ehrlich sein.
Wo fanden diese Gespräche statt?
In ihrem Büro im Kanzleramt.
Seit wann ist das Eis gebrochen zwischen Ihnen und der Kanzlerin?
Bei der Unionsklausur im Februar in München war es noch nicht soweit, um mit fliegenden Fahnen und fröhlicher Miene vor die Öffentlichkeit zu treten, aber schon da war das Fundament wieder stabil.
Sie verbringen viel Zeit in Berlin?
Jede Woche ein, zwei, manchmal drei Tage. Das ist schon ein großer Zeitaufwand, weshalb ich sehr dafür bin, dass in fernerer Zukunft ein Parteivorsitzender der CSU in Berlin sitzt. Meine Hauptbegründung ist folgende: Ich kenne Bundeskanzlerin Angela Merkel seit Anfang der 90er Jahre, habe über 30 Jahre Erfahrung im Bundestag, da kann man auch von München aus wirken. Wenn sie nicht über eine solche Biografie verfügen, können sie die Durchsetzungsstärke, die von Bayern erwartet wird, nur vor Ort in Berlin entwickeln.
Wer soll’s denn machen – Dobrindt oder Herrmann?
Lassen Sie doch erstmal die Wähler entscheiden und dann sehen wir weiter. In der Politik ist es wie im Sport – du stehst und fällst mit dem Erfolg. Ein Spiel verlieren, da kommen die ersten Zweifel. Noch ein Spiel verlieren, führt zu öffentlichem Grummeln. Eine dritte Niederlage – dann ist der Schlamassel perfekt. Ich will das nicht bejammern, aber es ist knallhart. Deshalb kann heute auch noch niemand sagen, wer zum Tag X die CSU führt. Die Wähler setzen auf die Frau oder den Mann, von dem sie glauben, dass sie oder er die größten Chancen hat.
Also eventuell auch auf Markus Söder?
Das wurde nie ausgeschlossen.
Über den Tag X können Sie bestimmen?
Über den möchte ich gern bestimmen.
Einen Namen haben Sie bisher nicht genannt: Karl-Theodor zu Guttenberg.
Alle, die sehr aktiv Wahlkampf machen, sich nicht verstecken, das Risiko eingehen, die sollen dafür auch belohnt werden, wenn’s gut läuft. Guttenberg hat sich selbst noch nicht entschieden, ob er wieder stärker einsteigen will in der Partei.
Was den Parteivorsitz betrifft – da wollen Sie sich auch nicht auf einen bestimmten Kreis von Personen festlegen?
Franz Josef Strauß hatte ein Wurzelgeflecht, das waren sieben, acht Personen. So viele würde ich auch nennen, aber keine Namen zum jetzigen Zeitpunkt. Fest steht: Wir sind eine moderne, vitale, vielfältige Partei mit einer großen Breite an Positionen und Personen.
Stichwort Toleranz. Können Sie sich, falls es der Wähler so will, auch eine Koalition mit den Grünen und der FDP vorstellen?
Das schicke Jamaika. Das würde für Bundeskanzlerin Angela Merkel bedeuten, sie hat drei Koalitionspartner: die FDP, die Grünen und uns. Das wäre für die Stabilität dieses Landes nicht ideal.
Welche Farbe würden Sie denn gerne weglassen – Gelb oder Grün?
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten zwischen den Zeilen immer wieder angedeutet, man könnte auch mit den Grünen reden, sondieren. Aber das haben die jetzt kräftig verspielt: Steuererhöhungen, erleichterte Zuwanderung, Verbot von Verbrennungsmotoren, weniger Sicherheit – das können wir nicht machen.
Und was halten Sie von FDP-Chef Christian Lindner?
Der ist auch nicht einfach, aber da gibt es wenigstens in den wichtigsten Punkten Übereinstimmungen.
CSU-Chef Horst Seehofer. Foto: Daniel von Loeper
Über den Verkehr haben wir gesprochen. Ein weiteres wichtiges Thema, das die Menschen vor der Wahl bewegt, ist die Altersarmut. Was empfinden Sie, wenn im ach so reichen München Sonntagmorgen nach einer Partynacht wieder viele Flaschensammler unterwegs sind? Darunter sind viele Rentner, die mit ihrer Rente nicht auskommen . . .
Als Sicherungsnetz haben wir das Instrument der Grundsicherung im Alter. Das heißt: Die Betroffenen bekommen das, was sie für ein menschenwürdiges Leben brauchen – plus die Miete. Es werden auch nicht mehr die Kinder zum Ersatz dieser Grundsicherung herangezogen, was eine wesentliche Erleichterung bedeutet. Übrigens eine Entscheidung der Regierung Schröder, der wir damals zugestimmt haben.
