Claudia Roth über Käsespätzle und Umfragewerte

Grünen-Chefin Claudia Roth spricht im AZ-Interview über die schlechten Umfragewerte, Kässpätzle in ihrer Kindheit, Ehrlichkeit in den Programmen und Fußballweisheiten.
von  az
„Na, jetzt mal nicht so schnell mit der Vorhersage“: Die Delle in den Umfragen betrachtet Grünen-Chefin Claudia Roth als Anstoß, jetzt erst recht zu kämpfen.
„Na, jetzt mal nicht so schnell mit der Vorhersage“: Die Delle in den Umfragen betrachtet Grünen-Chefin Claudia Roth als Anstoß, jetzt erst recht zu kämpfen. © von Loeper

München - Sie ist die am längsten amtierende Grünen-Chefin: Seit 2004 steht die 58-jährige Allgäuerin und gelernte Dramaturgien an der Spitze der Grünen. Claudia Roth im AZ-Interview:

 

AZ: Frau Roth, Sie stehen in den Umfragen bei zehn Prozent. So schlecht waren die Grünen schon lange nicht mehr, und das knapp zwei Wochen vor der Bundestagswahl. Ein Alarmsignal?

CLAUDIA ROTH: Nein, das spornt nochmal so richtig an. Jetzt wird aufgeholt. Wie Sepp Herberger, der klügste aller Fußballphilosophen, gesagt hat: Das Spiel dauert 90 Minuten. Vorher wird nicht abgepfiffen. Knapp 50 Prozent der Menschen wissen noch gar nicht, ob sie wählen gehen und wen sie wählen wollen. Außerdem gibt es eine hohe Zufriedenheit mit den vielen rot-grünen Landesregierungen. Die Hälfte der Menschen in Deutschland wird schon Rot-Grün oder Grün-Rot regiert. Und wir haben für unsere Themen breite gesellschaftliche Mehrheiten, die man mit Schwarz-Gelb nicht durchsetzen kann, wie Mindestlohn, Betreuungsgeld, striktere Regeln für Rüstungsexporte.

Aber wenn Sie die gesellschaftliche Stimmung nicht in reale Stimmen umsetzen können, dann haben Sie doch offenbar was falsch gemacht. Zum Beispiel mit den Steuern aufs falsche Thema gesetzt.

Na, jetzt mal nicht so schnell mit der Vorhersage! Außerdem finde ich es einen ziemlichen Hammer, dass in unserem parlamentarischen System gerade ein Präsidentschaftswahlkampf stattfindet. Ein Hype um eine Zweier-Auseinandersetzung, eine Konzentration nur auf Merkel und Steinbrück. Ganz so, als würden bei uns in Deutschland nicht Parteien gewählt, sondern Personen und Präsidenten. Genau so führt Frau Merkel ja ihren Wahlkampf, wie eine Präsidentin. Aber mit Verlaub: Wir sind nicht Frankreich und wir sind auch nicht die USA. Wir wählen bei uns den Deutschen Bundestag. Die kleinen Parteien hat man am Katzentisch platziert und das hat denen natürlich nicht gut getan.

Nochmal: Bei Ihren Themen hapert es. Stichwort Steuern. Oder Veggie-Day. War das so eine gute Idee?

Ich glaube, dass die Debatten um gesunde Ernährung, Massentierhaltung und Tierschutz richtig und wichtig sind und die Menschen auch interessieren. Diese Debatte führen wir gerne. Aber wir wollen ja niemanden zu einem Veggie Day zwingen.

 

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Es kam aber auch Kritik von Grünen-Anhängern.

Wenn wir uns hingestellt und gesagt hätten: „Wir verbieten am Donnerstag Fleisch“, dann wäre genau das passiert, was ich in meiner Kindheit im Unterallgäu erlebt habe. Da hat die Kirche am Freitag Fisch angeordnet. Und meine Eltern haben dann grad mit Fleiß Kässpätzle gemacht. Der Versuch, uns die Verbotsnummer anzuhängen, der wirkt nicht. Wir sind diejenigen, die für Freiheit kämpfen, zum Beispiel die Freiheit, nicht durch amerikanische Geheimdienste totalüberwacht zu werden. Und wir kämpfen gegen Verbote, wie das Arbeitsverbot für Asylbewerber, das Adoptionsverbot für lesbische und schwule Paare, das Verbot der doppelten Staatsbürgerschaft. Übrigens auch das Verbot, ein Fahrrad im ICE mitzunehmen...