Gibt es weitere Überlegungen, um der Altersarmut zu begegnen?
Bisher war es so, dass die private Altersvorsorge auf die Grundsicherung angerechnet wurde. Da haben sich viele gedacht: Warum soll ich dann überhaupt privat vorsorgen? Da soll in Zukunft ein spürbarer Betrag unangetastet bleiben, damit der Mensch auch den Sinn in seiner privaten Vorsorge sieht. Außerdem plädiert die CSU – bisher nur die CSU – für eine Mütterrente, die ebenfalls nicht auf die Grundsicherung angerechnet werden soll. Da hat auch die AZ eine Verantwortung als Informationsquelle für die Bürger.
Moment! Der CSU-Chef fragt bei der AZ um Hilfe an?
Bei uns war die AZ schon vor 60 Jahren die Lieblingslektüre meiner Mutter. Das war das Hochamt: sich am Samstagabend auf die Couch zu legen und die AZ zu lesen.
Sie haben die Tradition Ihrer Mutter hoffentlich übernommen!
Ich bekomme die AZ jeden Tag, je nach Lage lese ich sie auch.
Zurück zur Altersarmut.
Ja, da muss man neben dem wirtschaftlichen auch den humanen Fortschritt sehen, also die menschliche Zuwendung. Wir dürfen Alte, Kranke, sozial Schwache nicht einfach am Wegesrand stehenlassen. Das kann sich eine Gesellschaft nicht leisten. Und es gibt viel Engagement, zum Beispiel in den Seniorenklubs, in karitativen Einrichtungen.
Wie kann der Staat da helfen?
Es sind oft kleine Dinge: Als ich unseren bayerischen Papst in Rom besucht habe, hat mich sehr gefreut, dass der Vatikan Obdachlosen eine Dusche, einen Friseur, Medikamente und solche Dinge zur Verfügung stellt. Meine Mitarbeiter prüfen, wie sich der Gedanke auf Deutschland übertragen lässt.
Kommen wir zum nächsten Thema: Gerade in München ist bezahlbarer Wohnraum fast so selten wie ein Sechser im Lotto. Was tut die Staatsregierung gegen diese Entwicklung?
Die Situation in München ist sehr schwierig. Da geht es auch darum: mehr Verdichtung oder nicht? Es gibt viele Bürger, die fragen: Muss das immer sein – mehr, weiter, höher? Diese Entscheidungen muss jedoch primär die Landeshauptstadt treffen, strukturell, von der Planung her.
Und die Staatsregierung sieht nur zu?
Nein, wenn wir irgendwo mithelfen können, tun wir das gerne. So wie jetzt bei der zweiten Stammstrecke oder der Tram durch den Englischen Garten. Die zweite Stammstrecke kostet Milliarden, ist aber notwendig, um die Attraktivität der Stadt München zu erhalten. Außerdem haben wir zusammen mit dem Oberbürgermeister und allen betroffenen Landräten den sogenannten Verkehrspakt geschlossen. Da geht es um die Organisation von Mobilität im Ballungsraum und es sollen Schlüsselstellen wie die Dachauer Straße entschärft werden, damit die Pendler nicht verzweifeln.
"Meine Karriere habe ich mit der Erforschung von Radwegen begonnen"
Kommen wir doch noch zum Reizthema Obergrenze – sie wird doch, realistisch betrachtet, niemals kommen?
Ich bin überzeugt, dass die Begrenzung von Zuwanderung nötig ist, um die Integration zum Erfolg zu führen. Da sind eben Schulen, Kindergärten, Wohnungen, Schulen, Finanzen nötig. Und nur wenn die Integration gelingt, wird sie die Akzeptanz der Bevölkerung erhalten. Und ich möchte, dass die Menschen bei der Integration mitmachen.
Wie beurteilen Sie das Thema der großen Fluchtbewegungen von Afrika Richtung Europa? Es gibt die These von der Festung Europa. Brauchen wir die?
Am wichtigsten ist das, was Bundeskanzlerin Angela Merkel gerade in Paris gemacht hat, nämlich Vereinbarungen mit den afrikanischen Staaten treffen, damit deren junge Bevölkerung in ihrer Heimat bleibt. Dazu muss einiges geschehen, was Bildung, Krankenhäuser, Daseinsvorsoge schlechthin betrifft. Das gelingt nur mit massiver Hilfe der Staatengemeinschaft, das ist eine typische Aufgabe der Europäischen Union.
Das allein genügt?