Aber immer wieder weht in grünen Wahlkämpfen der Hauch von Zwangsbeglückung. Mal wollen Sie den Benzinpreis auf fünf Mark erhöhen, mal den Leuten vorschreiben, wie oft sie zu duschen haben.

Sie haben vergessen, wie oft man mit dem Flugzeug in den Urlaub sollte (lacht). Niemand wird gezwungen, am Donnerstag in eine Kantine zu gehen. Aber natürlich müssen wir auch eine Diskussion über unsere Lebensweise führen, weil wir für unseren Ressourcenverbrauch mehrere Erden bräuchten.

Nochmal zur Steuerreform: Alle werfen Ihnen jetzt vor, die Mittelschicht zu belasten.

Das tun wir ja gerade nicht. Wir fragen uns nur: Wie gehen wir mit der extrem hohen Staatsverschuldung um? Wovon bezahlen wir unsere Infrastruktur? Schulen, Universitäten, Straßen, Brücken? Die klammen Kommunen? Wie geht's weiter in der Pflege? Es hakt überall. Deswegen haben wir gesagt, diejenigen, die am allerallermeisten von der Finanzkrise profitiert haben, dieses eine Prozent, die muss man in die Mitverantwortung nehmen. Merkel und Seehofer versprechen Milliarden-Ausgaben und schreiben klein drunter: „Unter Finanzierungsvorbehalt“. Piepegal, wo das Geld herkommt, es wird uns schon irgend so ein Wachstum über den Weg laufen. Nein, da legen wir lieber ein ehrliches und durchgerechnetes Programm vor.

Aber der Staat hat so viele Einnahmen wie nie. Hat dieser Staat wirklich ein Einnahmen- oder nicht vielmehr ein Ausgabenproblem?

Ja, er hat auch ein Ausgabenproblem. Deswegen machen wir da auch konkrete Vorschläge, zum Beispiel bei vielen umweltschädlichen Subventionen. Aber das alleine reicht halt nicht.

Was glauben Sie, welches Signal hat die Bayern-Wahl auf den Bund?

Die Wahl in Bayern spielt für den Bund sicher eine große Rolle. Wobei mir auch öfter im Rest der Republik die Frage gestellt wurde: „Was ist da los in Bayern?“ Über all diese CSU-Affären oder den Fall Mollath schütteln viele Menschen im Rest des Landes den Kopf. Wie auch viele Bayern.

Eins ihrer Kernthemen, die Energiewende, wird auch gerade zerpflückt.

Schwarz-Gelb versucht die Energiewende zu untergraben – um sie dann zurückzudrehen. Aber Atom und Kohle kommen uns teuer zu stehen. Es wird kaum noch über den Klimawandel geredet. Obwohl wir erst heuer die Hochwasserkatastrophe hatten. Das finde ich schon verblüffend. Union und FDP versuchen jetzt mit aller Kraft, die Erneuerbaren schlecht zu reden und ihnen den hohen Strompreis in die Schuhe zu schieben.

 

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Aber die Großhandelspreise sinken. Wie kann man das an die Kunden weitergeben?

Wir sagen nicht, wählt die Grünen, dann wird Energie zum Schleuderpreis zu haben sein. Aber wenn wir die unberechtigten EEG-Umlage-Ausnahmen für Schlachthöfe, Skilifte und andere zurückholen, könnte der Strompreis sofort um vier Milliarden sinken.

Es gibt im Bund eine strukturelle linke Mehrheit, für Rot-Grün wird's aber nicht reichen. Ist Rot-Rot-Grün eine Option?

Dass es nicht reicht, das stelle ich in Frage. Wir kämpfen für Rot-Grün. Rot-Rot-Grün oder eine Tolerierung halte ich für nicht denkbar. Allein wenn ich mir die Syrien-Frage anschaue: Der außenpolitische Sprecher der Linkspartei spricht auf Pro-Assad-Demos. So kann man doch keine Außenpolitik machen.

 

 

 

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