Nein, es werden sich natürlich weiter Menschen auf den Weg machen, über deren Schutzberechtigung muss dann an den Außengrenzen der EU zügig entschieden werden, innerhalb von Wochen. Da dürfen wir die Griechen und Italiener übrigens nicht alleine lassen, die können das unmöglich ohne Hilfe schultern. Die Menschen, die Schutzbedarf haben, müssen dann gerecht in Europa verteilt werden. Alle in Europa profitieren von der Europäischen Union – da muss es in der Verteilungsfrage Solidarität geben.
Können Sie verstehen, dass sich junge Menschen um unsere Welt sorgen?
In der Tat haben wir aktuell viele Problempunkte auf der Welt, Amerika, Russland, die Ukraine, Nordkorea, Syrien, Brexit. Deshalb möchte ich allen jungen Menschen den Rat geben, sich am Kampf für eine bessere Welt selbst zu beteiligen. Nicht einfach sagen, alles ist so furchtbar. Es liegt doch an uns Menschen, besonders den jungen, aktiv zu sein. Es ist bitter notwendig – bei der Friedenssicherung, beim Klimaschutz, bei den Handelsbeziehungen.
Das sind große Aufgaben, von denen Sie da sprechen . . .
Ja, aber es ist doch so: Wer sich nicht für Politik interessiert, der wird von denen regiert, die sich dafür interessieren. Ich würde das als junger Mensch nie akzeptieren wollen. Also einfach engagiert die Dinge angehen. Wenn man dann Mitstreiter findet, kann man ganz schnell viel bewegen. Es muss nicht immer gleich Weltpolitik sein. Ich habe meine Karriere in Ingolstadt mit der Erforschung von möglichen Radwegen begonnen.
Da schließt sich eine Frage an, die in diesen turbulenten Wahltagen gestellt werden muss: Haben Sie es jemals bereut, in die Politik gegangen zu sein?
Nein! Nie!
Horst Seehofer beim Besuch in der AZ-Redaktion. Foto: Daniel von Loeper
"Mein Sommerhit 2017? Das ist der Bayerische Defiliermarsch"
Wer sucht Ihre Krawatten aus?
Meine Frau, aber ich habe für alle Fälle noch vier Krawatten im Auto liegen.
Was ist Ihr Lieblings-Emoji bei WhatsApp?
Ich versuche ja, Zuversicht auszulösen, deshalb der strahlend lachende Smiley.
Was ist Ihr Sommerhit?
Der Bayerische Defiliermarsch, den höre ich während des Wahlkampfs fast jeden Abend bei meinen Auftritten im Bierzelt. Am Ende gibt’s die Bayernhymne.
Wann haben Sie zuletzt für Ihre Frau gekocht?
Also nicht in diesem Jahrzehnt. Mei, ich kann’s einfach nicht. Und meine Frau kocht super, warum sollte ich da ihre Kreise stören.
Bei welchem Film haben Sie zuletzt gelacht – oder geweint?
Seit ich dieses Amt innehabe, bin ich weder ein Kinogänger noch ein Fernsehzuschauer. Das ist so. Nachrichten, Sport-Höhepunkte – damit hat sich’s. Aber ich habe unzählig viele DVDs zuhause, die ich mir aufhebe für die Zeit, wenn ich Zeit habe.
Ihr lustigster Spitzname?
Lulatsch! Das war einerseits lustig, andererseits diskriminierend. Ich war damals ein baumlanger, spindeldürrer Schüler. Besonders die Größe war eher außergewöhnlich. Ich hatte immer Hochwasserhosen, weil meine Mutter nicht dauernd die Hose wieder auslassen wollte, was zu Hänseleien führte.
Was ist schöner als Eisenbahn zu spielen?
Eigentlich nur das Lesen. Bei mir liegen ganze Stöße herum. Ich lese auch mehrere Bücher gleichzeitig, weil ich nach ein, zwei Kapiteln Abwechslung brauche. Das ist mein täglicher Schlusspunkt. Ob ich eine Viertelstunde oder eine halbe Stunde lese – Hauptsache, ich habe mit den Dingen aus dem Büro nichts mehr zu schaffen. Zuletzt habe ich "Unterleuten" von Juli Zeh gelesen und "Ewiger Sabbat" von Grigori Kanowitsch, aber gerne auch mal eine Biografie.
Ein Selfie mit dem Landesvater
Horst Seehofer hat Humor – zumindest, wenn es um ein Selfie in der AZ-Redaktion geht. Hier sind neben dem Landesvater zu sehen (v. r.): AZ-Chefredakteur Michael Schilling und die Politik-Redakteure Gerald Schneider, Natalie Kettinger, Tobias Wolf und Clemens Hagen.